Zehn Tschechen und Tschechinnen und zehn Deutsche der Jahrgänge 1932 bis 1950 haben gemeinsam einen Blick in ihre Vergangenheit geworfen. Unter der Leitung von Professor Peter Faulstich tauschten sie an der Universität Hamburg ihre Lebensgeschichten aus und testeten so den in der Erwachsenenbildung entwickelten Ansatz des biografischen Lernens.
Die Idee, deutsche und tschechische ältere
Kontakt-Studierende zusammenzubringen und in dieser Gruppe den Ansatz des lebensgeschichtlichen Lernens wissenschaftlich anzuwenden, hatten Professor Faulstich und RNDr. Martin Šolc vor Jahren auf einer internationalen Konferenz. Faulstich ist Professor für Erwachsenenbildung, Šolc koordiniert an der Karls-Universität Prag das Seniorenstudium. „Es geht dabei weniger um die offizielle Geschichte, als um eine individuelle Perspektive“, so Faulstich, „das kann zur deutsch-tschechischen Verständigung beitragen.“
Persönliche Erinnerungen an die frühen 60er Jahre
Tschechen und Deutsche trafen sich im Juli eine Woche lang täglich in einer Lernwerkstatt. Ziel war, eigene und fremde biografische Erlebnisse einzuordnen, zu verstehen und zu bewältigen. Die Teilnehmenden selbst wurden damit zum Gegenstand der Reflexion und lernten anhand eigener und fremder Lebensgeschichten. Dabei entstanden autobiografische Texte zum Zeitraum 1960 bis 1965, da sich alle soweit zurückerinnern konnten.
Eine spezielle deutsch-tschechische Aufarbeitung und Versöhnung erlebten zwei Teilnehmerinnen: Die Familie einer Deutschen war in der Nachkriegszeit aus dem Sudetenland vertrieben und die Familie einer Tschechin dorthin umgesiedelt worden.
Erweiterter Blick auf die fremde Geschichte
Eine Erkenntnis aus dem Projekt ist, dass politische Veränderungen im Herrschaftsbereich des Sowjetkommunismus recht unmittelbar die persönliche Lebenssituation bestimmten. Das könnte an dem unmittelbaren Zugriff der Kommunistischen Partei bis in die Sphären Arbeit, Leben und Familie liegen. In Westdeutschland hatten Menschen die Möglichkeit, sich durch Gewaltenteilung und einen partiellen Interessenpluralismus staatlichen Zugriffen eher zu entziehen.
Der Austausch wurde von der Arbeitsstelle für Wissenschaftliche Weiterbildung der Universität Hamburg, der Hamburger Senatskanzlei und dem deutsch-tschechischen Zukunftsfonds unterstützt und soll in Zukunft regelmäßig stattfinden.
A. Bärthel