Neue Impulse in der Theologie„Die geschlechtergerechte Perspektive ist in theologischen Lehrbüchern keineswegs selbstverständlich“Serie Forschen und Verstehen
21. Februar 2025, von Lennart Wichmann
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Foto: UHH/Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel: Portr. II 1988.3
Feministische und Diversität berücksichtigende Forschungsansätze sind in vielen Disziplinen fest verankert. Wie sie sich auch in der Theologie umsetzen lassen, untersucht PD Dr. Frank A. Kurzmann vom Fachbereich Evangelische Theologie der Universität Hamburg. Gemeinsam mit der Theologie-Studentin Franziska Stratmann hat er unter anderem einen Workshop zum Thema veranstaltet.
Dr. Kurzmann, was hat Sie dazu motiviert, sich speziell mit Geschlechtergerechtigkeit in der Theologie zu beschäftigen?
Die geschlechtergerechte Perspektive ist in theologischen Lehrbüchern keineswegs selbstverständlich. Lehrbücher zur Kirchen- und Frömmigkeitsgeschichte orientieren sich zum Beispiel meist an einer männlich geprägten Sichtweise. Gespräche mit Studierenden haben mir gezeigt, dass das Themenfeld insgesamt stärker in die Lehrveranstaltungen eingebracht werden sollte.
Lehre basiert auf Forschungsergebnissen. Wie könnte eine kritische Auseinandersetzung mit patriarchalen Strukturen in der wissenschaftlichen Arbeit aussehen?
Diese Auseinandersetzung muss auf mehreren Ebenen stattfinden. Strukturell geht es um die Frage, wer an welchen Themen forschen kann und ob alle die nötigen Ressourcen haben – etwa Alleinerziehende, die neben der Kinderbetreuung Zeit für ihre Forschung benötigen.
Auf inhaltlicher Ebene sollte das Bewusstsein für neue Denkansätze gestärkt werden. Es erfordert Mut, in bislang wenig erforschte Felder einzutauchen, zum Beispiel neue Geschlechteridentitäten in die Erforschung der Theologiegeschichte einzufügen. Zudem sollte es gerade in der geschlechtergerechten Forschung darum gehen, eine Verknüpfung mit queeren und nicht-binären Identitäten herzustellen. Solche Perspektiven mit dem theologischen Standardkanon in Verbindung zu bringen, erachte ich als essenziell.
Für theologische Forschung sind vor allem biblische und historische Texte die Basis. Inwiefern kann man in sie feministische Emanzipation oder die Kritik am Patriarchat hineinlesen?
Die geschichtliche Forschung betrachtet historische Persönlichkeiten zunehmend aus feministischer Perspektive. Das ist eine große Chance, da es neue Deutungsebenen eröffnet. Doch es birgt auch die Gefahr einer anachronistischen Darstellung. Catharina Regina von Greiffenberg zum Beispiel, eine Dichterin und Theologin des 17. Jahrhunderts, wird zu Recht als emanzipatorische Figur gesehen. Aber sie hat sich – obwohl genuin lutherisch – auf ihre einzigartige Weise und auf höchstem theologischen Niveau mit vielfältigen Themen der Frömmigkeit beschäftigt. Daher muss eine zentrale Frage lauten: Greift es nicht zu kurz, wenn wir Greiffenberg auf vermeintlich ‚weibliche Interessen‘ reduzieren?
So wird dann zudem leicht übersehen, dass auch männliche Theologen in dieser Zeit weibliche Perspektiven in der Exegese aufgriffen. Von Greiffenbergs Beschäftigung mit etwa biblischen Frauenfiguren wird dann isoliert betrachtet, während ähnliche Arbeiten von Männern lange unbeachtet blieben, da seitens der historisch-theologischen Forschung nach solchen Blickwinkeln gar nicht gefragt wurde.
Es geht nicht darum, Frauenfiguren ausschließlich aus einer feministischen Perspektive neu zu deuten. Vielmehr zeigt sich, dass weibliche und männliche Perspektiven auf die Geschichte der Theologie und Frömmigkeit untrennbar miteinander verbunden sind.
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Gemeinsam mit der Studentin Franziska Stratmann haben Sie den Workshop „Geschlechtergerechtes Erforschen, Studieren und Lehren der Kirchengeschichte“ konzipiert. Was ist die Idee hinter dem Format?
