Kontakt:
Nicole Nitschke
Dekanatsreferentin der Fakultät für Geisteswissenschaften
t. 040.42838-8221
e. dekanatsref.geisteswiss@uni-hamburg.de
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„Stellen Sie sich vor, dass es die Geisteswissenschaften nicht mehr gibt.“ Und: „Wenn es sie nicht mehr gäbe, wem würden sie fehlen (außer den Geisteswissenschaftlern)?“ Gleich zu Beginn seines Vortrags forderte der Romanist Gumbrecht seine Zuhörer auf – allesamt Geisteswissenschaftler –, sich das Unvorstellbare vorzustellen: das Ende der geisteswissenschaftlichen Fächer.
Die Situation der geisteswissenschaftlichen Disziplinen habe sich in den letzten Jahren verschärft, so Gumbrecht, man spreche von einer „verschärften Krise der Geisteswissenschaften“. Und er liefert auch zugleich einige Anzeichen für diese Krise:
Nur ein kleines, lokales, aber doch ein Symptom: Seit 2012 gibt es an der Stanford University nicht mehr die traditionelle Erstsemester-Veranstaltung IHUM (Introduction to Humanities). Abgelöst wurde das Format von „Thinking Matters“, einem Katalog von Veranstaltungen, die das Hinterfragen und die Selbstreflexion fördern sollen.
Darüber hinaus stellte Gumbrecht eine Verlagerung von den „Humanities“ zu den „Arts“ fest, bspw. besuchten heute ebenso viele Studierende „Creative writing classes“ wie literaturwissenschaftliche Kurse. Vor zehn Jahren sei das Verhältnis noch 1:10 gewesen.
So wie die Studierendenzahlen abnehmen, nehme auch die „Theorieenergie“ in den Geisteswissenschaften ab. Nachdem es seit Beginn der 20. Jahrhunderts eine Hochzeit der Theorienbildung gegeben hätte, gebe es seit den Identitätstheorien der 1980er und 90er keine relevanten Theorien mehr. Es fehle daher auch an Selbstbewusstsein der Disziplinen.
Und darüber hinaus: Wäre es nicht bedenklich, wenn Geisteswissenschaftler nur noch für Geisteswissenschaftler produzierten? Ist der Zustand schon erreicht?
Gumbrecht sieht die Geisteswissenschaften an einem anderen Platz, in einer neuen Funktion. Zur Untermauerung seiner Argumentation für die neue Rolle der Geisteswissenschaften geht er einen Abweg und verweist auf eine Studie, die er für eine Schweizer Wochenzeitung angefertigt hat. Für diese hat er eine Analyse des Typus‘ der erfolgreichen Hochschule angefertigt, der es gelang, in den vergangenen Jahrzehnten in den Rankings am schnellsten aufzusteigen. Und dabei spielen auch die Geisteswissenschaften eine entscheidende Rolle.
Er fand heraus, dass sie alle folgende Faktoren einen:
Gumbrecht argumentiert, dass die Geisteswissenschaften den Boden bereiteten für den Spitzenerfolg einer Hochschule, für diesen Erfolg sogar Bedingung sind. Wie machen das die Geisteswissenschaften? Wie beeinflussen sie die anderen Disziplinen positiv? John Hennessy, Informatiker, Präsident der Stanford University und Mitglied des Board of Directors bei Google, wird folgendes Diktum nachgesagt: „Humanities transform universities in intellectual places.“ Gumbrecht fügt hinzu: „Durch die Präsenz der Geisteswissenschaften eröffnet sich ein ganzer Horizont an Zeitlichkeiten.“
Weg von der linearen Zeitlichkeit des Fortschritts, hin zur Temporalität der Selbstreflexion. Das produziere Komplexität und die sei der Schlüssel für Wissensinnovation im Humboldt’schen Sinne. Wissensvermittlung solle nach Humboldt an den Gymnasien stattfinden (eine Stelle, die Lacher im Publikum provozierte). Geisteswissenschaften seien produktiv, weil sie „Orte des riskanten Denkens“ seien, die die Produktion von Komplexität zuließen, aus der etwas Neues entstehen könne.
Und so sieht Gumbrechts institutioneller Gegenentwurf für die Geisteswissenschaften aus:
Selbstredend, dass sein Entwurf in der anschließenden Diskussion nicht unwidersprochen blieb. Ganz im Sinne der Produktion von Komplexität.