UHH Newsletter

August 2010, Nr. 17

INTERVIEW

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Prof. Dr. Stefan Voigt, Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Hamburg, Foto: privat



Kontakt:

Prof. Dr. rer. pol. Stefan Voigt
Universität Hamburg
Fakultät für Rechtswissenschaft
Institute of Law and Economics
Rothenbaumchaussee 36
20148 Hamburg

t. 040.42838-5782
e. stefan.voigt-at-uni-hamburg.de

Konsequenzen direkter Demokratie – Interview mit Prof. Stefan Voigt

Vor wenigen Wochen ist in Hamburg die Einführung der 6-jährigen Primarschule durch einen Volksentscheid gestoppt worden. Kurz davor hat das Bundesland Bayern in einem Volksentscheid für eine konsequente Umsetzung des Nichtraucherschutzes votiert. Die Bedeutung von Instrumenten der direkten Demokratie nimmt zu – doch welche Folgen hat der Einsatz der Bürgerbeteiligung auf die Politik? Prof. Dr. Stefan Voigt vom Institut für Recht und Ökonomik der Universität Hamburg hat sich dieser Fragestellung in einer Studie gewidmet.
Herr Voigt, hätten Sie mit dem Ausgang des Hamburger Volksentscheids gerechnet?

Ich bin ja noch gar nicht so lange in Hamburg und deshalb mit der Hamburger Politik auch noch nicht wirklich vertraut. Aber die Meinungsforscher hatten ja prognostiziert, dass die Initiative „Wir wollen lernen“ vorn liegen könnte. Überrascht war ich eher über die sehr hohe Zahl von Briefwählern (34,1% der 39,3% Abstimmenden haben per Briefwahl gewählt, Anm. d. Red.).

Eine Erkenntnis, die aus Ihrer Studie gewonnen werden konnte, ist, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen der Effektivität von Regierungen und der Häufigkeit, mit der Bürger selbst über politische Maßnahmen entscheiden. Können Sie das näher erläutern?

Die Effektivität von Regierungen zu ermitteln, ist natürlich enorm schwierig. Wir haben hier mit einer Variable gearbeitet, in die ganz verschiedene Aspekte eingehen wie z.B. die Qualität der öffentlich bereitgestellten Dienstleistungen, die Qualität der Verwaltung, die Kompetenz der Beamten, die Unabhängigkeit der Verwaltung von der Regierung usw.

Effektivere und sparsamere Staaten durch Volksbeteiligung

Wir können jetzt zeigen, dass Länder, in denen Bürger häufig über Sachfragen entscheiden, effektiver regiert werden. Den Einfluss anderer Faktoren können wir dabei durch entsprechende Kontrollen ausschließen. Dies gilt sowohl für Entscheidungen, die von den Bürgern selbst angestoßen werden (also Initiativen, aus denen in Hamburg ja dann der Volksentscheid hervorgegangen ist), als auch für solche, die von der Politik angestoßen werden (also Referenden, wie wir sie etwa aus Frankreich und den Niederlanden in Bezug auf die EU kennen).

Wir vermuten darüber hinaus, dass Bürger, die häufig über Sachfragen entscheiden, eher den Eindruck haben, dass die bereitgestellte Politik dem entspricht, was sie sich wünschen – und die Politik dann insgesamt für effektiver gehalten wird.

Aus Ihrer Studie geht auch hervor, dass direkte Demokratie unter bestimmten Bedingungen zu deutlich geringeren Staatsausgaben führt. Welche Bedingungen sind das?

Unsere Studie ergab, dass Staaten, in denen bestimmte Entscheidungen einem Referendum unterworfen werden müssen (sogenannte „obligatorische Referenden“), deutlich geringere Staatsausgaben verzeichnen. Interessanterweise hat die Existenz von Initiativen genau den gegenteiligen Effekt: Wenn Bürger von sich aus bestimmte Fragen auf die politische Agenda setzen können, dann geht das regelmäßig mit höheren Staatsausgaben einher.

Mehr direkte Demokratie = weniger Vertrauen in die Politik?

