Verhaltenskodex Religionsausübung
Verhaltenskodex zur Religionsausübung an der Universität Hamburg
1. Die Universität ist eine Einrichtung der Forschung, Lehre und Bildung. Sie ist eine säkulare, auf Pluralität in weltanschaulichen Fragen verpflichtete Institution, die den Methoden und Standards wissenschaftlicher Forschung und Lehre verpflichtet ist. Die Freiheit in Forschung und Lehre beinhaltet auch die Freiheit von wissenschaftsfremden Einflüssen auf ihre Methoden, sachlichen Standards und Personalentscheidungen. Auch die Präsentation religiöser Inhalte muss daher wissenschaftliche Standards erfüllen. Die Ablehnung wissenschaftlicher Inhalte, Methoden und Personen aus rein religiösen bzw. konfessionellen Gründen genügt diesen Anforderungen nicht und ist im Zweifelsfalle als eine Form religiös motivierter Diskriminierung anzusehen. Dies gilt auch in der Lehre als einer Form des wissenschaftlichen Austausches, nicht aber des religiösen Bekenntnisses.
2. Die Religionsfreiheit der Universitätsangehörigen, d.i. der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, der Studierenden sowie der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist gewährleistet.[1] Diese umfasst nicht nur die Freiheit, einen Glauben zu haben und diesen auszuüben, sondern auch die Freiheit, keinen Glauben zu haben. Zu dieser Freiheit gehören neben der Verwendung religiöser Symbole, mit denen die Zugehörigkeit zu einem Glauben zum Ausdruck gebracht wird, auch die dem jeweiligen Glauben gemäßen Verhaltensweisen.[2]
3. Die Ausübung religiöser Freiheit in der Universität setzt die Anerkennung Anderer und den Respekt vor deren Glauben oder Unglauben und deren Überzeugungen voraus. Die Religionsfreiheit der Einen kann nicht weiter reichen als die Religionsfreiheit der Anderen. Dies schließt die Freiheit, nicht zu glauben, ebenso ein wie die Freiheit, kein glaubensgemäßes Leben zu führen und keine religiösen Symbole zu verwenden sowie keine Bekleidungen zu tragen, die religiös motiviert sind. Ein religiös motivierter Druck zu einem „richtigen“ Verhalten widerspricht der Religionsfreiheit. Die gleiche Freiheit aller Universitätsangehörigen ist ebenso zu respektieren, wie jede Form der Diskriminierung zu unterlassen ist. Alle Universitätsangehörigen bekennen sich zur Gleichberechtigung der Geschlechter und zur gleichberechtigten Teilhabe am gesamten Universitätsleben.[3]
4. Der wissenschaftliche Auftrag der Universität ist zu respektieren. Die Ausübung religiöser Freiheit endet dort, wo dieser beeinträchtigt oder gefährdet ist. In diesem Rahmen darf die Freiheit des religiösen Bekenntnisses nur unter der Bedingung praktiziert werden, dass ihre Ausübung keine Beeinträchtigung oder Gefährdung der Wissenschaft bedeuten. Ebenso dürfen religiöse Verhaltensweisen oder die Verwendung von religiösen Symbolen nicht die Ausübung von Forschung, Lehre und Bildung beeinträchtigen.[4]
5. Die Universität ist ein Ort des Respekts und der Toleranz. Konflikte, die sich aus Glaubensüberzeugungen und ihren Formen der Ausübung mit anderen Überzeugungen sowie den Erfordernissen von Forschung, Lehre und Bildung ergeben, sind, soweit es mit dem wissenschaftlichen Auftrag vereinbar ist, einer konstruktiven Lösung zuzuführen. Dies setzt bei allen Beteiligten die Anerkennung des Primats von Forschung, Lehre und Bildung voraus.
