„Was ich noch zu sagen hätte“ – mit diesen Worten kündigte Prof. Dr. Schulz von Thun seinen Abschiedsvortrag an der Universität an. Geladen hatte er am 23. Oktober ins Audimax, das schließlich aus allen Nähten platzte. 42 Jahre an der Universität ließ er Revue passieren: Es wurde ein amüsanter, aber auch trauriger Abschied. Wir haben die Gelegenheit genutzt, um Prof. Schulz von Thun nach ganz persönlichen Eindrücken seiner Geschichte an der Universität zu befragen.
Herr Schulz von Thun, es war eine sehr bewegende Abschiedsvorlesung, die Sie im Audimax am 23. Oktober gehalten haben. Sie haben 42 Jahre an der Universität verbracht, zuerst als Student, dann als wissenschaftlicher Mitarbeiter und später als Professor des Fachbereichs Psychologie. Sie haben in dieser Zeit viel erreicht und mehrere Bücher geschrieben, die Millionenauflagen erreichten und zu Standardwerken der Angewandten Kommunikationspsychologie wurden. Mit welchen Gefühlen verlassen Sie jetzt die Universität?
Mit vielen Gefühlen zugleich: Einerseits bin ich heilfroh, gewissen unerträglichen Zuständen zu entkommen (Raumnot, unwirtliche Zustände im Wiwi-Bunker, Administrationszumutungen....); andererseits habe ich das Gefühl, die Kolleginnen und Kollegen in großer Not im Fachbereich Psychologie im Stich zu lassen; dann gibt es Wehmut, dass meine Stelle nicht so wiederbesetzt wird, dass die Psychologie zwischenmenschlicher Kommunikation als Hamburgensie fortgesetzt werden kann; ein wenig Stolz auf meine wissenschaftliche Hinterlassenschaft und vor allem große Dankbarkeit dafür, dass ich hier als Wissenschaftler und Mensch aufblühen konnte und für die wunderbare Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen…, mit einigen besonders.
Was werden Sie am meisten an der Universität vermissen?
Wahrscheinlich die Studentinnen und Studenten! Wir Uni-Dozenten sind sehr privilegiert, dass unsere „Zielgruppe“ ganz überwiegend intelligent, engagiert, aufgeschlossen und z.T. kontaktfähig ist. Manch Lehrer/Sozialarbeiter müsste uns beneiden.
Sie haben früh Ihre Forschung in die Praxis getragen, haben zum Beispiel in den 70ern Kommunikationstraining für Führungskräfte bei der BP durchgeführt. Was war hierzu der Anlass, warum gab es hier besonderen Bedarf?
Mein Lehrer Reinhard Tausch hatte Ende der sechziger Jahre einen aufregenden Befund veröffentlicht: Lehrer, Eltern und Pädagoginnen benehmen sich gegenüber Kindern und Jugendlichen zum großen Teil wenig respektvoll und überaus bevormundend – so könne hierzulande keine demokratisch-partnerschaftliche Haltung im Miteinander wachsen. Da meldete sich die BP: Ihre Führungskräfte wären ebenfalls noch von der alten Schule, das Obrigkeitsdenken würde eine zeitgemäße Kooperation behindern. Ob wir solche Trainingskurse, die für Lehrer und Eltern konzipiert waren, auch für ihre Führungskräfte anbieten könnten?
Die Erkenntnisse der Psychologie sind häufig von der Art, dass ihre Umsetzung eine menschliche Herausforderung darstellt: Das Wissen allein nützt wenig, es ist nicht technisch umsetzbar. Sondern der anwendungswillige Mensch muss hineinwachsen in die Erkenntnis, so dass Wissen sich in Können verwandelt. Dafür haben wir Seminare angeboten, in denen Kopf, Herz und Hand gleichermaßen angesprochen waren: Aufklärung, Training und Selbsterfahrung/Persönlichkeitsentwicklung.
Worauf kommt es für Sie bei der Kommunikation im beruflichen Kontext/in hierarchisch strukturierten Arbeitsumgebungen besonders an?
Dass Steuerung und Verständigung, Sach- und Beziehungsebene, Professionalität und Menschlichkeit, Rollenbewusstsein und Partnerschaftlichkeit auf Augenhöhe, „klare Ansage“ und aufgeschlossenes Hinhören – dass all diese Gegensätze erkannt werden als Prinzipien, die einander ergänzen und die ein ausbalanciertes Fähigkeitsprofil erfordern, besonders für Führungskräfte. Das eine jeweils ohne das andere ist „Murks“.
Hat sich seither etwas an der Kommunikationskultur in großen Unternehmen geändert? Haben sich die Probleme heute gewandelt?
Doch, da hat sich viel geändert. Nicht immer und überall, und zuweilen gibt es barbarische Rückfälle. Aber das Bewusstsein, dass in Organisationen auch die (zwischen-)menschliche Ebene berücksichtigt und sorgsam gehandhabt werden will, das hat sich herumgesprochen. Bei aller notwendigen Ergebnisorientierung ist das Bewusstsein und die Sensibilität für Prozesse gewachsen. Z.B. das Wort „Teamentwicklung“ gab es in den siebziger Jahren noch nicht – und „Feedback“ war auch ganz neu...
