Serie Forschen und VerstehenWie können Lieferketten multinationaler Unternehmen nachhaltiger werden?
1. November 2024, von Newsroom-Redaktion
Foto: UHH/Allenbacher/Berg
Unternehmen müssen zunehmend Verantwortung für die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards in ihren Lieferketten übernehmen. Janine Allenbacher untersucht gemeinsam mit Prof. Dr. Nicola Berg an der University of Hamburg Business School, wie Unternehmen ihre Lieferketten nachhaltiger gestalten und Menschenrechtsverletzungen verhindern können.
Viele Menschen schauen bei den gekauften Produkten nicht mehr nur auf den Preis, sondern auch auf die Qualität in der Herstellung. Das stellt Unternehmen vor neue Herausforderungen. Was untersuchen Sie in Ihrem Projekt?
In unserer Studie beschäftigten wir uns mit den Maßnahmen, die Unternehmen im Bereich menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten ergreifen. Etwas einfacher ausgedrückt: Wie können vor allem multinationale Unternehmen Menschenrechte in ihrem eigenen Geschäftsbereich sowie in ihren Lieferketten besser schützen? Angestoßen wurde unsere Forschung durch die Verabschiedung des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes (kurz: LkSG) im Juni 2021 im Deutschen Bundestag.
Insbesondere diese großen, weltweit agierenden Unternehmen können durch ihre Aktivitäten entlang ihrer globalen Wertschöpfungsketten die Verwirklichung gesellschaftlicher und ökologischer Verantwortung positiv oder negativ beeinflussen.
Einerseits erschließen sie durch ihre weltweiten Aktivitäten neue Märkte und schaffen dadurch Wohlstand. Andererseits sind mit den oft länderübergreifenden, komplexen und intransparenten globalen Lieferketten Risiken verbunden, die zu sozialen und ökologischen Missständen, etwa Menschenrechtsverletzungen und Umweltverschmutzung, beitragen. Dies gilt vor allem in Ländern, in denen rechtsstaatliche Grundsätze nicht oder nur unzureichend durchgesetzt werden.
Beispielsweise ist der Abbau sogenannter Konfliktmineralien wie Lithium oder Kobalt oft mit erheblichen Menschenrechtsverletzungen verbunden, während diese Stoffe für die Transformation hin zu erneuerbaren Energien und für die Elektromobilität dringend benötigt werden. Zu den Schattenseiten der Nachhaltigkeitstransformation zählen beispielswiese Kinderarbeit, moderne Sklaverei oder die Zerstörung der Lebensgrundlage indigener Völker.
Welchen Fokus setzen Sie in Ihrer Forschung?
Das Gesetz verpflichtet Unternehmen bestimmter Größe zur Durchführung verschiedenster Präventionsmaßnahmen mit ihren direkten Lieferanten. Allerdings weisen Lieferanten in tieferen Stufen der Lieferkette oft ein höheres Risiko für Menschenrechtsverletzungen und unsichere Arbeitsbedingungen auf. Diese sind im Gesetz aber gar nicht explizit berücksichtigt – auch weil die Komplexität und Intransparenz globaler Lieferketten oft den Zugang zu bzw. die Einflussnahme auf diese Lieferanten erschweren. Das stellt viele Unternehmen vor große Herausforderungen.
Uns interessierte daher insbesondere die Rolle direkter Lieferanten multinationaler Unternehmen. Sie sind quasi das Bindeglied zwischen Sub-Lieferanten, also den Produzenten von Vorprodukten oder Rohstoffen, und den Herstellern von Endprodukten. Direkte Lieferanten kaufen von mehreren Sub-Lieferanten, verarbeiten die Ware weiter und verkaufen diese dann an das Unternehmen, das das Endprodukt herstellt. Sie können also Anforderungen im Bereich der sozialen Nachhaltigkeit an tiefere Stufen der Lieferkette weitergeben und damit wesentlich dazu beitragen, soziale Nachhaltigkeit entlang von Lieferketten zu verbessern. Im Rahmen der Studie betrachten wir diese Mechanismen innerhalb der Lieferkette.
