UHH Newsletter

Mai 2014, Nr. 62

INTERVIEW

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Dr. Kamil Marcinkiewicz vom Fachbereich Sozialwissenschaften, Foto: UHH/Sukhina


Kontakt:

Dr. Kamil Marcinkiewicz
Fachbereich Sozialwissenschaften

t. 040.42838-6186
e. kamil.marcinkiewicz-at-wiso.uni-hamburg.de


Wenn Sie Ihre Standpunkte mit den Antworten der Parteien vergleichen möchten, können Sie dazu den Wahl-o-Mat der Bundeszentrale für politische Bildung nutzen.

Wer geht hin zur Europa-Wahl? Interview mit dem Politikwissenschaftler Dr. Kamil Marcinkiewicz

In Deutschland wird am 25. Mai das Europäische Parlament gewählt. „Diesmal geht's um mehr!“, heißt es auf der Webseite der EU-Kommission. Es geht beispielsweise um das viel diskutierte Freihandelsabkommen mit den USA oder auch um die Bewältigung der Finanzkrise – dennoch zeichnet sich auch jetzt wieder eine geringe Wahlbeteiligung ab. Warum ist das eigentlich so? Und was steht auf dem Spiel? Diese Fragen haben wir mit Dr. Kamil Marcinkiewicz vom Fachbereich Sozialwissenschaften geklärt.

Bei der Europawahl liegt die Wahlbeteiligung im Schnitt sehr viel niedriger als bei einer Bundestagswahl (BTW 2013: 71,5%; EW 2009: 43,3%). Warum ist das so?

Wir sprechen in diesem Zusammenhang über den sogenannten „Midterm Effect“ bzw. über die Wahrnehmung der Europawahl als Wahl „zweiter Ordnung“. Die Europawahl ist in den Augen der Bürgerinnen und Bürger weniger wichtig als die Wahl der nationalen Parlamente und wird häufig benutzt, um die Einstellung zur nationalen Regierung zum Ausdruck zu bringen.

Das liegt in erster Linie daran, dass die nationalen Medien den Arbeiten des Europaparlaments relativ wenig Aufmerksamkeit schenken. Die Berichte über die Mitglieder des Bundestags und Arbeit der Bundestagsfraktionen tauchen dagegen in den Medien tagtäglich auf.

Ulrich Beck spricht von einem politischen Quantensprung bei dieser Wahl. Was ist an dieser EU-Wahl anders?

Zum ersten Mal haben die europäischen Parteienfamilien die Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten nominiert. Die Spitzenkandidaten der Christdemokraten (EVP), Jean-Claude Juncker, und der Sozialdemokraten (S & D), Martin Schulz, haben die besten Chancen für die Übernahme dieses Postens. So wird dem Wahlkampf ein „Gesicht“ gegeben, was dem allgemeinen Trend zur Personalisierung der Wahlkämpfe entspricht.

Wähler bekommen hierdurch letztlich einen direkten Einfluss auf die Besetzung des exponiertesten Amtes in der EU, da sie durch die Wahl einer Partei somit auch eine klare Präferenz für den möglichen Kommissionspräsidenten abgeben können. Das ist vergleichbar mit der Wahl des Bundeskanzlers in Deutschland. Auch wenn dieser formal erst vom Parlament gewählt wird, ist für viele Bürgerinnen und Bürger die Wahl einer Partei auch vom jeweiligen Spitzenkandidaten abhängig.

Wird daraus vielleicht eine höhere Beteiligung resultieren?

62% der Befragten in der Eurobarometer-Umfrage vom März 2013 waren der Meinung, dass die Aufstellung der Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten durch die Parteien und die gleichzeitige Durchführung der Wahl in allen Mitgliedstaaten die Wahlbeteiligung verbessern würden.