6. Die Pluralität religiöser und nicht-religiöser Lebensweisen in der Universität schließt es aus, die Durchführung von Forschung und Lehre an allen Formen der religiösen Gestaltung des Alltags auszurichten. Dies gilt auch für die zeitliche Gestaltung der universitären Angebote. Die Rücksichtnahme auf religiöse Feiertage[5] ist eine Form des Respekts, die freilich – über gesetzliche Feiertage und die durch die Paragraphen 3 und 3a des Feiertagsgesetzes gewährten Rechte[6] hinaus – mit den Anforderungen an die Organisation von Forschung und Lehre vereinbar bleiben muss. Auch die Berücksichtigung religiöser Speisevorschriften ist eine Form der Rücksichtnahme.[7] Wo immer das ohne Einschränkung des wissenschaftlichen Auftrags möglich ist, soll Rücksicht genommen werden. Die Verpflichtung auf eine Form der konstruktiven Lösung von Konflikten setzt bei allen Betroffenen den Verzicht darauf voraus, eine konfessionell oder nicht-konfessionell begründete Vorrangstellung zu beanspruchen. Die Universitätsangehörigen verpflichten sich gleichermaßen auf den primären Auftrag der Universität und die Teilhabe an Forschung, Lehre und Bildung.[8]
7. Die Angehörigen der Universität treten für diese Grundsätze ein. Lehrende und andere für die Gewährleistung des erfolgreichen Wissenschaftsbetriebs Verantwortliche werden durch pragmatisch angemessene Modi der Delegation des Hausrechtes[9] in Stand gesetzt, Beeinträchtigungen und Gefährdungen des Primats von Forschung, Lehre und Bildung im universitären Betrieb effizient zu unterbinden und für ein Klima von Respekt und Toleranz Sorge zu tragen.
FUSSNOTEN
[1] Das Begehen religiöser Feste ist beschränkt auf die dafür vorgesehenen Räume. Die Universität versteht sich nicht als Ort der Religionsausübung von Personengruppen, die nicht zur Universität gehören.
[2] Insoweit können die Verwendung von religiösen Symbolen wie dem Kreuz oder dem Davidstern, aber auch Kopfbedeckungen oder Bekleidungen von der Religionsfreiheit umfasst sein.
[3] In der Vereinbarung zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg, dem DITIB- Landesverband, SCHURA – Rat der Islamischen Gemeinschaften in Hamburg und dem Verband der Islamischen Kulturzentren vom 28. Juni 2013 (Amt. Anz. Nr. 51 (2013), S.72) heißt es in Art. 2 Abs. 2: „Die Freie und Hansestadt Hamburg und die islamischen Religionsgemeinschaften bekennen sich insbesondere zur Gleichberechtigung der Geschlechter und zur vollständigen und gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Mädchen am gesellschaftlichen und politischen sowie am schulischen und beruflichen Leben. Sie setzen sich für die Verwirklichung der gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Mädchen ungeachtet ihrer religiösen Überzeugungen an Bildung, Erwerbstätigkeit und gesellschaftlichem Leben ein und wenden sich entschieden gegen jede Art von Diskriminierung.
Protokollerklärung zu Artikel 2 Absatz 2
Die Vertragsparteien teilen die Überzeugung, dass Frauen und Mädchen die Teilhaberechte weder aus religiösen Gründen von Dritten bestritten noch wegen eines ihrer eigenen religiösen Überzeugung entsprechenden Verhaltens vorenthalten werden dürfen. Dies schließt das Recht muslimischer Frauen und Mädchen ein, nicht wegen einer ihrer religiösen Überzeugung entsprechenden Bekleidung in ihrer Berufsausübung ungerechtfertigt beschränkt zu werden.“
[4] Das Tragen religiös motivierter Bekleidung in Lehrveranstaltungen ist nicht per se eine Störung. Dies gilt auch etwa für Vollverschleierungen, solange dadurch nicht selbstverständliche Anforderungen an die wissenschaftliche Kommunikation oder an Prüfungen gestört werden. Für Lehrende können sich restriktivere Forderungen zur Neutralität ergeben. Die primäre Widmung von Veranstaltungen und Einrichtungen ist zu respektieren. So mag ein stilles Gebet auch in einer Bibliothek möglich sein, nicht aber laute und demonstrative Bekenntnisse, die die primäre Widmung stören oder aber von den Nutzern als eine Form der aufgedrängten Auseinandersetzung mit der Religion Anderer empfunden werden können. Rituelle Handlungen sind daher auf nichtstörende Handlungen zu begrenzen oder in eigens dafür gewidmete Räume zu verlagern.
