Loki-Schmidt-GartenWie Botanikerinnen und Botaniker helfen, die Herkunft von Opfern des Sklavenhandels zu klären
28. Januar 2025, von Newsroom-Redaktion
Mit dem transatlantischen Sklavenhandel wurden vom 16. bis zum 19. Jahrhundert mehr als 12,5 Millionen Afrikanerinnen und Afrikaner in die Neue Welt verschleppt. Die Herkunftsregionen der versklavten Personen und die Transporte, die sie in Afrika selbst erdulden mussten, sind noch weitgehend unbekannt. Mitarbeitende der Universität Hamburg haben jetzt in einem internationalen Projekt dazu beigetragen, mithilfe von Pflanzenproben und Vergleichen mit Proben von Ausgrabungen aus Sklavenfriedhöfen die Herkunftsgebiete der dort begrabenen Menschen zu identifizieren.
Historische Dokumente belegen die Überfahrten von mindestens 36.079 Schiffen, die gefangene Afrikanerinnen und Afrikaner über den Atlantik transportierten. Ein großes internationales und interdisziplinäres Team unter Leitung der Anthropologie-Professorin Vicky Oelze von der University of California (UC) Santa Cruz (USA) hat nun Untersuchungen an den sterblichen Überersten von Personen aus dem African Burial Ground in Charleston (USA) und dem Slave Cemetery Pretos Novos in Rio de Janeiro (Brasilien) vorgenommen und dadurch dazu beigetragen, den Toten posthum einen Teil ihrer Identität wiederzugeben.
Analyse von Strontium-Isotopen
Aus Hamburg waren Dr. Thea Lautenschläger, die wissenschaftliche Leiterin des Loki-Schmidt-Gartens (Botanischer Garten der Universität Hamburg), sowie Dr. Manfred Finckh und Dr. Paulina Meller vom Institut für Pflanzenwissenschaften und Mikrobiologie der Universität Hamburg an den Untersuchungen beteiligt. Die Fachzeitschrift Nature Communications hat darüber berichtet.
Möglich wurde die geografische Zuordnung der Herkunftsregionen durch die Analyse von Strontium (Sr)-Isotopen. Vier verschiedene Isotope von Strontium – also verschiedene Atomarten desselben chemischen Elements – kommen in der Natur vor. Sie unterscheiden sich durch ihre Massezahl. Die Verhältnisse der Strontium-Isotope 87Sr/86Sr in Pflanzen bilden die charakteristischen Strontium-Signaturen der Böden und damit der darunter liegenden geologischen Substrate ab, auf denen sie wachsen. Menschen und Tiere nehmen diese über ihre Nahrung auf und spiegeln in ihrem Gewebe das Strontium-Isotopenverhältnis des Gebiets wider, in dem sie aufgewachsen sind.
Herkunftsregion war auch das angolanische Hochland
Die internationalen Forscherinnen und Forscher des Projekts konnten nun erstmals eine Karte der Strontium-Isotopenverhältnisse in Afrika veröffentlichen. Das Team der Universität Hamburg hat zur Erstellung dieser Karte die Pflanzenproben aus den unterschiedlichen geologischen Teilregionen Angolas, eines Zentrums des historischen Sklavenhandels, beigetragen. Im Rahmen ihrer Forschungsarbeiten haben sie mehrere tausend Pflanzen aus vielen Regionen Angolas für die botanischen Herbarien in Angola und in Duplikaten für das Herbarium Hamburgense und das Herbarium Dresdense gesammelt. Für die Erstellung der Strontium-Karten haben sie dann die Koordinaten der Sammelpunkte mit einer geologischen Karte Angolas verschnitten, um Probematerial für eine möglichst weitgehende Abdeckung des Landes auszuwählen.
Von den in den Herbarien ausgewählten Proben wurden kleine Mengen abgenommen und zur massenspektrometrischen Analyse an die UC Santa Cruz geschickt. Karten der Sr-Isotopenverhältnisse können helfen, die Herkunftsregionen biologischer Funde, zum Beispiel aus archäologischen Fundstätten wie Sklavenfriedhöfen, zu identifizieren. Hier können als Vergleichsprobe Strontium-Verhältnisse zum Beispiel in Knochen oder Zähnen dienen. Mithilfe der neu entwickelten Strontium-Isotopenkarte konnten im Rahmen der publizierten Studie für Personen aus dem African Burial Ground in Charleston (USA) und dem Slave Cemetery Pretos Novos in Rio de Janeiro (Brasilien) die wahrscheinlichen Herkunftsregionen identifiziert werden, in mehreren Fällen das angolanische Hochland.
„Großes Potenzial für moderne interdisziplinäre Forschungsfragen“
Dr. Thea Lautenschläger, Dr. Manfred Finckh und Dr. Paulina Meller forschen seit langem im Kontext mehrerer deutsch-afrikanischer Kooperationsprojekte als Ökologen zur Vegetation von Angola. „Es ist schon etwas Bewegendes, im Rahmen einer interdisziplinären Studie dazu beizutragen, Menschen, die vor Jahrhunderten aus unseren Untersuchungsgebieten verschleppt wurden, ihre Herkunft wiederzugeben“, betont der Vegetationskundler Manfred Finckh. „Es ist aber auch ein gutes Beispiel dafür, dass die Ergebnisse vegetationsökologischer Feldforschung und die botanischen Sammlungen der Universität Hamburg ein großes Potenzial für moderne interdisziplinäre Forschungsfragen bieten.“
Die neuentwickelte Karte kann jetzt unter anderem auch dazu beitragen, Wanderungen von Tierarten über große Distanzen genauer nachzuvollziehen, die Ökologie ausgestorbener Arten zu untersuchen oder auch die geografische Herkunft im Mittelmeer ertrunkener afrikanischer Flüchtlinge zu klären, betonen die Studienautorinnen und -autoren.