UHH Newsletter

April 2013, Nr. 49

CAM­PUS

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Foto: Mit einem Fest­akt im heu­ti­gen Ernst-​Cas­si­rer-​Hör­saal be­kann­te sich die Ham­bur­gi­sche Uni­ver­si­tät am 1. Mai 1933 zur "na­tio­na­len Re­vo­lu­ti­on". Foto: UHH/Uni­ver­si­täts­ge­schich­te



Kon­takt:

Prof. Dr. Rai­ner Ni­co­lay­sen
Lei­ter der Ar­beits­stel­le für Uni­ver­si­täts­ge­schich­te


t. 040.42838-​​7940
e. rai­ner.​ni­co­lay­sen@​uni-​ham­burg.de

na­no-​Bei­trag: „Deut­sche Uni­ver­si­tä­ten un­term Ha­ken­kreuz“.

Home­page Wal­ter A. Be­rend­sohn-​For­schungs­stel­le für deut­sche Exil­li­te­ra­tur.

Wis­sen­schaft un­term Ha­ken­kreuz: Vor 80 Jah­ren kam es zum „aka­de­mi­schen Ader­lass“ an der Ham­bur­ger Uni­ver­si­tät

Nur we­ni­ge Wo­chen nach­dem die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten am 30. Ja­nu­ar 1933 an die Macht ge­kom­men waren, be­gan­nen fun­da­men­ta­le Ein­grif­fe auch in die Wis­sen­schaft. Be­reits am 7. April 1933 trat das „Ge­setz zur Wie­der­her­stel­lung des Be­rufs­be­am­ten­tums“ in Kraft, das zur Ent­las­sung und Ver­fol­gung „nicht-​ari­scher“ und po­li­tisch un­er­wünsch­ter Leh­ren­der an den deut­schen Uni­ver­si­tä­ten führ­te. „Auch an der Uni­ver­si­tät – Über den Be­ginn von Ent­rech­tung und Ver­trei­bung vor 80 Jah­ren“ hieß die Zen­tra­le Ge­denk­ver­an­stal­tung, mit der die Uni­ver­si­tät Ham­burg an die Wis­sen­schaft­le­rin­nen und Wis­sen­schaft­ler er­in­ner­te, die aus ihrer Mitte ver­trie­ben wur­den.
Auch wer bis 1933 in Ham­burg Ko­ry­phäe sei­nes Fachs ge­we­sen war, wie etwa der Psy­cho­lo­ge Wil­liam Stern, war davon be­trof­fen. Als einer von mehr als 50 „nicht-​ari­schen" und de­mo­kra­tisch ge­sinn­ten Wis­sen­schaft­le­rin­nen und Wis­sen­schaft­lern – rund ein Fünf­tel des Lehr­kör­pers – wurde Stern zum Som­mer­se­mes­ter 1933 aus dem Dienst ent­las­sen. Außer ihm traf es wei­te­re be­deu­ten­de Ge­lehr­te der Uni­ver­si­tät wie den Phy­si­ko­che­mi­ker Otto Stern, den Phi­lo­so­phen Ernst Cas­si­rer, den Kunst­his­to­ri­ker Erwin Pan­ofs­ky, den Völ­ker­recht­ler Al­brecht Men­dels­sohn Bar­thol­dy, den So­zi­al­öko­no­men Edu­ard Hei­mann sowie – im Jahre 1937 wegen sei­ner „nicht-​ari­schen“ Ehe­frau – den Ma­the­ma­ti­ker Emil Artin.

Ver­lust an Wis­sen und Iden­ti­tät

Von einem „Aka­de­mi­schen Ader­lass“ sprach Dr. Do­ro­thee Sta­pel­feldt, Se­na­to­rin für Wis­sen­schaft und For­schung, in ihrem Gruß­wort für die Ver­an­stal­tung, die im Rah­men der Reihe „Ham­burg er­in­nert sich 2013“ statt­fand. Die Art und Weise, wie sich aus­ge­rech­net die Uni­ver­si­tät, als Stät­te von Ge­lehr­ten mit Eifer gleich­schal­te­te und die Ver­trei­bung der Kol­le­gen hin­nahm, sei un­fass­bar, so die Se­na­to­rin.

Der Vi­ze­prä­si­dent der Uni­ver­si­tät Ham­burg, Prof. Dr. Hol­ger Fi­scher, sagte: „In den 12 Jah­ren des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus ver­lor die Uni­ver­si­tät Ham­burg nicht nur an wis­sen­schaft­li­cher Sub­stanz – sie ver­lor ihre Iden­ti­tät. Ein Wis­sen­schafts-​ und Welt­ver­ständ­nis ging ver­lo­ren, das sich nach 1933 nur noch im Exil be­haup­ten konn­te.“

Emi­gra­ti­on der Ex­zel­lenz

In sei­nem Fach­vor­trag ord­ne­te der Lei­ter der Ar­beits­stel­le für Uni­ver­si­täts­ge­schich­te, Prof. Dr. Rai­ner Ni­co­lay­sen, die Ge­scheh­nis­se an der Ham­bur­ger Uni­ver­si­tät in den da­mals reichs­wei­ten Kon­text ein. Die Ent­las­sun­gen in Folge des „Ge­set­zes zur Wie­der­her­stel­lung des Be­rufs­be­am­ten­tums“ führ­ten ab 1933 zur Emi­gra­ti­on von etwa 2.000 Wis­sen­schaft­le­rin­nen und Wis­sen­schaft­lern aus Deutsch­land (und ab 1938 auch aus Ös­ter­reich). Sie gilt als der größ­te in­tel­lek­tu­el­le Exo­dus in der neue­ren Ge­schich­te; unter den Ver­trie­be­nen fin­den sich 24 da­ma­li­ge oder spä­te­re No­bel­preis­trä­ger wie Al­bert Ein­stein oder aus Ham­burg Otto Stern.