Ende vergangenen Jahres gab es an unserem Fachbereich eine Ausschreibung für ein Projekt zu Gleichstellung und Diversität. Frau Stratmann und ich haben uns überlegt, wie man das Format eines Workshops nutzen könnte, um neue Impulse in Forschung und Lehre zu setzen.
Frau Stratmann hat sich im Zuge ihres Studiums zum Beispiel intensiv mit Frauen zur Zeit der Reformation beschäftigt, etwa mit ihrem Einfluss an verschiedensten Stellen der Gesellschaft auf das Vorantreiben oder auch das Bremsen der Reformation. Auffällig war hier die spärliche Literatur im Vergleich zur Menge an Literatur insgesamt.
Dank der Fördermittel konnten wir unser Projekt sehr frei gestalten und der Workshop war eine große Chance, über den regulären Lehrplan hinaus zu arbeiten. So konnten wir auf Basis unserer Erfahrungen gemeinsam oder in Arbeitsgruppen die Auswahl der in der Lehre und Forschung verwendeten Lektüre zu erweitern. Besonders bereichernd war, dass wir verschiedene Statusgruppen zusammengebracht haben – von Studierenden bis zu Professorinnen.
Sehr wertvoll war auch die Teilnahme von Prof. Ruth Albrecht und der Gastreferentin Prof. Dr. Ute Gause – beide führende Forscherinnen auf diesem Gebiet. Neben dem fachlichen Austausch diente der Workshop auch der Vernetzung und letztendlich auch dem Beginn der Entwicklung neuer Forschungsideen.
Welche Herausforderungen begegnen Ihnen, wenn Sie geschlechtergerechte Theologie erforschen oder lehren? Gibt es Widerstände?
Unsere Zusammenarbeit mit der Gleichstellungsbeauftragten der Fakultät und der Fachbereichsreferentin war ausgesprochen gut. Beide haben die Umsetzung eines Workshops sehr unterstützt. Dennoch gab es Widerstände, die oft aus den etablierten Strukturen sowie dem traditionellen Themenkanon der Theologie resultieren.
Ich nehme eine künstlich aufrechterhaltene Trennung zwischen traditionellen theologischen Themen und Perspektiven mit einem feministischen oder geschlechtsneutralen Blick wahr – als sei letzteres nicht Teil der „echten“ Theologie. Unser Ziel sollte es sein, langfristig nicht zwei getrennte Positionen – die klassische und die feministische – nebeneinanderzustellen, sondern sie miteinander zu verbinden.
Welche anderen Disziplinen beeinflussen Ihre Forschung?
Seit meiner Promotionszeit arbeite ich interdisziplinär. An der Universität Hamburg war ich Teil des Graduiertenkollegs „Interkonfessionalität in der frühen Neuzeit“. In den vergangenen Jahren habe ich mit Kolleginnen und Kollegen aus Kunstgeschichte, Germanistik, historischer Musikwissenschaft und Geschichte zusammengearbeitet. Auch Perspektiven aus Psychologie, Soziologie und Medizin können für die geschlechtergerechte Theologie bereichernd sein. Derzeit befinde ich mich im Austausch mit Forschenden der Kulturwissenschaften, um Schnittstellen zu meiner Forschung zu erkunden.
Was erhoffen Sie sich von einer geschlechtergerechteren Perspektive in der Theologie für Kirche und Gesellschaft?
Wir hoffen, dass wir zu einem offeneren Umgang mit geschlechtergerechter Theologie beitragen können. Das weltoffene, diverse Profil der Universität Hamburg spiegelt sich ja gerade auch in unserem Fachgebiet wider. Wir möchten unser Fach als inklusiv und tolerant präsentieren, um auch Studierende anzusprechen, die nach einem solchen Studiengangs-Profil suchen. Ein wichtiger Aspekt dabei ist die Wissensvermittlung über soziale Medien oder Podcasts. Junge Theologinnen und Theologen informieren dort zunehmend über Gleichstellung, Geschlechtergerechtigkeit und Queerness.
Forschen und Verstehen
In den acht Fakultäten der Universität Hamburg forschen rund 6.200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Auch viele Studierende wenden oft bereits im Studium ihr neu erworbenes Wissen in der Praxis an. Die Reihe „Forschen und Verstehen“ gibt einen Einblick in die große Vielfalt der Forschungslandschaft und stellt einzelne Projekt genauer vor. Fragen und Anregungen können gerne an die Newsroom-Redaktion(newsroom"AT"uni-hamburg.de) gesendet werden.