Was schätzen Sie, wie viel Prozent der Wissenschaftler/innen an der Universität Hamburg twittern?
Auf Twitter gibt es täglich nur ein paar Tweets (Kurzmeldungen mit max. 140 Zeichen, Anm. d. Red.), deren Absender als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universität Hamburg erkennbar sind. Die tatsächliche Zahl der Twitter-Nutzer an der Uni dürfte aber deutlich größer sein. Viele Kolleginnen und Kollegen schreiben nicht explizit, wo sie arbeiten und werden daher nicht von den Suchmaschinen erfasst. Schätzen ist daher schwer, aber ich vermute, es sind deutlich weniger als an vergleichbar großen US-Universitäten.
Und warum sollten mehr Wissenschaftler/innen twittern?
Ganz einfach: Twitter ist ein einzigartiges Werkzeug für alle Leute, die sich schnell über aktuelle Entwicklungen auf ihrem Fachgebiet informieren wollen. Es ist der Nachrichtenticker der Wissenschaft.
Aus ersten Studien zur Twitter-Nutzung wissen wir, dass mehr als zwei Drittel der Twitter-Kommunikation unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern das so genannte „Professional Mindcasting“ betrifft, das heißt sie tauschen sich über berufliche Gedankengänge aus.
Das Vorurteil, auf Twitter werde vor allem Nonsense geschrieben, gilt damit – speziell für die Scientific Community – nicht.
Leider ist das Handwerk des wissenschaftlichen Twitterns nicht selbsterklärend. Häufig berichten mir Studierende und auch Kollegen, dass sie sich irgendwann mal bei der Plattform registriert haben, aber nach dem ersten Ausprobieren die Lust verloren haben, weil man da vor sich hinzwitschert und es keinen interessiert.
Denn bei Twitter geht es wie im gesamten Social Web nicht nur um die Produktion von Inhalten und deren Rezeption, sondern vor allem um die Interaktion zwischen Mediennutzerinnen und -nutzern. So wenig man in einer Fachzeitschrift nur die Überschriften liest, so wenig sollte man es auf Twitter bei der Lektüre von Tweets belassen.
Die Tweets verweisen auf aktuelle, ausführlichere Veröffentlichungen in wissenschaftlichen Medien und persönlichen Foren oder sie sind Kommentare zu aktuellen Fachdiskursen. Die muss man sich dann erschließen, prüfen und diskutieren. Wie überall findet sich unter den Inhalten auch viel Schrott, aber das Risiko, ihm zu begegnen, lässt sich durch kuratierte Debattenlisten recht gut minimieren.
Gibt es noch andere Dienste, die Sie Wissenschaftler/innen empfehlen würden?
Empfehlenswerte kostenlose Dienste, mit denen bereits ebenfalls viele Kolleginnen und Kollegen an der Universität Hamburg arbeiten, sind Slideshare, MyPlick, Slideboom und Slideserve. Hier kann man kostenlos Powerpoint-Präsentationen sowie PDF-Dateien hochladen und anderen zur Verfügung stellen.
Geteiltes Wissen, geteilte Lehrmaterialien sind etwas Großartiges. Wir können uns informieren, wie Kollegen im In- und Ausland Vorträge und Seminare zu Forschungs- und Lehrgebieten aufbauen, die uns interessieren.
Mit Blick auf die Lehre sind kostenlose Blogging-Plattformen wie Wordpress, Blogger oder Tumblr empfehlenswert, auf denen man sein Lehrmaterial und vor allem aktuelle Links zu Videos, Aufsätzen oder Büchern im Netz sammelt.
Gibt es Social Media oder soziale Netzwerke, die speziell für Wissenschaftler/innen gedacht sind?
Soziale Netzwerke sind eine Sonderform der sozialen Medien. Zu den Netzwerken, deren Architektur speziell für eine wissenschaftliche Zielgruppe konzipiert wurde, zählen Academia, Epernicus, Quartzy, ResearchGate und Mendeley. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hinterlegen dort ihre Profile und können viele Zusatzfunktionen speziell für den wissenschaftlichen Betrieb nutzen.
Wie bei allen sozialen Medien sollte man sich gut überlegen, ob das Einrichten und Pflegen einer weiteren Plattform sinnvoll ist. Hier gibt es auch von Fach zu Fach Unterschiede. Jeder Fachbereich hat seine eigene Kommunikationskultur und jeder Mensch einen individuellen Kommunikationsstil. Man muss für sich selbst rausfinden, welche Plattform die richtige ist.