Die von der Ham­bur­ger Uni­ver­si­tät Ent­las­se­nen fan­den vor allem in den USA und in Groß­bri­tan­ni­en Zu­flucht. Und es gab die­je­ni­gen, denen die Flucht nicht mehr ge­lang: Die Pro­fes­so­rin für Nie­der­deut­sche Phi­lo­lo­gie Aga­the Lasch – sie war 1923 erste Pro­fes­so­rin der Ham­bur­gi­schen Uni­ver­si­tät ge­wor­den – wurde nach ver­geb­li­chen Emi­gra­ti­ons­be­mü­hun­gen 1942 in den Tod de­por­tiert. Mar­tha Muchow, Ernst Del­ban­co, Ger­hard Las­sar und Kurt Pe­rels be­gin­gen Sui­zid.

Ras­sen­kun­de auf dem Lehr­plan

In­fol­ge der Ver­trei­bung jü­di­scher Wis­sen­schaft­ler wur­den ganze Fä­cher und Fach­rich­tun­gen ge­schlos­sen. Die Pro­fes­sur für Phi­lo­so­phie etwa – der Lehr­stuhl Ernst Cas­si­rers, der 1929/30 Rek­tor der Uni­ver­si­tät ge­we­sen war und 1933 als Jude ent­las­sen wurde – wurde für die Er­rich­tung des Or­di­na­ri­ats für Ras­sen­kun­de be­nutzt. Die NS-​Ideo­lo­gie be­ein­fluss­te alle Fä­cher. Ge­för­dert wur­den in die­ser Zeit vor allem kriegs­wich­ti­ge Fä­cher wie Nach­rich­ten­tech­nik, Phy­sik oder Che­mie.

Stu­die­ren­de waren Motor der Gleich­schal­tung


Die ra­di­ka­le Wand­lung der deut­schen Hoch­schu­len im Jahre 1933 nahm die Mehr­zahl der Uni­ver­si­täts­mit­glie­der schwei­gend hin – öf­f­ent­li­che Pro­test­hand­lun­gen blie­ben aus. Die Zu­stim­mung zu vie­len pro­gram­ma­ti­schen NS-​For­de­run­gen wie dem Ende des „Par­tei­en­staa­tes“ und der Rück­kehr zu au­to­ri­tä­rem Re­gie­rungs­stil war aus­ge­prägt.

Als Motor der Gleich­schal­tung wirk­ten auch in Ham­burg die na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Stu­die­ren­den. Der NS-​Stu­den­ten­bund hatte sich bei den AStA-​Wah­len an fast allen deut­schen Uni­ver­si­tä­ten als do­mi­nie­ren­de Kraft be­reits vor 1933 durch­ge­setzt und dräng­te ab Fe­bru­ar 1933 zu einer „na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Hoch­schul­re­vo­lu­ti­on“ und auf die Ent­las­sung jü­di­scher Pro­fes­so­ren.

Exil­for­scher Wal­ter A. Be­rend­sohn

Einer der Pro­fes­so­ren, des­sen Ent­las­sung der NS-​Stu­den­ten­bund so­fort for­der­te, war der jü­di­sche Ger­ma­nist Wal­ter A. Be­rend­sohn (1884-​1984), So­zi­al­de­mo­krat, Hu­ma­nist und Pa­zi­fist. Er hatte seit 1919 an der Uni­ver­si­tät ge­lehrt und floh nach sei­ner Ent­las­sung 1933 ins Exil nach Dä­ne­mark, spä­ter nach Schwe­den. Prof. Dr. Do­er­te Bi­sch­off, Lei­te­rin der Wal­ter A. Be­rend­sohn-​For­schungs­stel­le für deut­sche Exil­li­te­ra­tur, re­fe­rier­te im zwei­ten Fach­vor­trag der Ver­an­stal­tung über seine Le­bens­ge­schich­te und die von ihm be­grün­de­te Exil­li­te­ra­tur-​For­schung.

Nach Ende des „Drit­ten Reichs“ woll­te Be­rend­sohn nach Ham­burg zu­rück­keh­ren, doch die Dis­kri­mi­nie­rung dau­er­te an: Die Phi­lo­so­phi­sche Fa­kul­tät ver­hin­der­te in den 1950er Jah­ren die Rück­kehr des Exil­for­schers, der sie mit ihrer ei­ge­nen Ge­schich­te im „Drit­ten Reich“ und damit auch mit ihren Ver­säum­nis­sen kon­fron­tiert hätte.

Gründ­li­che Auf­ar­bei­tung erst nach Jahr­zehn­ten


Erst in den 1980er Jah­ren be­gann die wis­sen­schaft­li­che Er­for­schung der Ge­schich­te der deut­schen Uni­ver­si­tä­ten in der NS-​Zeit. Die Uni­ver­si­tät Ham­burg hat hier mit dem For­schungs­pro­jekt „Hoch­schul­all­tag im ‚Drit­ten Reich‘“, das 1991 in eine gleich­na­mi­ge, drei­bän­di­ge Ver­öf­f­ent­li­chung mün­de­te, Maß­stä­be ge­setzt, denen sie sich seit­her ver­pflich­tet fühlt.
Red.
 



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