Titel, Thesen, PromotionenMit Kälbchen Goofy praktisch lernen und Demokratie erfahren
7. Oktober 2024, von Lennart Wichmann
Foto: Barbara Dammann
Barbara Dammann ist seit 15 Jahren Lehrerin in Hamburg. Aus ihrer Unterrichtspraxis heraus entwickelte sie ihr Promotionsprojekt über Resonanzpädagogik und Demokratieerfahrung. Eine wichtige Rolle spielt dabei Geburt und Schicksal des kleinen Ochsen Goofy.
Frau Dammann, wie sind Sie auf Ihr Promotionsthema gekommen?
Auf einer Klassenfahrt 2019 im Zillertal in Österreich wurden Schülerinnen und Schüler zufällig Zeugen der Geburt eines Stierkalbes, das sie Goofy nannten und für das sie einen Patenbrief schrieben. Im Gespräch mit dem Bauern erkannten sie, dass es sich um einen Milchbetrieb handelte und Goofy als männliches Rind in einen Schlachtbetrieb gebracht werden sollte. Die Schülerinnen und Schüler rebellierten gegen dieses Schicksal und entwickelten erste Ideen, wie sie Goofy retten könnten.
Hatten Sie Erfolg?
Ein an die Schule angrenzendes Museumsdorf stimmte schließlich einer Vereinbarung zu, das Tier für zwei Jahre aufzunehmen, während die Klasse es selbstständig pflegte. In der Schule wurde Goofy in verschiedenen Fächern thematisiert, wobei Aspekte wie Fleischwirtschaft, Ernährung und Klimawandel in einem praxisorientierten Ansatz behandelt wurden.
Parallel dazu entwickelte sich das Projekt schnell zu einem Politikum, insbesondere mit Blick auf Goofys bevorstehende Schlachtung nach zwei Jahren. Tierschützer und Politikerinnen suchten den Dialog mit der Schulklasse, während überregionale Zeitungen Artikel veröffentlichten und Fernsehberichte ausgestrahlt wurden. Das Ereignis sprengte den herkömmlichen Rahmen von Schule. Durch die Reflexion der Erlebnisse in Projektbüchern, in denen die Schülerinnen und Schüler ihre Erfahrungen und Themen festhielten, sowie in diversen Interviews mit der Klasse, entstand ein umfangreicher Datenkorpus, der als Grundlage für meine Forschung diente.
Was ist konkret Ihr Forschungsansatz?
Unsere Schule durchläuft seit geraumer Zeit einen Entwicklungsprozess angelehnt an der Resonanztheorie des Soziologen Hartmut Rosa. Diese beschreibt einen Beziehungsmodus, in dem Menschen und ihre Umwelt in einem dynamischen, wechselseitigen Austausch stehen. Die Umsetzung einer Resonanzpädagogik wurde bisher an keiner Schule praktisch angewandt. Meine Arbeit zielt darauf ab, am Langzeitprojekt „Go for Goofy“ aufzuzeigen, wie diese Theorie in der konkreten Unterrichtspraxis umgesetzt werden kann.
Was sind Ihre Erkenntnisse?
Bei der Klasse ist durch die Geburt des Kalbes und durch die Ankündigung der Schlachtung ein Gefühl der Diskontinuität entstanden, eine Art Störung, die das bisher als kongruent Erfahrene in Frage stellt. Dieses Ereignis initiiert ein resonantes Lernen, bei dem die Schülerinnen an Erfahrung wachsen und sich positionieren. Einige von ihnen ernähren sich seitdem vegan. Es findet ein Aushandlungsprozess zwischen dem angestrebten Ziel – der Rettung von Goofy – und dem statt, was möglich ist. Diese Erfahrungen spiegeln Hartmut Rosas Resonanzthese wider, die besagt, dass Resonanz in Beziehungen entsteht, wenn Menschen sich mit ihrer Umwelt und miteinander verbinden.
Woher stammt der Fokus auf Demokratie in Ihrer Forschung?