[5] Über mögliche religiöse Feiertage informiert die Website der Freien und Hansestadt Hamburg: www.hamburg.de/interreligioeser-kalender/.
[6] Siehe FeiertagsG, HH: § 3a FeiertagsG „(1) An kirchlichen Feiertagen ist den Beamten und Arbeitnehmern sowie den zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten, die Mitglieder einer staatlich anerkannten Religionsgemeinschaft sind, Gelegenheit zum Besuch des Gottesdienstes ihrer Religionsgemeinschaft zu geben, soweit unabweisliche betriebliche Notwendigkeiten nicht entgegenstehen. (2) An kirchlichen Feiertagen staatlich anerkannter Religionsgemeinschaften ist den Schülern auf Wunsch Unterrichtsbefreiung zum Besuch des Gottesdienstes ihrer Religionsgemeinschaft zu gewähren.“ § 3a FeiertagsG „(1) Für Menschen islamischen Glaubens gelten die Rechte aus § 3 an folgenden Feiertagen:
1. Opferfest (Id-ul-Adha oder Kurban Bayrami), einer der zwei Tage ab zehnten Dhul-Hiddscha,
2. Ramadanfest (Id-ul-Fitr oder Ramazan Bayrami), einer der zwei Tage ab ersten Schawwal,
3. Aschura, ein Tag am zehnten Muharram.
(2) Für Menschen alevitischen Glaubens gelten die Rechte aus § 3 an folgenden Feiertagen:
1. Asure-Tag (beweglich),
2. Hizir-Lokmasi (15. Februar),
3. Nevruz (21. März).“
[7] Es wäre wünschenswert, dass das Studierendenwerk so weit wie möglich den Vorschriften der verschiedenen Religionen entsprechende Speisen in das Angebot aufnähme.
[8] Die Universität ist im Rahmen ihrer Ressourcen bemüht, allen Religionen einen angemessenen Raum für die Gestaltung ihrer religiösen Ausdrucksformen zu geben (Raum der Stille, Ausweichangebote bei zwingenden Geboten der Religion, zu ergänzen gegebenenfalls durch Handreichungen mit Informationen über nahegelegene Cem-Häuser, Kirchen, Moscheen, Synagogen, Tempel), solange und soweit der Auftrag der Universität und die gleiche Freiheit aller ihrer Mitglieder anerkannt wird. Dies setzt den Verzicht auf eigenmächtige Inanspruchnahmen von Ressourcen und Einrichtungen der Universität für die eigenen religiösen Ausdrucksformen ebenso voraus wie die Bereitschaft zur konstruktiven Konfliktlösung. In Räumen, die von der Universität zur Verfügung gestellt werden, gilt das Hausrecht der Universität.
[9] Siehe HambHG § 81 (4): „Die Präsidentin oder der Präsident übt das Hausrecht und die Ordnungsgewalt aus. Diese Aufgaben werden als staatliche Auftragsangelegenheiten wahrgenommen; sie können für bestimmte Bereiche oder für bestimmte Fälle anderen Personen übertragen werden.“
Ausführungsbestimmung des Präsidiums zum Verhaltenskodex zur Religionsausübung an der Universität Hamburg der AG Religionsausübung
- Im Raum der Stille wird keine Form der Diskriminierung geduldet. Dazu gehört unter anderem auch die Diskriminierung des weiblichen oder männlichen Geschlechts durch eine geschlechtsspezifische Teilung des Raumes.
