Von KI bis DatenerfassungWie kann Schulunterricht Informatik-Wissen effektiv vermitteln?Serie Forschen und Verstehen
20. Januar 2025, von Anna Priebe
Foto: Drazen Zigic via Getty Images
Ab dem 1. August 2025 ist Informatik an allen Hamburger Stadtteilschulen und Gymnasien Pflichtfach. Mit welchen Methoden man Schülerinnen und Schülern effektiv ein Verständnis von Anwendungen wie ChatGPT vermitteln kann, erforschen Moritz Kreinsen und das Team des Arbeitsbereichs Didaktik der Informatik unter Leitung von Prof. Dr. Sandra Schulz an der Fakultät für Erziehungswissenschaft.
Anwendungen auf Basis künstlicher Intelligenz entwickeln sich immer schneller weiter und halten auch an Schulen Einzug. Wozu forschen Sie in diesem Zusammenhang?
Zahlreiche Studien zeigen, dass viele Jugendliche zwar intensiv ihr Smartphone und ChatGPT nutzen, aber die Funktionsweisen der Systeme gar nicht verstehen und unreflektiert anwenden. Umso notwendiger ist das Pflichtfach Informatik, um Fachwissen über die Technologien, die sie täglich nutzen, zu vermitteln. Wir sprechen in der Regel von Informatiksystemen.
Wir entwickeln und überprüfen in unserer Forschung unter anderem didaktische Instrumente für den Unterricht. Denn nur, wenn diese zuverlässig das technische Verständnis vermitteln, kann der mündige Umgang mit den Informatiksystemen gelernt werden. Ich selbst arbeite insbesondere zu Anwendungen im Themenfeld der künstlichen Intelligenz (KI).
Wo setzen Sie an?
Wir setzen bei den Vorstellungen zu KI an, mit denen Schülerinnen und Schüler in den Unterricht kommen. In verschiedenen internationalen Studien wurde zum Beispiel festgestellt, dass viele von ihnen davon ausgehen, dass die Antworten von KI-Systemen wie ChatGPT „auf der anderen Seite“ vorprogrammiert seien, indem bereits festgelegt ist, welche Ausgaben zu einer Frage gegeben werden sollen.
Solche Vorstellungen bilden aus konstruktivistischer Perspektive den Ausgangspunkt des Lernens, an dem wir die Schülerinnen und Schüler mit unseren Inhalten abholen müssen. Doch welche Lernformate sind sinnvoll, um diese vorhandenen Konstrukte so zu verändern, dass sie den wissenschaftlichen Fakten und Konzepten entsprechen? In unserer Studie haben wir uns dazu das Instrument der Konzeptwechseltexte angeschaut.
Was verbirgt sich dahinter?
Konzeptwechseltexte werden in den Didaktiken der Naturwissenschaften oft angewendet, um vorhandene Vorstellungen zu erweitern. Die Informatikdidaktik ist ein relativ junges Feld und wir müssen erst herausfinden, welche Methoden für uns übertragbar sind.
Der Konzeptwechseltext ist ein Instrument für die Schülerinnen und Schüler, das einer bestimmten didaktischen Struktur folgt. Der von uns gezielt für die Studie entwickelte Text nimmt erstmal eine konkrete Annahme auf, der die Schülerinnen und Schüler in vorherigen Tests zugestimmt haben. Dann werden die Funktionsweisen der Anwendung, um die es geht, schrittweise erklärt. Dabei ist es wichtig, nicht einfach zu sagen: Alles Quatsch, was du bisher dachtest. Vielmehr werden zutreffende Aspekte hervorgehoben und als Basis verwendet, um falsche Annahmen zu widerlegen. Wichtig sind dabei immer konkrete Alltagsbeispiele.
Um welche Annahme ging es bei Ihnen?
In unserer Studie haben viele der circa 70 Schülerinnen und Schüler aus der zehnten und elften Klasse in einem Vorab-Test der Vorstellung zugestimmt, dass alle Antworten von ChatGPT bereits vorprogrammiert sind. Auf dieses Phänomen hin haben wir den Text formuliert und die informatischen Konzepte von Eingabeverarbeitung und Ausgabe sowie maschinellem Lernen erklärt.