Die zwei Jahre des Projekts waren von vielen Aushandlungsprozessen geprägt, die im Datenmaterial deutlich sichtbar wurden. Von der Anfangsfrage „Wie gelingt es uns, den Ochsen aus dem Milchbetrieb zu holen?“ bis zur grundlegenden Frage der Schlachtung oder Rettung nach zwei Jahren, wurden immer wieder alltägliche organisatorische Belange und Konflikte verhandelt. Es fand ein Wechselspiel zwischen aktivem Handeln und dessen Reflexion statt. In diesem Kontext wurde Demokratie als Lebensform gelebt, ohne dass dies den Schülerinnen und Schülern zu Beginn bewusst war. Erst bei der Sichtung des Materials wurde mir klar, dass der Forschungsschwerpunkt auf Demokratie liegen würde, weil dieser Fokus das bildungsrelevante Potenzial des Projekts entfalten konnte.
Warum ist es wichtig, Demokratie im schulischen Kontext zu untersuchen?
Die leiblich-affektive Komponente des Stallausmistens, des Fütterns, des Geburtstagsfeierns mit Goofy und die anschließende Reflexion führten zu einer tiefgreifenden Bildungserfahrung. Demokratie wurde in der Schule konkret erfahrbar, etwa durch die Anmeldung von Demonstrationen oder dem Verfassen einer Petition für Goofy. Diese Erfahrungen stehen im Einklang mit Hartmut Rosas Resonanzthese, die betont, dass Resonanz in zwischenmenschlichen Beziehungen entsteht und dass Demokratie nicht nur eine Staatsform ist, sondern eine Lebensform, die durch aktive Teilhabe und emotionale Verbindung geprägt wird.
Was können andere Schulen von Ihrer Arbeit lernen?
Das Goofy-Projekt ist einzigartig. Jedoch zeigt es, wie tiefgreifend ein Beziehungsaufbau zu einem Thema durch intensive Partizipation im Kontext von Schule sein kann. Bildungsprojekte dieser Art entstehen meist, wenn Schulen Raum für Unverfügbarkeit bieten. Unverfügbarkeit nach Rosa bedeutet, dass Resonanzbeziehungen nicht erzwungen werden können – sie sind von einer prinzipiellen Offenheit geprägt. Deshalb ist meine Arbeit auch als ein Appell an Schulen gedacht: Mut zur Unverfügbarkeit!
Was sind die nächsten Schritte nach Abschluss Ihrer Promotion?
Ich arbeite wieder an der Schule und leite zusätzlich ein Seminar an der Universität Hamburg zur Resonanzpädagogik. In diesem Rahmen haben die Studierenden die Möglichkeit, Resonanzsignaturen direkt an der Schule zu beobachten. Wir erstellen außerdem einen Qualitätskatalog für resonantes Lernen. Gemeinsam mit Studierenden der Universität Hamburg und der Universität Jena, wo die Resonanzpädagogik ihren Ursprung hat, versuchen wir, Resonanzen im Schulalltag näher zu beschreiben. Derzeit erforschen wir, ob digitale Medien in der Schule resonanzverstärkend oder -hemmend wirken. Das Thema bleibt also aktuell.
Wie geht es Goofy heute?
Goofy durfte im Museumsdorf bleiben und wurde nach den ausgehandelten zwei Jahren an eine weitere Schulklasse übergeben, die sich ebenfalls im Rahmen einer Patenschaft um ihn kümmerte. Seit einiger Zeit lebt er nun auf dem Hof Butenland an der Nordseeküste. Es scheint ihm gut zu gehen.
Promotionsthemen gesucht
Für das Format „Titel, Thesen, Promotionen“ sucht unsere Redaktion nach weiteren spannenden Promotionsthemen. Promovierende, die sich in der Planungsphase befinden, aktuell promovieren oder kurz vor dem Abschluss stehen, sind herzlich eingeladen, Kontakt aufzunehmen. Hinweise mit Themen an newsroom"AT"uni-hamburg.de.