Mit dem Forschungsschiff nach SpitzbergenAuf den Spuren des größten Massenaussterbens der Erdgeschichte
11. November 2024, von Marie Schlicht
Die Inselgruppe Spitzbergen in Norwegen ist eines der nördlichsten bewohnten Gebiete der Welt. Stella Buchwald und Monica Alejandra Gomez Correa, zwei Doktorandinnen am Fachbereich Erdsystemwissenschaften, waren diesen Sommer mit einem Forschungsteam dort, um zum größten Massenaussterben der Erdgeschichte zu forschen. Im Interview erzählen sie von ihrem schwimmenden Zuhause und Begegnungen mit Eisbären.
75 Prozent der Landfauna und 95 Prozent der im Meer lebenden Arten verschwanden bei dem Massenaussterben an der Perm-Trias-Grenze vor 252 Millionen Jahren von der Erde. Wie konnte es dazu kommen?
Stella Buchwald: Die Wissenschaft ist sich einig, dass der Ausbruch eines riesigen Vulkangebiets in Sibirien für das Aussterben verantwortlich war. Dadurch wurde so viel CO₂ in die Atmosphäre geschleudert, dass es zu einer starken Erderwärmung kam und die Ozeane viel Sauerstoff verloren haben und versauert sind. Folglich starben viele Organismen aus. Der Effekt ist mit der Klimakrise der heutigen Zeit zu vergleichen.
Sie forschen zu dem Aussterben – unter anderem in Spitzbergen. Wie sah ein typischer Tag auf Ihrer Expedition aus?
Buchwald: Unser gesamtes Team – wir von der Uni Hamburg, Forscherinnen und Forscher von der Universität Nanjing in China, der Yale Universität und der Universität Oslo – hat gemeinsam auf einem kleinen Forschungsschiff gewohnt, auf der Ulla Rinman. Sie war unser schwimmendes Zuhause. Zelten wäre wegen der Eisbären an Land zu gefährlich gewesen. Jeden Morgen haben wir gemeinsam auf dem Boot gefrühstückt und sind dann auf einem Schlauchboot an Land gefahren. Dort haben wir den ganzen Tag unsere Proben entnommen, bis der Kapitän der Ulla Rinman uns abends wieder abgeholt hat. Dann gab es Abendessen, wir haben Karten gespielt und den nächsten Tag geplant.
Monica Alejandra Gomez Correa: Zudem mussten wir jeden Morgen bestimmen, wer für die Sicherheit an dem Tag zuständig ist. Die Person hat dann nach Eisbären Ausschau gehalten, während die anderen gearbeitet haben.
Und haben Sie tatsächlich welche gesehen?
Gomez Correa: Wir haben eine Bärenmama und ihr Junges gesehen und sind dann schnell evakuiert – das heißt, dass wir sofort zum Boot zurückgekehrt und in diesem Gebiet ein paar Tage nicht an Land gegangen. Eisbären sind geschützte Tiere und es ist wichtig, ihnen Freiraum zu lassen. Es ist schließlich ihr Ökosystem, wir sind nur zu Gast. Aber natürlich ist es aufregend, Bären in der freien Wildbahn zu sehen, da man so eine Gelegenheit selten bekommt – aber besser nur aus der Ferne.
Die Proben, die Sie genommen haben, untersuchen Sie in Hamburg. Was erforschen Sie?
Gomez Correa: Das gemeinsame Ziel der Emmy Noether- Forschungsgruppe unseres Gruppenleiters William Foster ist es, mehr über das Massenaussterben herauszufinden. Wir möchten ein besseres Bild von den Abläufen in der Natur erhalten: Was ist vor, während und nach dem Aussterben passiert? Das betrachten wir aus unterschiedlichen Perspektiven.
Welche Perspektiven sind das?
Buchwald: Zunächst einmal nehmen wir gemeinsam Gesteinsproben. Diesen Sommer waren wir dafür in Spitzbergen, wir waren aber auch schon im Süden Chinas, in der Türkei und in Norditalien. Alejandra löst die Gesteine dann im Labor in Säure auf und untersucht die Rückstände auf Mikrofossilien und ich analysiere Biomoleküle. Diese sind auch nach 252 Millionen Jahren noch in den Steinen erhalten und geben uns Auskunft über die Umweltbedingungen zur Zeit des Massenaussterbens.
Gomez Correa: Die Schwierigkeit besteht darin, dass wir vorher nicht wissen, welche Gesteinsproben für uns relevant sind, also welche Steine genügend Fossilien enthalten. Das wissen wir erst, nachdem ich die Proben monatelang in Säure aufgelöst habe. Ich untersuche dann, ob in den Proben Mikrofossilien enthalten sind, sogenannte Ostrakoden, die entfernt mit Krabben verwandt sind. Ich kann bereits beobachten, dass Ostrakoden das Aussterben gut überstanden haben. Nun möchte ich noch herausfinden, wie sich die Ostrakoden-Gemeinschaft vor, während und nach dem Aussterben verhalten hat, was wiederum Erkenntnisse über das Massensterben allgemein bringen kann.