Kontakt:
Annette Ranko
GIGA Institut für Nahost-Studien
Neuer Jungfernstieg 21
20354 Hamburg
t. 040.42825-537 oder -523
e. annette.ranko-at-giga-hamburg.de
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Die Muslimbruderschaft stellt sich einen Staat vor, den sie selbst „einen demokratischen Zivilstaat mit islamischem Referenzrahmen“ nennt. Diese Staatsvorstellung zerfällt sozusagen in zwei Teile: in einen zivilen demokratischen Staat, der sich vor allem auf den Aufbau von staatlichen Institutionen und politischen Entscheidungsstrukturen bezieht. Auf dieser prozessualen Ebene integriert man westliche demokratische Konzepte. Es soll bspw. freie regelmäßige Wahlen geben, Machtrotation durch Wahlen, Gewaltenteilung und Parteienpluralismus.
Dann gibt es aber noch den anderen Teil des Staates, der durch den islamischen Referenzrahmen abgedeckt ist, und hier sollen im Bereich der Kultur und der Moral stark konservative islamische Werte gelten und auch durch den Staat umgesetzt werden. Das tangiert natürlich vor allem die Rolle der Frau, aber genauso auch das Verhalten von Männern gegenüber Frauen im öffentlichen Raum.
Nach dem Sturz Mubaraks hat die Muslimbruderschaft in den ersten Parlamentswahlen fast 45% der Stimmen erhalten. Und die erste Präsidentschaftswahl haben sie auch für sich entscheiden können. Mohammed Mursi wurde damit der erste Präsident aus den Reihen der Muslimbrüder überhaupt. Diese Mehrheit hat man natürlich beim Schreiben der Verfassung eingesetzt. Die Verfassung, die 2012 erarbeitet und nun ausgesetzt wurde, ist vom Staatsverständnis der Muslimbruderschaft durchdrungen.
Mit den Muslimbrüdern ins Gespräch zu kommen war immer dann schwieriger, wenn gerade eine Repressionswelle des Regimes gegen sie im Gange war. Ansonsten ist es mir vor allem darüber gelungen, dass mir ägyptische oder deutsche Wissenschaftler vor Ort weitergeholfen haben mit ihren Kontakten oder dass ich auch eigene Kontakte aus meinem Studium nutzen konnte – ich hatte in Kairo studiert. Bekannte, die bei linken oder liberalen Oppositionsgruppen aktiv waren, konnten mir dann Kontakte zu Muslimbrüdern, mit denen sie z.B. bei Demonstrationen kooperiert hatten, verschaffen.
Nein, ich konnte ganz normal meine Recherchen durchführen. Ein Problem hätte eher bedeuten können, dass ich Westlerin bin, das ist der erste Graben, den man überwinden musste. Die Tatsache, ob man Christin oder Muslimin war, war eigentlich nicht relevant. Ich wurde manchmal darauf angesprochen, welcher Religion ich angehöre, aber eigentlich nicht vornehmlich von Muslimbrüdern, sondern auch von anderen Oppositionellen. Aber wenn man sich darauf berief, Christin zu sein, war das kein weiteres Thema.
Mich haben schon früh soziale Ungleichheiten, die man z.B. als Kind im Urlaub mit seinen Eltern beobachten konnte, und die unterschiedlichen Lebensstandards, die ich in Westeuropa und der arabischen Welt und vor allem Ägypten gesehen hatte, interessiert. Es hat mich immer interessiert, wie diese Gefälle entstehen können.
Ich glaube, der größte Fehler der Muslimbrüder war, dass sie nach dem Sturz Mubaraks ihre eigentlich konziliante und kooperative Linie, die sie vor allem in den letzten zehn Jahren unter Mubarak verfolgt haben, zu einem großen Teil aufgeben haben. Vor dem Sturz Mubaraks haben sie mit vielen Linken und Liberalen kooperiert. Sie hatten den Slogan: „Partizipieren, nicht dominieren“. Seit dem Sturz Mubaraks hat das abgenommen. Sie haben dann die Macht nicht gerade an sich gerissen, sie haben schließlich durch Wahlen gewonnen, aber sie haben die Macht genutzt. Das ist vielen anderen Kräften aufgestoßen, die sich ignoriert gefühlt haben.