Der erste von den beiden angesprochenen Punkten wird tatsächlich verwirklicht. Ich würde allerdings keine allzu deutliche Verbesserung der Wahlbeteiligung erwarten. Insbesondere in den Ländern, die am stärksten durch die Krise betroffen wurden, müssen wir mit einem verstärkten Auftreten von Demokratieverdrossenheit rechnen. Andererseits könnte hier die Europawahl auch genutzt werden, um eine eventuelle Unzufriedenheit mit der jeweiligen Krisenpolitik zum Ausdruck zu bringen.

Wird sich an der Wahlbeteiligung durch die Mobilisierung von EU-kritischen und sogar rechtspopulistischen bzw. rechtsradikalen Parteien etwas ändern? Wie real ist die Bedrohung durch „Rechtsaußen“, die in den Medien beschworen wurde?

Die EU-kritischen und rechtspopulistischen bzw. rechtsradikalen Parteien können laut Umfragen tatsächlich in mehreren EU-Mitgliedstaaten an Bedeutung gewinnen. Die UKIP (United Kingdom Independence Party) in Großbritannien, die Front National in Frankreich und die „Partei für die Freiheit“ in den Niederlanden haben gute Chancen, die stärksten politischen Kräfte in ihren jeweiligen Ländern zu werden. Auch unter deutschen Europaabgeordneten, die 2014 gewählt werden, wird es wahrscheinlich Vertreter EU-kritischer Gruppierungen geben.

Wegen des Wegfalls der Sperrklausel hat dieses Jahr nicht nur die AfD, die ohnehin vermutlich die 3%- bzw. 5%-Hürde übersteigen würde, die Chance, in das Europaparlament einzuziehen, sondern auch die NPD. Wenn wir annehmen, dass die Wähler bei der Europawahl wie bei der Bundestagswahl abstimmen würden (was eine sehr weitgehende Vereinfachung ist), dann würde die AfD fünf und die NPD eines von 96 Mandaten gewinnen, die Deutschland dieses Jahr zur Verfügung stehen. Das ist zwar wenig und würde diesen Parteien keinen realen Einfluss auf die Arbeit des Europaparlaments geben, es wäre aber für sie ein wichtiger symbolischer Erfolg.

Wir sollten aber nicht vergessen, dass die wichtigsten Entscheidungen im Europaparlament in den großen übernationalen Fraktionen ausgehandelt werden. Dies wird voraussichtlich auch weiterhin so sein, gerade weil die Europakritiker es bisher nicht geschafft haben, sich in einer stabilen, starken übernationalen Fraktion zu organisieren.

Was sind für Sie die bestimmenden Themen dieser Wahl?

Die Themenschwerpunkte des Wahlkampfes unterscheiden sich je nach Land. In den Ländern, die am meisten durch die Wirtschaftskrise betroffen wurden, steht die Wirtschaft im Vordergrund. In vielen Staaten Osteuropas spielt Außenpolitik, insbesondere im Kontext der Ukraine-Krise, eine wichtige Rolle.

Die deutschen Parteien konzentrieren sich in ihren Europawahlprogrammen auf die Finanz- und Sozialpolitik. Das ist insbesondere im Falle der CDU und der SPD sichtbar. Neben ihren Kernthemen fordern sowohl die Grünen als auch die FDP, dass die Verhandlungen über das transatlantische Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten an Gespräche über ein Datenschutzabkommen geknüpft werden. Fragen des Datenschutzes stehen auch im Mittelpunkt des Interesses der Piraten. Die Linke und die AfD fordern eine radikale Veränderung der europäischen Finanzpolitik, die allerdings in grundsätzlich gegensätzliche Richtungen verlaufen soll.

Und was erhoffen Sie sich ganz persönlich von dieser Wahl?

Ich hoffe, dass die Bürgerinnen und Bürger Europas das Schicksal der EU nicht den Europa-Gegnern überlassen. Es ist immer besser, zu reformieren und diskutieren, statt das ganze europäische Projekt aufzugeben. Ich glaube, dass keiner von uns zurück zum Europa der Nationalismen will, wie wir es aus den 1930er Jahren kennen.

Das Interview führte Giselind Werner.
 
 
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