59 Prozent der unter 50-Jährigen wünschen sich mehr direkten Einfluss auf politische Entscheidungen. Drei Viertel der Bevölkerung würden sich häufiger beteiligen, wenn es mehr Bürgerbegehren und Volksentscheide gäbe – so das Ergebnis einer soeben veröffentlichten Studie der Bertelsmann-Stiftung. Können Sie diesen Zusammenhang zwischen höherer Bürgerbeteiligung und Volksentscheiden bestätigen?

Ja und nein. Auf der einen Seite zeigen unsere Ergebnisse, dass bei mehr direkter Demokratie das Interesse an Politik größer ist. Wenn Bürger über Sachfragen abstimmen können, dann diskutieren sie häufiger über Politik. Aus früheren Untersuchungen ist bekannt, dass direkte Demokratie mit einem besseren Informationsstand der Bevölkerung einhergeht. Insofern ja.

Für uns überraschend war jedoch das Ergebnis, dass mehr direkte Demokratie nicht unbedingt mit einer höheren Wahlbeteiligung bei Parlamentswahlen einhergeht. Eine mögliche Erklärung: Wenn Bürger über die ihnen wirklich wichtigen Sachfragen selbst entscheiden können, dann wird der verbleibende Rest unwichtiger – und es lohnt sich weniger, zur Wahl zu gehen.

Mehr direkte Demokratie ist übrigens mit geringerem Vertrauen in Politiker verbunden. Dies könnte daran liegen, dass besser informierte Bürger feststellen, wie wenig vertrauenswürdig Politik ihnen erscheint. Es ist also nicht damit zu rechnen, dass das bröckelnde Vertrauen in Parteien, Regierung und Politik mit Hilfe der Einführung direkt demokratischer Elemente behoben werden kann.

Trend zur punktuellen politischen Beteiligung

Dazu passt die Beobachtung, dass es einerseits einen deutlichen Wunsch nach mehr Direktabstimmungen gibt, andererseits das Engagement einzelner in Parteien, Gewerkschaften oder Kirchen zurückgeht. Wie erklären Sie sich diese gegenläufigen Tendenzen?

Meines Erachtens handelt es sich hier nicht wirklich um gegenläufige Tendenzen. Immer weniger Bürger haben Interesse an ideologischen Komplettpaketen, wie sie etwa von Parteien angeboten werden.

Gleichzeitig besteht eine hohe Bereitschaft, sich für einzelne Themen zu engagieren. Dies zeigen Organisationen wie Greenpeace, Amnesty International oder auch Attac, die sich in sehr spezifischen Feldern engagieren.

D.h. der Trend geht zur punktuellen politischen Einflussnahme? Inwiefern wird die Bedeutung von Volksabstimmungen in der Zukunft noch wachsen?


Die meisten Kommunalverfassungen sehen Bürgerbegehren auf Gemeindeebene erst seit den 90er Jahren vor. In einigen Ländern – insbesondere in Bayern – wird sehr rege von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Hier könnte ein „Lerneffekt“ dafür sorgen, dass es in Zukunft zu einer größeren Zahl von Abstimmungen kommt.

Welche gesetzlichen Voraussetzungen gelten denn in Hamburg für das Initiieren eines Volksentscheids?

Die Hamburger Verfassung sieht für einen Volksentscheid ein dreistufiges Verfahren vor. Danach sind für eine Volksinitiative 10.000 Unterschriften erforderlich. Zunächst wird den Mitgliedern der Bürgerschaft damit nur nahegelegt, ein bestimmtes Gesetz zu verabschieden. Wenn sie das innerhalb von vier Monaten nicht tun, dann kann es zu einem Volksbegehren kommen.

Um erfolgreich zu sein, muss es von mindestens fünf Prozent der Wahlberechtigten unterstützt werden. Sollte die Bürgerschaft auch dem Anliegen des Volksbegehrens nicht nachkommen, können die Initiatoren einen Volksentscheid beantragen. Damit sein Ergebnis verbindlich ist, muss die Vorlage mehr Stimmen bekommen als ein möglicher Gegenentwurf und muss zudem noch von mindestens 20 Prozent der Wahlberechtigten gewählt worden sein.

Grenzen der direkten Demokratie

Kann grundsätzlich alles Gegenstand einer Abstimmung werden? Wäre das überhaupt wünschenswert?