Die Erfahrung bei der BP gab dann den Impuls für Ihre weitere Forschungstätigkeit in der Kommunikationspsychologie und den Aufbau des Schwerpunkts „Beratung und Training“ an der Universität. Worin unterscheidet sich das von Prof. Redlich und Ihnen entwickelte Konzept von anderen (Lehr-)Ansätzen? Worauf sind Sie in diesem Zusammenhang besonders stolz?
Für uns zentral ist die Idee „To give Psychology away“: Psychologische Erkenntnisse müssen in die Praxis getragen werden – und es reicht dafür nicht aus, etwas zu „wissen“. Unserem Verständnis nach ist die Vermittlung von Psychologie eine Kunstgattung sui generis, die besonderer Fähigkeiten bedarf, so dass Wissenschaft und Mensch sich in stimmiger Weise aufeinander zubewegen können. Im Anwendungsschwerpunkt „Beratung und Training“ geht es genau um diese Kunst der Vermittlung. Und es geht von Anfang an um die Verbindung von Kopf, Herz und Hand.
Ich durfte den Eindruck gewinnen, dass unsere Diplompsychologinnen und -gen in der Praxis sehr gut gelandet sind und dass ihr Wirken dort von Sinn und Segen ist. Darauf darf man etwas stolz sein, auch wenn manche Weiterbildung erst nach dem Examen beginnt (und beginnen sollte). – Dass der Professor sich auch als Trainer und Coach begreift, ist für unsere Ausbildung essentiell.
In Ihrem letzten Buch haben Sie das Modell vom „Inneren Team“ entwickelt. Dabei geht es um inneres Konfliktmanagement bei schwierigen Entscheidungen. Damit würdigen Sie im Grunde die Pluralität der Stimmen und Gefühle, die wir manchmal in uns tragen. Wieso können wir besser kommunizieren, wenn wir widerstreitende Gefühle in uns identifizieren?
Plakativ gesagt: Wer sich selbst versteht, kommuniziert besser! Ein klares Selbstverständnis, eine achtsame Selbstempathie sind allerdings gar nicht leicht zu erreichen. Der Mensch ist mit sich selber nicht ein Herz und eine Seele, es gibt in fast allen Situationen des Lebens viele innere Wortmelder, die miteinander, durcheinander und gegeneinander agieren. Mit diesem „zerstrittenen Haufen“ in der Kommunikation und überhaupt im Leben eine klare Linie zu finden, das erfordert sowohl Sensibilität als auch Führung durch den „Chef“.
Die gute Nachricht: Es ist menschenmöglich, aus der Not (der Pluralität und Uneinigkeit) eine Tugend zu machen: die Kräfte zu vereinen, die Weisheit der einzelnen Wortmelder zu integrieren und die innere Vielfalt für Synergien zu nutzen. „Exzellenz ist vernetzte Vielfalt“ heißt es im Leitbild der Universität. Das gilt auch für Individuen. Es ergibt sich daraus aber auch die folgenschwere Erkenntnis, dass eine bessere Kommunikation nicht allein durch Training erreichbar ist, sondern auch eine Auseinandersetzung mit dem inneren Menschen erfordert. Dass die Selbstklärung eine so wichtige Rolle spielt, wusste der frischgebackene Diplompsychologe von 1971, der als „Trainer“ die Bühne betrat, noch nicht.
Sie haben in Ihrer Abschiedsveranstaltung Ihre Arbeit Revue passieren lassen, dabei auch ein gutes Stück Geschichte der Universität reflektiert. Als Student haben Sie die legendäre Besetzung des Audimax miterlebt, Sie selbst sind in den 70ern zum Professor berufen worden, heute haben Sie sich wiederum im Audimax vor einem vollen Auditorium verabschiedet. Wie war das für Sie?
Dass Audimax 1+2 bis auf den letzten Platz voll sind, das war, was die Psychologie betrifft, zuletzt bei der Ehrendoktorfeier für Ruth Cohn 1979 der Fall. Diese meine Abschiedsveranstaltung war für mich überaus bewegend – sie geriet daher emotionaler, als ich geplant hatte (ich war wild entschlossen, die Fassung zu bewahren!). 42 Jahre waren eine lange Zeit!
Wie schauen Sie auf diese bewegte Geschichte zurück?
Seit 1967, meinem ersten Semester, ist viel passiert: die Auseinandersetzung (auch innere Auseinandersetzung) mit den „Linken“, die uns klug gelehrt hatten, Wissenschaft auch im Systemzusammenhang der Gesellschaft zu begreifen (und gleichzeitig sehr unklug die Indikation für eine Revolution ausgemacht hatten). Dann sehr nachdrücklich die Kritik an einer Mainstream-Psychologie, die mehr Sorge um ihre „Wissenschaftlichkeit“ als um ihre Bedeutsamkeit für das Leben in dieser Zeit hatte.
