Serie Forschen und VerstehenDem Gefühl der Langeweile auf der Spur
19. August 2024, von Anna Priebe
Foto: pexels/Ivan Samkov
Langeweile hat einen schlechten Ruf und wir versuchen, sie bestmöglich zu vermeiden. Dabei ist sie ein Schlüssel, wenn es um Motivation, Entscheidungen und Leistungen geht. Das Team um den Sportpsychologen Prof. Dr. Wanja Wolff erforscht die Grundzüge der Langeweile.
Bei Ihrer Arbeit geht um die Dynamiken menschlicher Leistungsregulation. Was muss man sich darunter vorstellen?
Leistung ist nicht nur ein Endergebnis, also etwa eine gute Note oder eine Zehn-Kilometer-Bestzeit, sondern ein Prozess an dessen Ende dann ein Ergebnis steht. Uns interessiert, wie Menschen diesen Prozess regulieren. Vor allem wollen wir verstehen, auf welche Weise grundlegende menschliche Empfindungen hierbei wirken und welche Funktion sie haben. Wie beeinflussen zum Beispiel Langeweile oder Anstrengung, ob wir schneller oder langsamer laufen oder sogar aufhören. Langeweile entwickelt sich dabei nicht unbedingt linear, sondern ist dynamisch und flüchtig, kommt plötzlich und kann wieder verschwinden. Deshalb schauen wir auch stark auf physiologische und neurowissenschaftliche Signale.
Langeweile verbindet man im ersten Moment nicht unbedingt mit Leistung. Haben wir ein falsches Bild?
Tatsächlich ist unser Verständnis von Langeweile oft unvollständig. Das liegt auch daran, dass wir sie in der Forschung lange ignoriert haben – was eigentlich merkwürdig ist, wenn man bedenkt, dass die Philosophie sie schon vor Tausenden von Jahren als vermeintlich großes Problem für die Menschheit ausgemacht hat.
Eine gängige Definition sieht Langeweile als ein Signal, das uns anzeigt, dass wir unsere körperlichen oder geistigen Ressourcen in irgendeiner Form inadäquat einsetzen. Sie legt uns damit nahe, dass wir etwas anderes machen sollten, und ist somit ein starker Motivator, der uns anstößt lohnendere Verhaltensalternativen zu suchen. Im Internet sind zum Beispiel haufenweise Tipps zu finden, wie Menschen ihr Lauf- oder Krafttraining weniger langweilig machen können. In der Praxis weiß man also um die Bedeutung der Empfindung, aber es gibt bislang nur wenige belastbare Studien zur Dynamik von Langeweile und Leistungsqualität.
Das heißt aber auch: Langeweile ist nicht gleichzusetzen mit Nichtstun?
Nein, auf keinen Fall. Viele Leute sagen, sie wünschten, sie könnten sich mal langweilen, hätten aber zu viel zu tun. Aber sind beim Job wirklich keine Aufgaben dabei, die man langweilig findet? Man unterschätzt, dass man durchaus voll beschäftigt sein und sich dabei tierisch langweilen kann.
Langeweile und Nichtstun können natürlich zusammen vorkommen, aber Langeweile kommt auch bei einer Tätigkeit auf, sobald das Gehirn signalisiert, dass sie gerade nicht als lohnenswert empfunden wird. Gleichzeitig kann Nichtstun sehr befriedigend sein. Langeweile ist nämlich als aversiver, also unangenehmer, Zustand definiert und Menschen unternehmen große Anstrengungen, um ihm zu entfliehen.
Wie konstruiert man Langeweile im Labor?
Experimentelle Langeweile ist schwierig zu gestalten, denn man muss zwischen langweiliger Aufgabe und gelangweilter Person trennen. Es gab mal einen Versuchsaufbau, bei dem sich Probandinnen und Probanden ein Video anschauen mussten, in dem zwei Männer nichts tun außer Wäsche aufzuhängen. Aber solche Versuchsanordnungen werden mittlerweile seltener eingesetzt, weil nicht sichergestellt ist, dass die Teilnehmenden sich auch langweilen. Denn sie können die Zeit zum Beispiel nutzen, um die Einkaufsliste zu erstellen oder zu überlegen, was sie abends kochen. Dann empfinden sie keine Langeweile.
Vor dem Hintergrund ist es sinnvoll, Aufgaben zu stellen, bei denen die Personen gezwungen sind, selbst mitzuwirken und nicht die Möglichkeit haben, zum Beispiel in Tagträume abzudriften. Dafür eignen sich sehr überfordernde oder monotone Aufgaben gut.