- Religiöse Feste finden nicht auf dem Gelände der Universität statt. Sie sind auf den „Raum der Stille“ zu beschränken. Der „Raum der Stille“ ist der angemessene Raum für die Gestaltung religiöser Ausdrucksformen. Seine Nutzungsordnung ist zu befolgen.
- Die eigenmächtige Inanspruchnahme von Ressourcen und Einrichtungen der Universität für jeweils eigene religiöse Ausdrucksformen ist untersagt. Die Hochschulleitung wird in diesen Fällen das Hausrecht ausüben. Das Hausrecht kann delegiert werden.
- Rituelle Handlungen sind nur so lange zulässig, wie sie nicht von anderen Nutzern der Universität als eine Form der aufgedrängten Auseinandersetzung mit der Religion Anderer empfunden werden können. Dieses ist beispielsweise bei rituellen Fußwaschungen in sanitären Anlagen der Fall. Diese sind untersagt. Dieses gilt auch, wenn beispielsweise Gebete in Räumen der Universität oder auf dem Campus laut gesprochen werden.
- Die Verwendung religiöser Symbole (z.B. Kreuz, Davidsstern, spezifische Kopfbedeckungen) ist erlaubt. Gleiches gilt für das Tragen religiös motivierter Bekleidung, solange durch diese, z.B. durch Vollverschleierung, selbstverständliche Anforderungen an die wissenschaftliche Kommunikation, Unterrichtsdurchführung oder an Prüfungen (Feststellung der Identität) nicht behindert werden.
- Eine organisatorische Orientierung des Lehrveranstaltungsplans bzw. von anderen Veranstaltungen der Universität an religiösen Geboten, etwa des Tagesablaufs, findet nicht statt.
- Eine Rücksichtnahme des Universitätsbetriebs auf mögliche religiöse Feiertage, soweit es sich nicht um gesetzliche Feiertage handelt oder die Freistellung dienst- oder arbeitsrechtlich geregelt ist, findet nicht statt. Beamten und Arbeitnehmern ist an kirchlichen Feiertagen Gelegenheit zum Besuch des Gottesdienstes ihrer Religionsgemeinschaft zu geben, soweit diese staatlich anerkannt ist und unabweisliche betriebliche Notwendigkeiten nicht entgegenstehen. Dabei handelt es sich um eine unbezahlte Freistellung. Die ausgefallene Zeit ist ggf. auszugleichen. Ein Fernbleiben in Lehrveranstaltungen wegen der Teilnahme an religiösen Festen geht zulasten der/des Studierenden. Lehrenden ist es erlaubt, im Einzelfall kompensatorische Leistungen für die aus diesem Grunde entfallene Teilnahme an einer Lehrveranstaltung zu verlangen.
- Versuche der religiös motivierten Ausübung von Druck auf das Verhalten von Mitgliedern der Universität erfüllen den Tatbestand der Nötigung. Sie werden nicht geduldet. Die Hochschulleitung wird in derartigen Fällen das Hausrecht anwenden.
- Insoweit die Universität über den Einsatz ihres Personals in Lehre und Forschung sowie die begleitendenden administrativen Handlungen entscheidet, kann von Studierenden nicht beansprucht werden, von Angehörigen eines bestimmten Geschlechts nicht unterrichtet oder geprüft zu werden. Wird beispielsweise die Annahme von Zeugnissen oder anderen Schriftstücken aus der Hand von Mitarbeitern eines bestimmten Geschlechts verweigert, gehen die damit verbundenen Rechtsnachteile zu Lasten des Empfängers.
- Die Aufnahme religiös zugelassener Speisen in die Speisepläne von Mensen und Cafeterien obliegt den Betreibern dieser Einrichtungen.
Der Präsident
Hamburg, den 10.10.2017