Das Aufkommen der Humanistischen Psychologie, die therapeutisch akzentuiert war und die Selbstverwirklichung des Menschen postulierte. Damit verbunden war eine Kultur der Nähe, des sich Duzens mit den Studierenden: Partnerschaft statt Hierarchie (inzwischen hat sich das wieder eingependelt – wir wissen auch den Wert der Distanz und des klaren Rollenbewusstseins wieder zu schätzen, aber um das allzu Steife zu entkrampfen, war dies wohl eine heilsame Zwischenphase).
Die Forschungen von Reinhard Tausch, dass in Erziehung und Unterricht neben allen inhaltlichen und curricularen Fragen vor allem die Art des Miteinander-Umgehens darüber entscheidet, wie die seelische Entwicklung gelingen oder misslingen kann.
Dann die zeitgeistentsprechende Veränderung der Psychologie-Studierenden etwa seit 1985: Die einseitige soziale Orientierung (für die Schwachen und Benachteiligten) wurde abgelöst durch eine zunehmende Öffnung für die Wirtschaft als mögliches Betätigungs- und Gestaltungsfeld. Sie wurden nun weniger kritisch, dafür netter und kooperativer („Kooperation statt Klassenkampf“), auch aufgeschlossener für das Studienangebot. Die jahrelangen nervigen und geisttötenden Störungen der Großvorlesungen durch eine sog. Marxistische Gruppe fanden 1989 ein abruptes Ende.
Endlich dann die Beachtung und Aufwertung von Lehre und Weiterbildung an der Universität. Zum Thema „Verbesserung der Lehre“ hatte ich manch gute Kooperation mit dem damals neuen Präsidenten Lüthje. Und der Fischer-Appelt-Preis wurde jährlich verliehen, auch einmal an meinen Kollegen Alexander Redlich. In der Weiterbildung wurde die „Zusatzausbildung Kommunikationspsychologie“ (ZKP) ein großer Erfolg – und ist es bis heute.
Nun vollzieht sich ein nahezu vollständiger Generationswechsel: Die Alten sind fast alle ausgeschieden, die Neuen nur zum Teil schon da. Als ich anfing zu studieren, war die Psychologie durch das „Triumvirat“ Hofstätter –Pawlik–Tausch geprägt. Es gab keine einzige Frau unter den Professoren. Heute haben wir ein „Triumfeminat“ Bamberg, Oettingen, Röder in den drei Schwerpunktprofessuren. Man darf hoffnungsvoll und gespannt sein.
Was wünschen Sie der Universität für die kommende Phase?
Dass neben Forschung und Lehre die „Bildung“ als dritte Aufgabe nicht nur über dem Portal des Hauptgebäudes steht, sondern dass dies vorrangig im Blick und für die anstehenden Innovationen handlungsleitend bleibt. Dass die Universität ein Ort bleibt und wird, wo die Studierenden nicht nur Wissen für die Klausuren anhäufen, sondern ganzheitlich in ihrer geistigen Menschwerdung gefördert und gefordert werden. Dass die Uni nicht nur kurzfristige Verwertbarkeit bedient (das durchaus auch!), sondern sich als Ort versteht, wo über die Bewahrung der Schöpfung und der humanen Entwicklung von Demokratie und Gesellschaft ernsthaft und klug nachgedacht wird. Dass sie einen ebenso zielstrebig/professionellen und dialogfähigen Präsidenten (oder Präsidentin) bekommt, womöglich sogar ohne „Headhunter“? Und dass sie in zehn Jahren zum Stolz aller Hamburger ihr 100-jähriges Jubiläum feiern kann und die Mönckebergstraße dafür gesperrt werden muss!
Und was haben Sie sich für die Zukunft vorgenommen?
Ich habe ein „Schulz von Thun-Institut für Kommunikation“ gegründet mit neuen Räumen in der Warburgstraße am Dammtor und möchte weiterhin Beratung, Aus- und Weiterbildung in Kommunikationspsychologie anbieten, sowohl für die Wirtschaft, als auch für Privatleute und im Nonprofit-Bereich. Die Zusatzausbildung Kommunikationspsychologie (ZKP) wird es für Absolventen aller Fachbereiche weiterhin geben, in Kooperation mit dem Verein für Weiterbildung e.V. an der Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, mit Universitätszertifikat. All das in enger Zusammenarbeit mit meinen Kollegen aus dem „Arbeitskreis Kommunikation und Klärungshilfe“.
Auch eine Vorlesungsreihe für Führungskräfte und Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen zur zwischenmenschlichen Kommunikation habe ich im Kopf. Jetzt habe ich so viel gelernt, dass ich es gern noch eine Weile weitergeben möchte. Möge die gute Balance von Produktivität und Geruhsamkeit gelingen!
Herr Schulz von Thun, haben Sie vielen Dank für das Gespräch!Die Aufzeichnung des Vortrags am 23. Oktober 2009 finden Sie auf Lecture2Go...