Kein Phänomen der ModerneFrauen als Einbrecherinnen, Betrügerinnen und Schlägerinnen
19. März 2024, von Christina Krätzig
Foto: Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg (p.hamb.graec.144)
Jedes Jahr lädt die Universität Hamburg im Rahmen des Agathe-Lasch-Gastwissenschaftlerinnenprogramms Wissenschaftlerinnen zu einem bis zu sechsmonatigen Forschungsaufenthalt ein. Die Althistorikerin Kerstin Droß-Krüpe forscht aktuell in Hamburg zu gewalttätigen Frauen im römisch beherrschten Ägypten.
Raub, Betrug, Nötigung: Welche Verbrechen begingen Frauen im römischen Reich – und warum wurden sie zu Täterinnen? Wer diese Fragen beantworten will, muss die wirtschaftliche, gesellschaftliche und rechtliche Situation von Frauen vor zweitausend Jahren verstehen und dafür über die traditionellen Zugänge, die stark auf literarische Quellen fokussieren, hinausgehen. Denn literarische Texte spiegeln meist nur das Leben der Oberschicht – und einen männlichen, literarischen und idealisierenden Blick auf Frauen.
„Die dokumentarischen Quellen, die einen realistischeren Aufschluss geben können, fanden bisher deutlich weniger Beachtung“, sagt Dr. Kerstin Droß-Krüpe, Privatdozentin für Alte Geschichte an der Universität Kassel und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Ruhr-Universität Bochum. Für ihr aktuelles Forschungsprojekt sammelt und analysiert sie Petitionen, Briefe, Quittungen, Verträge und Listen aus dem antiken Ägypten, die bis zu zweitausend Jahre alt sind.
Damals wurde Ägypten zur römischen Provinz – und blickte bereits auf eine lange Schrifttradition zurück, schließlich wurde das Schreiben auf Papyrus dort quasi erfunden. Wegen des heißen, trockenen Klimas blieben in der Region besonders viele der fragilen Dokumente erhalten. „Sie bieten faszinierende Einsichten in den Alltag der Menschen in der Antike auch abseits der privilegierten Schichten“, erklärt die Historikerin, die sich dank des Agathe-Lasch-Gastwissenschaftlerinnenprogramms ein halbes Jahr lang ganz auf ihr aktuelles Forschungsthema konzentrieren kann. „Aus den Papyrusdokumenten erfahren wir beispielsweise, dass Frauen als Holzhändlerinnen oder Färberinnen gearbeitet haben – in antiken Dramen oder in der römischen Historiographie wird das eher nicht erwähnt. Und wir lesen in den Papyri, wie arm große Teile der Bevölkerung waren. Ihren Lebensunterhalt zu sichern und die Steuern zu begleichen war für viele eine kaum zu bewältigende Aufgabe.“
Droß-Krüpe nutzt die Zeit in Hamburg, um das erhaltene und bereits publizierte Material zu sichten. Dabei konzentriert sie sich im ersten Schritt auf sogenannte Petitionen, also Schreiben von Geschädigten, die ein Delikt bei der römischen Obrigkeit anzeigen wollen. „Von Körperverletzung, Nötigung und Beleidigung über Sachbeschädigung, Raub und Diebstahl bis hin zu Betrug oder Unterschlagung werden Frauen aller erdenklicher Verbrechen beschuldigt“, erzählt sie. Ob alle diese Taten wirklich so begangen wurden, ob sie vor ein Gericht kamen und wie die Bestrafung der Täterinnen ausfiel, kann sie meist nicht nachverfolgen. Wichtig aber ist: „Die Schreiben zeigen, dass es in der Vorstellungswelt der Menschen im römischen Ägypten absolut denkbar war, dass Frauen solche Taten begangen haben.“
Interessant ist dies vor dem Hintergrund zunehmender weiblicher Gewalt in der Gegenwart
In der Bundesrepublik gab es nie mehr Mädchen, die anderen Mädchen Gewalt antun, und während der Corona-Lockdowns gerieten auch Mütter in die Schlagzeilen, die gewalttätig gegen ihre Kinder oder Lebenspartner wurden. „Dieses Phänomen war sowohl Gegenstand medialer Berichterstattung als auch wissenschaftlicher Studien“, erklärt Droß-Krüpe. Doch Erklärungsansätze, die von der Veränderung moderner Rollenbilder ausgehen, greifen nach Meinung der Historikerin zu kurz: Schließlich zeigt die Analyse der historischen Dokumente, dass Frauen als Täterinnen bei weitem kein modernes Phänomen sind.
Ihre Leidenschaft für die Papyri fließt im Sommersemester auch in eine Lehrveranstaltung an der Universität Hamburg ein: Gemeinsam mit Prof. Dr. Kaja Harter-Uibopuu vom Arbeitsbereich Alte Geschichte und dem Exzellenzcluster „Understanding Written Artefacts“ unterrichtet Droß-Krüpe ein Seminar zu Tätigkeitsfeldern und Handlungsräumen von Frauen in der Antike, in dem Papyri und Inschriften im Fokus stehen werden.
Agathe-Lasch-Gastwissenschaftlerinnenprogramm
Agathe Lasch erhielt 1923 von der Universität Hamburg als erste Germanistin in ganz Deutschland einen Professorentitel. Das nach ihr benannte, fakultätsübergreifende Förderprogramm soll Frauen in Bereichen stärken, in denen sie unterrepräsentiert sind. Für eine Gastprofessur in Frage kommen Professorinnen, habilitierte Wissenschaftlerinnen oder Wissenschaftlerinnen mit Habilitationsäquivalent (z. B. Juniorprofessorinnen, associate professors) aus dem In- und Ausland.