UHH Newsletter

Fe­bru­ar 2017, Nr. 93

IN­TER­VIEW

Prof. Dr. Lars Schwabe erforscht, wie Stress unsere Erinnerung beeinflusst. Foto: UHH/Sukhina

Prof. Dr. Lars Schwa­be er­forscht, wie Stress un­se­re Er­in­ne­rung be­ein­flusst. Foto: UHH/Suk­hi­na

Wie den­ken wir unter Stress? In­ter­view mit Ko­gni­ti­ons­psy­cho­lo­ge Prof. Dr. Lars Schwa­be

„Ich bin total ge­stresst“ – wer hat das nicht schon ge­sagt und sich dabei über­for­dert ge­fühlt. Wie genau das Phä­no­men „Stress“ unser Lern­ver­hal­ten, un­se­re Ent­schei­dun­gen und un­se­re Er­in­ne­rung be­ein­flusst, er­forscht Prof. Dr. Lars Schwa­be, Lei­ter des Ar­beits­be­reichs Ko­gni­ti­ons­psy­cho­lo­gie an der Uni­ver­si­tät Ham­burg. Im In­ter­view er­klärt er, was bei Stress im Ge­hirn pas­siert.

Was ist über­haupt „Stress“?

Auch wenn man sich Jahr­zehn­te mit der Stress­for­schung be­schäf­tigt hat, lässt sich Stress re­la­tiv schwer de­fi­nie­ren. Aber etwas, was un­se­ren Or­ga­nis­mus aus dem Gleich­ge­wicht bringt, etwas, das uns her­aus­for­dert, kann man glo­bal als Stress be­zeich­nen.

Wie be­ein­flusst Stress unser Den­ken?

Stress kann so­wohl för­der­li­che als auch hem­men­de Ef­fek­te auf un­se­re Denk­pro­zes­se haben. Diese Stres­se­in­flüs­se sind per se nichts Schlech­tes, son­dern eine ad­ap­ti­ve Re­ak­ti­on des Kör­pers. Es macht bei­spiels­wei­se evo­lu­tio­när Sinn, dass wir Sa­chen, die für uns be­son­ders auf­re­gend waren, für die Zu­kunft ab­spei­chern.

Unser ko­gni­ti­ver Me­cha­nis­mus passt sich also der Stress­si­tua­ti­on an: Er spei­chert ei­ner­seits die Dinge ab, die akut wich­tig sind – und der Abruf der Dinge, die ak­tu­ell nur ab­len­ken wür­den, weil sie ge­ra­de für die Si­tua­ti­on nicht zen­tral sind, wird be­ein­träch­tigt.

Stress be­ein­flusst also die Ge­dächt­nis­leis­tung?

Auf der einen Seite för­dert Stress ty­pi­scher­wei­se die Ge­dächt­nis­bil­dung. Wenn wir etwas be­son­ders Pein­li­ches oder Auf­re­gen­des er­lebt haben, das für uns „stres­sig“ ist, kön­nen wir uns spä­ter ganz gut daran er­in­nern.

An­de­rer­seits kann Stress den Ge­dächt­nis­ab­ruf z.B. in einer Prü­fungs­si­tua­ti­on ein Stück weit ver­schlech­tern. Das sind aber nur vor­über­ge­hen­de Ef­fek­te, das heißt die Ge­dächt­nis­spur wird nicht per­ma­nent ge­löscht. Aber kurz­zei­tig kann Stress den Ge­dächt­nis­ab­lauf be­ein­träch­ti­gen.

Was spielt sich bei Stress im Ge­hirn ab?

In Re­ak­ti­on auf Stress wer­den ver­schie­de­ne phy­sio­lo­gi­sche Sys­te­me ak­ti­viert, zum Bei­spiel Neu­ro­trans­mit­ter-​Sys­te­me. Neu­ro­trans­mit­ter sind che­mi­sche Sub­stan­zen, die Si­gna­le zwi­schen den Ner­ven­zel­len ver­mit­teln.

Die Zen­tren im Ge­hirn, die für die Aus­schüt­tung der Trans­mit­ter zu­stän­dig sind, feu­ern nun in einer Stress­si­tua­ti­on ver­stärkt Trans­mit­ter ab – und das be­wirkt eine Um­ori­en­tie­rung des Ge­hirns. Es fährt be­stimm­te Hirn­re­gio­nen hoch, die ge­mein­sam das so­ge­nann­te Sa­li­enz-​Netz­werk bil­den: Die­ses ist ver­ant­wort­lich für die Ver­ar­bei­tung von Rei­zen, die akut als be­son­ders wich­tig ein­ge­stuft wer­den.

Das Ge­hirn schal­tet also bei Stress in einen Modus, in dem es statt re­flek­tiert ab­zu­wä­gen vor allem be­dro­hungs­as­so­zi­ier­te und emo­tio­na­le Reize ver­ar­bei­tet.

Wenn die Stres­se­in­flüs­se nach­las­sen, fährt das Ge­hirn die­ses Sa­li­enz-​Netz­werk wie­der her­un­ter und an­de­re Netz­wer­ke wie­der hoch, ins­be­son­de­re jene Netz­wer­ke, die uns ein dif­fe­ren­zier­te­res Ab­wä­gen er­mög­li­chen.

Was kön­nen wir gegen Stress im All­tag tun?

Erst ein­mal ist nicht eine be­stimm­te Si­tua­ti­on per se stress­haft, ent­schei­dend ist immer die In­ter­pre­ta­ti­on des In­di­vi­du­ums: In ge­wis­sem Maße hängt es von jedem Men­schen selbst ab, ob ir­gend­et­was zu Stress führt oder eben nicht.

Ein An­satz­punkt ist also, un­se­ren Blick auf die Welt, un­se­re Ein­schät­zung von Si­tua­tio­nen und Kon­stel­la­ti­on, ko­gni­tiv um­zu­struk­tu­rie­ren.

Wenn man etwa einen Vor­trag hält, kann man sich ver­ge­gen­wär­ti­gen, dass die Be­su­cher da sind, um einen zu hören – nicht, um einen aus­zu­la­chen. Diese ko­gni­ti­ven Um­struk­tu­rie­run­gen kön­nen das Stress­le­vel in sol­chen Si­tua­tio­nen re­du­zie­ren.

Au­ßer­dem kann man Stress mit An­ti­zi­pa­ti­on vor­beu­gen: Man führt Struk­tu­ren ein, die den All­tag or­ga­ni­sie­ren und setzt sie sich als Prio­ri­tät. So wird der All­tag ent­zerrt und we­ni­ger stress­haft.

Das In­ter­view führ­te Ellen Schon­ter.
 


Kon­takt:

Prof. Dr. Lars Schwa­be
Lei­ter des Ar­beits­be­reichs Ko­gni­ti­ons­psy­cho­lo­gie

t. 040.42838-​5950
e. lars.schwa­be"AT"uni-​ham­burg.de

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