Natürlich lesen die Schülerinnen und Schüler den Text nicht nur, sondern sie werden durch Aufgaben explizit zur Reflexion angeleitet. Wir wollen ihre Vorstellungen davon, wie spezifische KI-Phänomene funktionieren, nicht einfach ersetzen, sondern falsche Annahmen widerlegen und ihnen zum Erweitern des eigenen Verständnisses verhelfen.
Was war das Ergebnis?
Eine Woche nach der Intervention haben wir die Vorstellungen in einem zweiten Test überprüft. Dabei kam heraus, dass sich bei den Befragten eine statistisch signifikante Verbesserung des untersuchten Konzeptverständnisses am Beispiel ChatGPT zeigte. Das heißt, sie konnten besser nachvollziehen, wie das Informatiksystem funktioniert und die Antworten generiert.
Wie können die Erkenntnisse angewendet werden?
Wir konnten in dieser Pilotstudie zeigen, dass das Instrument auch für die Informatikdidaktik geeignet zu sein scheint. Nun kann man die Forschung ausweiten, etwa auf die Untersuchung der Langzeiteffekte von Konzeptwechseltexten oder den Vergleich mit Schulbuchtexten, die immer noch die häufigste Quelle in Schulen sind. Und da Text ein eher traditionelles Medium ist, könnte man auch über Konzeptwechsel-Podcasts oder Concept-Cartoons nachdenken und diese Arten von Medien testen.
Ich persönlich konnte unsere Forschungsergebnisse zudem bei meiner Mitarbeit in der Gruppe „Explainable AI in Education“ des „Digital Education Hub“ der Europäischen Kommission einbringen. Hier kommen Expertinnen und Experten aus der ganzen EU zusammen und erarbeiten Empfehlungen dazu, wie digitale Bildung umgesetzt werden sollte. In unserer Arbeitsgruppe haben wir uns damit beschäftigt, wie man KI-Systeme für die Bildung so gestalten kann, dass Nutzerinnen und Nutzer verstehen können, welche Prozesse ablaufen, um zu Ergebnissen zu kommen. Das kann dazu führen, dass Schülerinnen und Schüler mit ganz anderen Voraussetzungen in den Unterricht kommen. Und das kann das Lernen positiv beeinflussen.
Da die Technik auch in vielen Fächern abseits der Informatik zum Einsatz kommt, spielen beim Verständnis immer auch die Lehrkräfte anderer Fächer eine wichtige Rolle. Wie bildet sich das im Lehramtsstudium ab?
Die Informatik stellt Systeme und Methoden bereit, die Themen und Fragen aus anderen Fachwissenschaften liefern den Kontext, zum Beispiel die Klimawissenschaften, die mit Umwelt- und Wetterdaten arbeiten. Das Verständnis, wie Daten erhoben und mithilfe lernender Systeme verarbeitet werden – sogenannte AI- bzw. Data-Literacy – ist also Basis für viele Wissenschaften.
Wir arbeiten daher in der Lehrkräfteausbildung eng mit anderen Disziplinen zusammen. Denn die Studierenden müssen den Schülerinnen und Schülern später Datenkompetenz vermitteln und dafür entsprechend ausgebildet werden. In einem Projekt, das wir gemeinsam mit der Geographiedidaktik umgesetzt haben und das vom „Digital and Data Literacy in Teaching Lab“ (DDLitLab) gefördert wurde, hatten Studierende die Möglichkeit, selbst Daten rund um die Themen Wetter, Klima und Klimawandel zu erheben und zu verarbeiten. So konnten sie forschungsnahes Lernen praxisnah erleben. In ihrer Berufstätigkeit können sie es dann später selbst im Unterricht umsetzen und anhand konkreter Fragestellungen und Beispiele arbeiten. Das macht die Informatik für die Schülerinnen und Schüler gleich viel greifbarer.
Forschen und Verstehen
In den acht Fakultäten der Universität Hamburg forschen rund 6.200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Auch viele Studierende wenden oft bereits im Studium ihr neu erworbenes Wissen in der Praxis an. Die Reihe „Forschen und Verstehen“ gibt einen Einblick in die große Vielfalt der Forschungslandschaft und stellt einzelne Projekt genauer vor. Fragen und Anregungen können gerne an die Newsroom-Redaktion(newsroom"AT"uni-hamburg.de) gesendet werden.