In Hamburg sind „Haushaltsangelegenheiten, Abgaben, Tarife der öffentlichen Unternehmen sowie Dienst- und Versorgungsbezüge“ ausgeschlossen. Auf Bundesebene wäre es sinnvoll, den derzeit bestehenden Grundrechtsschutz nicht zum Gegenstand von Volksabstimmungen zu machen.

Grundrechte haben ja auch die Funktion, Minderheiten gegen Mehrheiten zu schützen. Grundrechte können deshalb auch interpretiert werden als Bereiche, die durch Mehrheitsentscheidungen nicht geändert werden können. Sie zum Gegenstand von Volksabstimmungen zu machen, würde deshalb ihrer Funktion zuwiderlaufen.

Eine interessante Beobachtung über das Abstimmungsverhalten in Volksentscheiden stellte auch Ihr Kollege, der Politikwissenschaftler Prof. Michael Greven, an: Obwohl eher linke und junge Kräfte plebiszitäre Elemente in der Politik fordern, sieht es so aus, als ob die Ergebnisse von Volksentscheiden eher konservativ ausfallen bzw. sich am Status Quo orientieren. Können Sie diese Beobachtung bestätigen?

Wir haben dies für einige Bundesländer untersucht. In der Tat ist es so, dass Bürger in Volksabstimmungen eher risikoscheu sind und neuen – möglicherweise auch innovativen – Lösungen eher mit Skepsis begegnen. Vermutlich kann man dieses Verhalten mit einer inhärenten Scheu vor Unsicherheit erklären.

In Ihrer Studie haben Sie 88 Länder untersucht. Wo funktioniert direkte Demokratie am besten?

Zunächst hat direkte Demokratie mehr Wirkungen, wenn sie tatsächlich angewandt wird. Es reicht also nicht, nur die Möglichkeit von Initiativen und Referenden einzuführen, sondern diese müssen tatsächlich auch genutzt werden.

Direkte Demokratie in Deutschland

Oft dauert es Jahre – und manchmal sogar Jahrzehnte –, bevor die Möglichkeit von Volksabstimmungen tatsächlich genutzt wird. Irland etwa legte die institutionellen Grundlagen bereits 1947, stimmte erstmals aber erst 1974 ab. Einige der Nachfolgestaaten der Sowjetunion sehen ebenfalls Volksabstimmungen vor. In manchen jedoch hat bis heute keine einzige stattgefunden. Eine lange Tradition in direkter Demokratie haben neben der Schweiz vor allem Australien, Neuseeland und Dänemark. Dort werden Volksabstimmungen auch häufig genutzt.

Generell kann man auch sagen, dass die Effekte direkt demokratischer Institutionen in schwachen Demokratien stärker sind als in wohletablierten und gefestigten Demokratien.

Wie schneidet Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern ab?

Deutschland schneidet im Vergleich zu den meisten europäischen Ländern eher schlecht ab. Auf Bundesebene gibt es – mit ganz wenigen Ausnahmen – ja überhaupt keine Möglichkeit der Volksabstimmung. Das wurde lange Zeit mit Weimar begründet. Aber inzwischen ist Deutschland eine gefestigte Demokratie und wir wissen, dass direkte Demokratie eine Anzahl positiver Effekte hat. Insofern ist es an der Zeit, über die Einführung von Volksentscheiden auch auf Bundesebene nachzudenken.

Haben Sie vielen Dank für das Gespräch, Herr Voigt!


Das Interview führte Giselind Werner.



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Mehr Informationen über Stefan Voigt:


Stefan Voigt ist seit Oktober 2009 Direktor am Institut für Recht & Ökonomik der Universität Hamburg. Zuvor war er u.a. Professor an den Universitäten Marburg, Kassel und Bochum, Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin, Senior Fellow am Krupp Kolleg in Greifswald und Forschungsreferent am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Wirtschaftssystemen in Jena. In seiner Forschung beschäftigt sich Voigt mit ökonomischen Konsequenzen alternativer Verfassungsregeln, aber auch mit den Konsequenzen unterschiedlicher Justizstrukturen.

 
 
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