Was können Wissenschaftler/innen durch die Nutzung von Twitter, Facebook und Co konkret erreichen?
Soziale Medien können die wissenschaftliche Arbeit in drei Bereichen unterstützen: Im ersten Arbeitsbereich, dem der Forschung, helfen sie bei der Aktualisierung von Wissen durch einen verbesserten Austausch von Forschungsbefunden und tragen zur Qualitätssicherung durch Transparenz bei. Wir haben Letzteres am Beispiel des GuttenPlag-Wikis gesehen, das die Enthüllung der Verletzung wissenschaftlicher Regeln durch Karl-Theodor zu Guttenberg beschleunigt hat.
Im zweiten Arbeitsbereich, dem der Lehre, ermöglichen soziale Medien das Nutzen von geteilten Lehrinhalten. Man muss sich nur einmal die Videos auf der Plattform AcademicEarth oder die Youtube-Känale großer britischer, arabischer oder US-amerikanischer Stiftungen mit Engagement im Bildungsbereich ansehen, um zu sehen, welche großartigen Ressourcen kostenlos für die Lehre bereit stehen.
Warum soll man wertvolle Seminarzeit darauf verschwenden, ein komplexes Modell zu erklären, wenn es davon ein didaktisch hervorragend gemachtes Video auf YouTube oder Vimeo gibt? Die Studierenden können sich das zu Hause ansehen und man kann die Seminarzeit nutzen, um die Möglichkeiten und Grenzen des Modells zu diskutieren.
Im dritten Arbeitsbereich, dem des Universitätsmanagements, können soziale Medien zur Optimierung von Kommunikationsstrukturen beitragen, die Wissenschaftskommunikation und das gesellschaftliche Reputationsmanagement zugunsten von Forschung, Lehre und Bildung nachhaltig verbessern.
Kluge Kommunikationsstrategen adressieren im Bereich der Bildungsorganisation gezielt ihre Stakeholder und nutzen Social Media für das Fundraising, die Personalgewinnung, die Studentenakquise und hochschulpolitische Diskussionen mit allen Angehörigen einer Universität – vom Studierenden bis zum Präsidenten. Das setzt allerdings genaue Kenntnisse der Potentiale und Risiken von Kommunikation in sozialen Medien voraus, denn Zielgruppenansprache ist hier immer Zielgruppendialog.
Kann es nicht vielleicht auch unseriös wirken, wenn ein Wissenschaftler z.B. twittert? Und ist das nicht auch eine ziemliche Zeitverschwendung?
Dieses Imageproblem von Twitter ist vor allem ein sozialisationsspezifisches Phänomen, das die Zeit löst. Diejenigen, die das Twittern unseriös finden, sind in der Regel diejenigen, die Twitter nicht nutzen. Wer Twitter sinnvoll nutzt, kann sogar Zeit durch guten Informations- und Gedankenaustausch mit kompetenten Kolleginnen und Kollegen sparen.
Was würden Sie jemandem empfehlen, der bislang noch keine Social Media nutzt, aber es gern ausprobieren möchte? Mit welchem Dienst sollte er oder sie anfangen?
Twitter. Ich denke nur wenige von uns haben Zeit und Muße, einen Blog wöchentlich mit zwei bis drei Beträgen zu füllen. Selbst Leute wie Lawrence Lessig, die das über Jahre sehr diszipliniert gemacht haben, lassen es häufig irgendwann bleiben. Twitter hingegen ist unkompliziert und effizient. Auf dem von unserem Arbeitsbereich betriebenen Blog (www.medien21.wordpress.com) geben wir Tipps zur Nutzung des Microblogging-Diensts, die ich Einsteigerinnen und Einsteigern empfehlen würde.
Und verraten Sie uns zum Schluss, unter welchem Namen Sie twittern?
Gerne, vielleicht lerne ich so weitere Kolleginnen und Kollegen an der Uni Hamburg kennen. Unter dem Kürzel st_burkhardt twittere ich über meine Forschung an der Schnittstelle von öffentlicher und privater Kommunikation, Social Media und Wissenschaft.
Zur Person:
Dr. Steffen Burkhardt lehrt und forscht in der Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Universität Hamburg zu Medien, Öffentlichkeit und Kommunikation. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen soziale Medien, Reputationsmanagement und Medienethik.
Nützliche und weiterführende Links:
Social media: A guide for researchers (links and resources):
http://www.rin.ac.uk/node/1009
http://www.lisa.gerda-henkel-stiftung.de/content.php?nav_id=1702