Verschiedene Ideale der Kinderbetreuung in EuropaSoziologin Prof. Dr. Birgit Pfau-Effinger an europaweiter Studie in zwölf Ländern beteiligt
18. Juli 2017, von Sarah Batelka
Foto: UHH/Glück
Vollzeit, Teilzeit oder zu Hause bleiben: Nach der Geburt eines Kindes stehen Eltern vor der Entscheidung, ob und wenn ja, in welchem zeitlichen Umfang sie an ihren Arbeitsplatz zurückkehren möchten. Vor allem viele Frauen entscheiden sich nach ihrer Rückkehr für eine Teilzeit-Lösung. Die Soziologin Prof. Dr. Birgit Pfau-Effinger von der Universität Hamburg hat gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus Dänemark in einer europaweiten Studie untersucht, welche Faktoren diese Entscheidung beeinflussen. Überraschendes Ergebnis: Die Familienpolitik in den einzelnen Ländern spielt für die Erklärung der internationalen Differenzen im Umfang der Erwerbstätigkeit von Müttern und Vätern keine große Rolle.
„Die Ergebnisse legen nahe, dass das kulturelle Ideal einer Gesellschaft – also die Vorstellung von Familie, Kindheit und Kinderbetreuung – ein bedeutender Faktor ist“, erläutert Prof. Pfau-Effinger. „Dieses unterscheidet sich in den Ländern deutlich voneinander.“
In Dänemark und Finnland etwa werde es als selbstverständlich angesehen, dass beide Eltern Vollzeit arbeiten und das Kind in einer öffentlichen Einrichtung betreut wird. In Italien gelte es ebenfalls als normal, dass die Eltern voll arbeiten; die Kinder würden hier aber durch die Großfamilie betreut, so die Soziologin. In Deutschland und England spiele das Teilzeitmodell eine große Rolle: „Grundsätzlich fühlen sich beide Elternteile für die Kinderbetreuung gleich verantwortlich, aber wenn das Kind dann da ist, verringert meist die Mutter ihre Arbeitszeit.“
In Hamburg arbeiten die meisten Mütter nur halbtags
Als Beispiel führt die Wissenschaftlerin die Betreuungsquote in Hamburg an. Obwohl Kinder unter drei Jahren einen rechtlichen Anspruch auf einen Ganztagsplatz zur Kinderbetreuung hätten, würden die meisten Mütter dann, wenn sie an ihren Arbeitsplatz zurückkehren, nur halbtags arbeiten.
Ob in einem Land wie in England, Deutschland und den Niederlanden die Teilzeitarbeit zum kulturellen Ideal zählt, hat der Wissenschaftlerin zufolge vor allem historische Gründe und steht in Zusammenhang mit der Geschichte der Hausfrau.
Zur Geschichte der Hausfrau
Prof. Pfau-Effinger: „Im 16. Jahrhundert setzte sich in der städtischen Kaufmannschaft in den Niederlanden die Vorstellung durch, dass die Ehefrau ihre Zeit im Privaten verbringen soll.“ Verbunden gewesen sei dieses Konzept mit einem neuen Ideal der „privaten“ Kindheit: „Statt als billige Arbeitskräfte wurden Kinder als eigenständige Persönlichkeiten gesehen, die eine häusliche Kindheit mit individueller Zuwendung verdient haben.“ Spätestens nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs (1939-1945) habe sich dieses Ideal auch in Ländern wie England und Deutschland durchgesetzt. Seit der Abkehr vom Hausfrauen-Ideal in den 1970er Jahren gilt die Teilzeitarbeit als ideale Grundlage für die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit wie die Wissenschaftlerin darlegt, da sie es erlaubt, den Wunsch von Frauen an einer Beschäftigung zumindest teilweise mit dem Ideal der „privaten Kindheit“ zu vereinbaren.
Zur Studie
Die Forschungsergebnisse wurden unter dem folgenden Titel veröffentlicht: Jensen , Per H., Och, Ralf; Pfau-Effinger, Birgit, Møberg, Rasmus Juul (2017) Explaining differences in women’s working time in European cities, European Societies, 19, 2: 138-156. Die Studie wurde im Rahmen des EU-Projekts FLOWS durchgeführt, in dessen Rahmen insgesamt zwölf Forscherteams repräsentative Befragungen in elf europäischen Ländern und Taiwan geführt haben. Dabei wurde jeweils der nationale Kontext und eine Stadt genauer untersucht. Im Mittelpunkt stand die Frage, inwieweit kulturelle, politische und ökonomische Faktoren den Umfang der Erwerbstätigkeit von Frauen beeinflussen.
Link zur Studie: http://dx.doi.org/10.1080/14616696.2016.1268700