UHH Newsletter

Oktober 2013, Nr. 55

INTERVIEW

/onTEAM/newsletter/images/medi101381743210.jpg
Prof. Dr. Volker Lilienthal ist einer der zwei Leiter des Forschungsprojekts "Journalismus unter digitalen Vorzeichen“. Foto: privat


Kontakt:


Prof. Dr. Volker Lilienthal
Institut für Journalistik und Kommunikationswissenschaft

t. 040.42838-3637
e. volker.lilienthal-at-wiso.uni-hamburg.de

Weitere Informationen zur Studie „Journalismus unter digitalen Vorzeichen“.

„Die Ära der Zeitungen, die Papier als Informationsträger nutzten, neigt sich ihrem Ende zu.“ – Interview mit Prof. Dr. Lilienthal

Das Web 2.0 hat zu einem Wandel des klassischen Journalismus geführt und auch die traditionellen Medienhäuser bekommen die Veränderungen zu spüren. Prof. Dr. Volker Lilienthal, Inhaber der Rudolf-Augstein-Stiftungsprofessur am Institut für Journalistik und Kommunikationswissenschaft der Universität Hamburg, leitet gemeinsam mit Prof. Dr. Stephan Weichert von der Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation das Forschungsprojekt „Journalismus unter digitalen Vorzeichen“. Im Interview berichtet er, was das Ziel der Studie ist und worin er die Zukunft des Journalismus sieht.

Prof. Lilienthal, in Zusammenarbeit mit Ihrem Partner Prof. Weichert sind Sie für die Durchführung des Drittmittel-Projektes „Journalismus unter digitalen Vorzeichen“ verantwortlich. Was ist das Ziel dieser Studie?

Wir untersuchen die Art und Weise, wie sich Mediennutzer heute auf journalistischen Websites beteiligen können. Sind die Medienunternehmen wirklich zugänglicher geworden, indem sie ihre User zur Beteiligung einladen? Und was fangen Journalisten mit der Partizipation an? Dulden sie sie nur oder greifen sie Themenvorschläge der Bürger aktiv auf? Sind das Impulse für weitergehende journalistische Recherche? Kommt es zu einem Argumentetransfer, der letztlich zu einem besseren Journalismus beiträgt? Das sind einige der Fragen, die uns und die auftraggebende Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen interessieren.

Worin sehen Sie die Vor- und Nachteile der „Digitalisierung“ des Journalismus?

Die Vorteile liegen in der Schnelligkeit, Formenvielfalt und größtmöglichen Vollständigkeit, mit der Online-Journalisten ihre Themen vor dem lesenden, sehenden und hörenden Publikum ausbreiten können. Auch die Partizipation der User ist medienhistorisch in diesem Ausmaß und dieser Tiefe neu und demokratischer Zugewinn. Journalisten sind permanent der Kritik an ihrer Arbeit ausgesetzt. Aber das ist nicht unbedingt destruktiv, weil Fehlerhinweise von Lesern ja auch zur Fehlerkorrektur führen, also für mehr Akkuratesse sorgen.

Ein Nachteil liegt darin, dass Schnelligkeit auch Flüchtigkeit bedeutet. Online-Journalisten sind in ständiger Gefahr, politischer oder kommerzieller Propaganda oder gar Fälschungen aufzusitzen. Im journalistischen Arbeitsprozess bedeutet Digitalisierung, dass ein Vor-Ort-Reporter, noch während zum Beispiel eine Ratssitzung läuft, schon einen ersten Kurzbericht über Twitter oder für die Website seiner Zeitung absetzen kann. Dies bedeutet aber, dass seine Aufmerksamkeit und Wahrnehmung für die Ratssitzung in dem Moment, in dem er eilig schreibt, reduziert ist.

Der produktionelle Anteil an der journalistischen Arbeit überformt also die wichtige rezeptive Dimension, die da lautet: Erst hören und verstehen, dann schreiben und senden. Dieser konsekutive Ablauf ist heute nicht mehr möglich. Digitale Journalisten sind immer Multitasker und immer „on air“. Einen Redaktionsschluss gibt es nicht mehr.