Der größte Fehler war, denke ich, dass die Muslimbrüder zusammen mit anderen islamistischen Kräften in der verfassungsgebenden Versammlung die anderen Kräfte an den Rand gedrängt haben.
Die Gefahr, dass sich im islamistischen Spektrum einzelne Kräfte oder größere Teile radikalisieren, ist natürlich gegeben, stärker als es noch in den letzten Jahren der Fall war. Wobei man natürlich auch immer sagen muss, dass das islamistische Spektrum viel größer ist als die Muslimbruderschaft und auch ehemals gewaltbereite Teile umfasst wie Gamaa Islamiya, die in den 90er Jahren zahlreiche Terrorakte verübt hat. Hier ist eine Rückkehr zur Gewalt durchaus gegeben.
Beide Seiten müssten sich dialogbereit zeigen. Einerseits müsste das Militär nicht bloß Lippenbekenntnisse abgeben, dass es die Muslimbruderschaft integrieren will, sondern auch mit Verhaftungswellen und strafrechtlicher Verfolgung angemessen umgehen.
Und die Muslimbruderschaft muss natürlich auch von ihrer Hardliner-Position abgehen, dass sie mit niemandem reden. Offiziell ist ja die Position, dass sie mit niemandem aus der neuen Regierung in Dialog treten, solange nicht Mursi wieder an der Macht ist. Beide müssten sich also aufeinander zubewegen.
Ich denke, dass sie 40% zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr erreichen würden. Viele dieser Wähler gehörten nicht zur Kernanhängerschaft, sondern waren Sympathisanten, die sich von der Performance der Muslimbruderschaft in den letzten Jahren unter Mubarak beeindruckt gezeigt haben. Viele waren von der Muslimbruderschaft beeindruckt, da sie seit 2005 stärkste Kraft im Parlament war und immer wieder gegen Mubaraks autoritäre Herrschaft eingetreten ist.
Seit Mursis Präsidentschaft haben sich diese Sympathiewähler aber so ziemlich erledigt. Momentan gibt es noch die Kernanhängerschaft der Gruppierung, aber es ist unklar, wie groß die wirklich ist, weil die Organisation jahrzehntelang eine illegale Organisation war und vielleicht bald wieder sein wird, d.h. es gibt keine verlässlichen Zahlen über die Anhängerschaft der Gruppe.
Im Fokus steht jetzt auf jeden Fall die Publikation der Doktorarbeit, möglichst bei einem guten Verlag. Die Arbeit wurde ja auf Englisch verfasst und viele der britischen und amerikanischen Verleger verlangen eine mehrmonatige Überarbeitung des Textes, so dass ein gut lesbares Werk dabei herauskommt. Das hat jetzt auf jeden Fall Priorität und dann habe ich auch schon für die nächsten zwei, drei Jahre Ideen für das nächste Forschungsprojekt.
Annette Ranko hat Arabisch, Französisch und Neugriechisch an den Universitäten Paris Diderot, Paris Sorbonne und Mainz-Germersheim studiert und anschließend den Studiengang „Sprachen, Wirtschafts- und Kulturraumstudien“ an der Universität Passau. Ein einjähriges Auslandsstudium hat sie an der Universität Kairo absolviert. Anschließend legte sie den Master of Arts in „Near and Middle Eastern Studies“ an der Universität London ab. Ihre Doktorarbeit verfasste sie an der Universität Hamburg als Mitglied im Doktorandenprogramm des Instituts für Nahost-Studien, Leibniz-Institut für Regionale und Globale Studien (GIGA) in Hamburg. Seit März 2011 arbeitet sie dort als wissenschaftliche Mitarbeiterin mit dem Zuständigkeitsbereich Islamismus, islamische Bewegungen.
Mit dem Deutschen Studienpreis zeichnet die Körber-Stiftung unter der Schirmherrschaft von Bundestagspräsident Norbert Lammert die wichtigsten Dissertationen des Jahres aus. Die drei mit je 30.000 Euro dotierten Spitzenpreise gingen 2013 an Annette Ranko von der Universität Hamburg, Philip Mader von der Universität zu Köln und Anne Jung von der Universität des Saarlandes.