Das ist übrigens auch der Grund, warum Langeweile in vielen verhaltenswissenschaftlichen Experimenten eine oft übersehene mögliche Störvariable ist. Die Bedingungen sind so konzipiert, dass sie zwar genau das messen, was sie messen sollen, aber sie können auch dazu führen, dass sich die Probandinnen und Probanden langweilen. Nach dem 400. Bild, das einem gezeigt wird, ist die Luft raus. In einer aktuellen Untersuchung von uns berichteten erfahrene Versuchsteilnehmende tatsächlich, dass sie sich häufig aufgrund von Langeweile in Experimenten anders verhalten und dass sie glauben, dass dies die Ergebnisse beeinflusst.
Wir wollen das Chaotische der Langweile abbilden
Wie sieht also ein Experiment bei Ihnen aus?
Wir wollen ganz grundsätzlich verstehen, wie empfundene Langeweile sich im Laufe der Zeit verändert und dabei mit körperlichen Reaktionen interagiert. Wir wollen das Nichtlineare und auch Chaotische der Langweile abbilden. Dafür müssen wir entsprechende Aufgaben entwickeln und Messungen durchführen.
Grundsätzlich erfassen wir vorab mithilfe von Fragebögen die Persönlichkeit der Teilnehmenden. Denn die Tendenz zur Langeweile ist ja durchaus sehr individuell. Um Langeweile bei einer körperlichen Aktivität hervorzurufen, haben wir Probandinnen und Probanden zum Beispiel auf ein Ergometer gesetzt und sie 20 Minuten bei sehr geringem Widerstand fahren lassen. Im Abstand von wenigen Minuten haben wir dann immer wieder ihr Empfinden abgefragt.
Dabei hat sich gezeigt, dass die meisten Teilnehmenden es von Minute zu Minute langweiliger fanden und auch zunehmend anstrengend, obwohl der Widerstand sich nicht veränderte. Die Personen, die sich laut Fragebogen schnell langweilen, fanden die Aufgabe direkt langweiliger und schlimmer. Sobald man die Aufgabe aber veränderte und mit dem Ergometer etwa eine kontinuierliche Steigung simulierte, wurde die Langeweile deutlich weniger.
Neben den Befragungen führen wir verschiedene Messungen durch, um die körperlichen Veränderungen zu dokumentieren. Uns interessiert dann auch, ob und wann die Personen abbrechen oder – bei kognitiven Experimenten – wie sich das Reaktions- und Entscheidungsverhalten ändert.
Was können Sie alles messen?
Unser Labor befindet sich gerade noch im Aufbau. Momentan arbeiten wir unter anderem mit Eyetracking zur Verfolgung der Augenbewegung, Atemgasanalysen, Laktattests für die Bestimmung der Anstrengung, Systemen zur Messung der Hautleitfähigkeit als Indikator für Stress sowie Geräten zur Erhebung der Handkraft. Perspektivisch wollen wir auch die Nahinfrarotspektroskopie einsetzen, mit der man lokale Veränderungen der Durchblutung in oberflächlichen Hirnarealen sehen kann.
Soll mit diesem Wissen dann der Langeweile der Garaus gemacht werden?
Nein, Langeweile ist eine extrem wichtige Empfindung. Sie ist wie Schmerz zwar unangenehm, aber auch sie hat eine wichtige Schutzfunktion, weil sie uns hilft, auf potenziell schädliche Umweltgegebenheiten zu reagieren. Und Langeweile macht ihren Job gut, denn wir vermeiden sie, wo wir können: Wir wollen keinen langweiligen Job, kein langweiliges Hobby oder langweilige Beziehungen.
Es geht eher darum, Leute zu schulen, kompetent mit Langeweile umzugehen, wenn sie doch da ist. Das lernen wir oft nicht richtig. Warum langweile ich mich und welche Handlungsimpulse nehme ich gerade wahr? Man kann dann positiv reagieren und zum Beispiel die Umgebung verändern, sie angenehmer gestalten oder bewusst reflektieren, warum man zum Beispiel gerade joggt und welche Vorteile das bringt.
Zur Person
Prof. Dr. Wanja Wolff hat zum April 2024 eine Professur für Sportpsychologie an der Fakultät für Psychologie und Bewegungswissenschaft angetreten. Er leitet dort den Arbeitsbereich „Sport, Individuum und Gesellschaft“, wo gerade das „Dynamics of Human Performance Regulation Laboratory (DHPRL) aufgebaut wird.
Forschen und Verstehen
In den acht Fakultäten der Universität Hamburg forschen rund 6.200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Auch viele Studierende wenden oft bereits im Studium ihr neu erworbenes Wissen in der Praxis an. Die Reihe „Forschen und Verstehen“ gibt einen Einblick in die große Vielfalt der Forschungslandschaft und stellt einzelne Projekt genauer vor. Fragen und Anregungen können gerne an die Newsroom-Redaktion(newsroom"AT"uni-hamburg.de) gesendet werden.