Wissenschaft unterm Hakenkreuz: Vor 80 Jahren kam es zum „akademischen Aderlass“ an der Hamburger Universität
Nur wenige Wochen nachdem die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 an die Macht gekommen waren, begannen fundamentale Eingriffe auch in die Wissenschaft. Bereits am 7. April 1933 trat das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ in Kraft, das zur Entlassung und Verfolgung „nicht-arischer“ und politisch unerwünschter Lehrender an den deutschen Universitäten führte. „Auch an der Universität – Über den Beginn von Entrechtung und Vertreibung vor 80 Jahren“ hieß die Zentrale Gedenkveranstaltung, mit der die Universität Hamburg an die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erinnerte, die aus ihrer Mitte vertrieben wurden.
Auch wer bis 1933 in Hamburg Koryphäe seines Fachs gewesen war, wie etwa der Psychologe William Stern, war davon betroffen. Als einer von mehr als 50 „nicht-arischen" und demokratisch gesinnten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern – rund ein Fünftel des Lehrkörpers – wurde Stern zum Sommersemester 1933 aus dem Dienst entlassen. Außer ihm traf es weitere bedeutende Gelehrte der Universität wie den Physikochemiker Otto Stern, den Philosophen Ernst Cassirer, den Kunsthistoriker Erwin Panofsky, den Völkerrechtler Albrecht Mendelssohn Bartholdy, den Sozialökonomen Eduard Heimann sowie – im Jahre 1937 wegen seiner „nicht-arischen“ Ehefrau – den Mathematiker Emil Artin.
Verlust an Wissen und Identität
Von einem „Akademischen Aderlass“ sprach Dr. Dorothee Stapelfeldt, Senatorin für Wissenschaft und Forschung, in ihrem Grußwort für die Veranstaltung, die im Rahmen der Reihe „Hamburg erinnert sich 2013“ stattfand. Die Art und Weise, wie sich ausgerechnet die Universität, als Stätte von Gelehrten mit Eifer gleichschaltete und die Vertreibung der Kollegen hinnahm, sei unfassbar, so die Senatorin.
Der Vizepräsident der Universität Hamburg, Prof. Dr. Holger Fischer, sagte: „In den 12 Jahren des Nationalsozialismus verlor die Universität Hamburg nicht nur an wissenschaftlicher Substanz – sie verlor ihre Identität. Ein Wissenschafts- und Weltverständnis ging verloren, das sich nach 1933 nur noch im Exil behaupten konnte.“
Emigration der Exzellenz
In seinem Fachvortrag ordnete der Leiter der Arbeitsstelle für Universitätsgeschichte, Prof. Dr. Rainer Nicolaysen, die Geschehnisse an der Hamburger Universität in den damals reichsweiten Kontext ein. Die Entlassungen in Folge des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ führten ab 1933 zur Emigration von etwa 2.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Deutschland (und ab 1938 auch aus Österreich). Sie gilt als der größte intellektuelle Exodus in der neueren Geschichte; unter den Vertriebenen finden sich 24 damalige oder spätere Nobelpreisträger wie Albert Einstein oder aus Hamburg Otto Stern.
Die von der Hamburger Universität Entlassenen fanden vor allem in den USA und in Großbritannien Zuflucht. Und es gab diejenigen, denen die Flucht nicht mehr gelang: Die Professorin für Niederdeutsche Philologie Agathe Lasch – sie war 1923 erste Professorin der Hamburgischen Universität geworden – wurde nach vergeblichen Emigrationsbemühungen 1942 in den Tod deportiert. Martha Muchow, Ernst Delbanco, Gerhard Lassar und Kurt Perels begingen Suizid.
Rassenkunde auf dem Lehrplan
Infolge der Vertreibung jüdischer Wissenschaftler wurden ganze Fächer und Fachrichtungen geschlossen. Die Professur für Philosophie etwa – der Lehrstuhl Ernst Cassirers, der 1929/30 Rektor der Universität gewesen war und 1933 als Jude entlassen wurde – wurde für die Errichtung des Ordinariats für Rassenkunde benutzt. Die NS-Ideologie beeinflusste alle Fächer. Gefördert wurden in dieser Zeit vor allem kriegswichtige Fächer wie Nachrichtentechnik, Physik oder Chemie.
Studierende waren Motor der Gleichschaltung
Die radikale Wandlung der deutschen Hochschulen im Jahre 1933 nahm die Mehrzahl der Universitätsmitglieder schweigend hin – öffentliche Protesthandlungen blieben aus. Die Zustimmung zu vielen programmatischen NS-Forderungen wie dem Ende des „Parteienstaates“ und der Rückkehr zu autoritärem Regierungsstil war ausgeprägt.
Als Motor der Gleichschaltung wirkten auch in Hamburg die nationalsozialistischen Studierenden. Der NS-Studentenbund hatte sich bei den AStA-Wahlen an fast allen deutschen Universitäten als dominierende Kraft bereits vor 1933 durchgesetzt und drängte ab Februar 1933 zu einer „nationalsozialistischen Hochschulrevolution“ und auf die Entlassung jüdischer Professoren.
Exilforscher Walter A. Berendsohn
Einer der Professoren, dessen Entlassung der NS-Studentenbund sofort forderte, war der jüdische Germanist Walter A. Berendsohn (1884-1984), Sozialdemokrat, Humanist und Pazifist. Er hatte seit 1919 an der Universität gelehrt und floh nach seiner Entlassung 1933 ins Exil nach Dänemark, später nach Schweden. Prof. Dr. Doerte Bischoff, Leiterin der Walter A. Berendsohn-Forschungsstelle für deutsche Exilliteratur, referierte im zweiten Fachvortrag der Veranstaltung über seine Lebensgeschichte und die von ihm begründete Exilliteratur-Forschung.
Nach Ende des „Dritten Reichs“ wollte Berendsohn nach Hamburg zurückkehren, doch die Diskriminierung dauerte an: Die Philosophische Fakultät verhinderte in den 1950er Jahren die Rückkehr des Exilforschers, der sie mit ihrer eigenen Geschichte im „Dritten Reich“ und damit auch mit ihren Versäumnissen konfrontiert hätte.
Gründliche Aufarbeitung erst nach Jahrzehnten
Erst in den 1980er Jahren begann die wissenschaftliche Erforschung der Geschichte der deutschen Universitäten in der NS-Zeit. Die Universität Hamburg hat hier mit dem Forschungsprojekt „Hochschulalltag im ‚Dritten Reich‘“, das 1991 in eine gleichnamige, dreibändige Veröffentlichung mündete, Maßstäbe gesetzt, denen sie sich seither verpflichtet fühlt.
Red.