Chemie-Nobelpreis 2017Strukturbiologe Prof. Dr. Kay Grünewald über die Bedeutung der Kryo-Elektronenmikroskopie
6. Oktober 2017, von Giselind Werner
Foto: CSSB
Der Nobelpreis für Chemie geht in diesem Jahr an drei Pioniere der Kryo-Elektronenmikroskopie – einer wegweisenden Technik, mittels welcher native biologische Proben bei tiefen Temperaturen mit hoher Auflösung untersucht werden können. Der Strukturbiologe Prof. Dr. Kay Grünewald forscht selbst mit der Technik und erläutert im Interview, warum sie so einen Durchbruch für die Biologie bedeutet.
Warum ist die Entwicklung der Kryo-Elektronenmikroskopie für die Wissenschaft ein so bedeutender Schritt nach vorn?
Kryo-Elektronenmikroskopie (Kryo-EM) erlaubt es, einzelne Makromoleküle direkt in ihrer wässrigen natürlichen Umgebung und funktionellen Interaktion miteinander in 3D zu analysieren. Damit wird eine Lücke bei der biologischen Strukturaufklärung geschlossen.
Vorhergehende „klassische“ elektronenmikroskopische Präparationen nutzten typischerweise chemische Fixierung, De-Hydrierung, Schwermetall-Kontrastierung und Einbettung in ein Kunstharz. Damit werden aber auch Artefakte erzeugt. Die von der Gruppe um Preisträger Jacques Dubochet eingeführte Kryo-Präparation hingegen belässt die Proben in ihrer wässrigen Umgebung bei gleichzeitigem Strukturerhalt bis in den atomaren Bereich.
Ein Durchbruch in der Auflösung kam vor ungefähr 4 Jahren mit der Einführung von Elektronen-Direkt-Detektoren, die Gruppe um Preisträger Richard Henderson war dabei eine der Führenden. Damit sind zum Beispiel Proteine bis zum Detail ihrer Aminosäuren-Seitenketten atomar darstellbar. Mit den strukturellen Informationen können nun grundlegende biologische Funktionen entschlüsselt und verstanden werden.
Was ist die technische Herausforderung an der Kryo-Elektronenmikroskopie?
Drei wesentliche technische Herausforderungen müssen gemeistert werden:
1) Die Proben müssen sehr schnell eingefroren werden. Dabei geht es darum, die Ausbildung kristallinen Eises zu vermeiden und die Proben in glasartiges Eis einzubetten, wir nennen den Vorgang „Vitrifizierung“.
2) Die so gefrorenen Präparate werden mit flüssigem Stickstoff gekühlt, bei etwa -180°C und mittels sehr geringer Elektronenbestrahlung im Elektronenmikroskop untersucht. Letzteres ist wichtig, um die Struktur der biologischen Objekte nicht zu beschädigen. Es werden Projektions-Bilder der Probe mit hochsensitiven Kameras, heute typischerweise Elektronen-Direkt-Detektoren, aufgenommen.
3) Anschließend wird aus einer Vielzahl von diesen Projektionsbildern des Objekts mittels ausgeklügelter Analysemethoden, hierzu hat die Gruppe um Preisträger Joachim Frank die Grundlagen gelegt, die dreidimensionale Struktur des biologischen Makromoleküls unter Nutzung von Computerclustern berechnet sowie dann visualisiert und analysiert.
Was genau erforschen Sie am Centre for Structural Systems Biology (CSSB) mit Hilfe der Kryo-Elektronenmikroskopie und welche Einblicke erhoffen Sie sich?
Am CSSB untersuchen wir vor allem molekulare Interaktionen von Pathogenen mit ihren Wirtszellen. In meiner Arbeitsgruppe sind diese Pathogene in der Regel Viren. Uns geht es darum, wichtige Schritte beim Viruseintritt in die Zelle und bei der Virus-Assemblierung und -Morphogenese besser zu verstehen und so auch Ansätze für eine Intervention aufzudecken. Vertreter der Herpes-, Adeno- und Retroviren stehen im Mittelpunkt unserer Forschungen.
Darüber hinaus nutzen wir Viren als Marker, um grundlegende zellbiologische Fragestellungen zu bearbeiten. Dazu verwenden wir die Kryo-Elektronentomographie, eine von zwei Haupt-Modalitäten der Kryo-EM, die es erlaubt Makromoleküle direkt in ihrer nativen zellulären Umgebung zu analysieren.
So können wir wichtige zelluläre Mechanismen, wie den intrazellulären Transport oder Membranfusionen verstehen. Dazu werden Informationen aus der Kryo-EM in einem integrativen strukturbiologischen Ansatz mit Befunden aus anderen Bereichen, z.B. der Biochemie, Roentgenkristallographie oder Massen-Spektrometrie, kombiniert.
Gut zu wissen
Prof. Dr. Kay Grünewald hat 2017 die Kofinanzierung für die Einrichtung einer Kryo-Elektronenmikroskopie-Facility im neuen Gebäude des Centre for Structural Systems Biology (CSSB) auf dem Campus Bahrenfeld mit einem Gesamtumfang von 15,6 Millionen Euro für die Universität Hamburg eingeworben.