Wie kann man das angesichts der Komplexität der Lieferketten erforschen?
Wir haben mit einem Online-Fragebogen gearbeitet. Dieser wurde von hundert Zulieferern globaler Großunternehmen ausgefüllt. Wir haben uns dabei vor allem auf Zuliefererunternehmen der Automobilindustrie als eine der bedeutendsten Branchen in Deutschland konzentriert. Die teilnehmenden Zulieferer-Unternehmen kommen daher beispielsweise aus der Chemie- und Pharmaindustrie, dem Maschinen- und Anlagenbau oder der Elektroindustrie – und arbeiten wiederum mit Sub-Unternehmen zusammen, die im Gegensatz zu den direkten Lieferanten oft nicht in Deutschland ansässig sind.
Welche Maßnahmen für die nachhaltige Gestaltung von Lieferketten gibt es denn?
Es kann zwischen compliance-basierten Bewertungsansätzen und eher kooperativen Ansätzen unterschieden werden. Bei ersteren legt das Unternehmen bereits vor Beauftragung des Lieferanten entsprechende Auswahlkriterien fest und vereinbart unter anderem vertragliche Zusicherungen, Audits oder Monitoring. Beim kooperativen Ansatz bietet das Unternehmen dem Zulieferer zum Beispiel Schulungen und Weiterbildungen für Lieferanten sowie gemeinsame Projekte zur Produkt- oder Prozessverbesserung an.
Inwieweit konnten Sie die Wirkung der Maßnahmen nachweisen?
Wir konnten feststellen, dass beide Ansätze einen positiven Einfluss auf die Implementierung von Präventionsmaßnahmen bei den direkten Lieferanten haben. Es lässt sich damit eine Art „Kaskadierungs-Effekt“ von Präventionsmaßnahmen des nachhaltigen Lieferkettenmanagements von Herstellern zu ihren direkten Lieferanten empirisch nachweisen.
Spannend ist, dass kooperationsbasierte Ansätze bei den direkten Lieferanten auch zum Aufbau eigener Ressourcen im Nachhaltigkeitsbereich beitragen, wohingegen bewertungsbasierte Ansätze hierauf keinen Einfluss haben. Dabei sind solche eigenen Ressourcen im Nachhaltigkeitsbereich eine wichtige Voraussetzung, damit Lieferanten selbst nachhaltige Lieferkettenansätze für den Umgang mit ihren Sub-Unternehmen implementieren. Durch einen Fokus auf kooperationsbasierte Ansätze können multinationale Unternehmen wie Automobilhersteller also ihre Lieferanten so unterstützen, dass die Vorgaben auch in den tieferen Ebenen der Lieferkette umgesetzt werden. Eine wichtige Handlungsempfehlung, die sich aus unseren Ergebnissen ableiten lässt, ist daher, dass Menschenrechtsverantwortliche in Unternehmen mindestens auf einen Mix aus beiden Ansätzen setzen sollten.
Publikation
Janine Allenbacher, Nicola Berg: How assessment and cooperation practices influence suppliers’ adoption of sustainable supply chain practices: An inter-organizational learning perspective, Journal of Cleaner Production, Volume 403, 2023, 136852.
Forschen und Verstehen
In den acht Fakultäten der Universität Hamburg forschen rund 6.200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Auch viele Studierende wenden oft bereits im Studium ihr neu erworbenes Wissen in der Praxis an. Die Reihe „Forschen und Verstehen“ gibt einen Einblick in die große Vielfalt der Forschungslandschaft und stellt einzelne Projekt genauer vor. Fragen und Anregungen können gerne an die Newsroom-Redaktion(newsroom"AT"uni-hamburg.de) gesendet werden.