Viele Tageszeitungen stecken aufgrund von rückläufigen Auflagen und Anzeigenverlusten in der Krise, wie aktuell die geplanten Kündigungen im Zeitungshaus M. DuMont Schauberg zeigen. Sehr viel Medienaufmerksamkeit erhielt auch der Kauf der traditionsreichen „Washington Post“ durch Amazon-Chef Jeff Bezos. Was glauben Sie, warum ausgerechnet der Chef eines Online-Versandhandels an der Übernahme der Zeitung interessiert ist?

Nun, er schmückt sich mit einer der besten Zeitungen der Welt, mit großer kritischer Tradition seit der Aufdeckung der Watergate-Affäre. Bezos verfolgt wohl keine kurzfristigen Profitinteressen, aber er wird auch nicht endlos Geld in die „Washington Post“ pumpen. Eher ist zu erwarten, dass er den Verlag und seine Medien digital auf Vordermann bringt und auch als Vertriebsprofi, der er ist, viele Innovationen einbringen wird. Mal sehen, ich bin gespannt.

Wird der Kauf der „Washington Post“ ein Einzelfall bleiben oder ist in den nächsten Jahren mit weiteren Aufkäufen von Zeitungen durch Vertreter digitaler Großkonzerne wie Google oder Facebook und möglicherweise mit neuen Geschäftsmodellen zu rechnen?

Ausgeschlossen ist das nicht, aber im Moment reine Spekulation. Web-Plattformen wie Google und Facebook sind ja eine der Ursachen hinter der Einnahmenkrise journalistischer Medien. Diese vereinigen nicht mehr genügend Werbenachfrage auf sich. Die Werbung ist großenteils zu nicht-journalistischen Webangeboten wie Facebook abgewandert. Um Reichweite für Werbebotschaften aufzubauen, braucht es heute leider keine journalistischen Medien mehr.

Welche Auswirkungen haben solche Aufkäufe auf die Qualität des Journalismus?

Aufkäufe bedrohen die Qualität nicht unmittelbar – jedenfalls dann nicht, wenn der neue Eigentümer investiert und Großes vorhat. Anders sieht es aus, wenn es nur ums Sparen und schnellen Gewinn geht. Bei Bezos sollte man mal abwarten. Die „Washington Post“ ist eine stolze, starke Zeitung. Aus der kann man kein Werbeblättchen etwa für Amazon machen.

Wird die aktuelle Entwicklung – auch in Hinblick auf die Digitalisierung – dazu führen, dass gedruckte Zeitungen ganz verschwinden?

Ja, damit müssen wir rechnen. Die Ära der Zeitungen, die Papier als Informationsträger nutzten, neigt sich ihrem Ende zu. Aber die Zeitung in digitaler Form wird bleiben – und unsere Gesellschaft braucht sie auch: als Medium demokratischer Selbstverständigung, für Kritik und Kontrolle.

Welchen Ausweg sehen Sie aus der Zeitungskrise?

Sagen wir allgemeiner: Medienkrise. Ob auf Papier oder online, vielerorts fehlen die Geschäftsmodelle. Warum? Nicht nur, weil Managern nichts einfällt, sondern auch, weil große Teile des Publikums ihr Desinteresse durch Zahlungsverweigerung dokumentieren.

Man hält sich kein Abonnement mehr und will alle Online-Artikel kostenlos. Journalistische Arbeit aber hat ihren Preis. Ohne gute Bezahlung entstehen nicht all die tollen Artikel, Sendungen und Webbeiträge, die unser Weltwissen bereichern und unsere politische Meinungsbildung überhaupt erst ermöglichen. Will damit sagen: Wir alle sind in der Verantwortung, unser geldliches Medienbudget zu überdenken. Was sind uns freie und gute Medien wert?
Das Gespräch führte Luisa Tauschmann.
 

Themen dieser Ausgabe

Download

RSS-Feed

 
Home | Impressum | Datenschutz | Kontakt