Fachwissen oder VertrauensprüfungWie Kinder lernen, Desinformationen in den sozialen Medien zu erkennen
4. Juli 2024, von Anna Priebe
Foto: Pexels/Vanessa Loring
Schülerinnen und Schüler sind in den sozialen Medien immer wieder mit falschen Informationen konfrontiert, etwa zum Klimawandel. Wie sie lernen können, Fakten richtig einzuschätzen, untersucht ein Team um Prof. Dr. Dietmar Höttecke, Professor für Physikdidaktik an der Fakultät für Erziehungswissenschaft.
Die sozialen Medien sind für Schülerinnen und Schüler das Hauptinformationsmedium, auch zum Thema Klimawandel. Mit welchen Inhalten werden sie dort konfrontiert?
Wissenschaft wird auf diesen Plattformen eigentlich immer von vermeintlichen Expertinnen und Experten vermittelt. Das gilt auch für Erkenntnisse zum Klimawandel. Zwar sind die allermeisten Menschen überzeugt, dass es einen Klimawandel gibt, aber es gibt weiterhin systematische Strategien, um Zweifel zu säen. Vor allem geht es dabei um seine Folgen und den Umgang mit ihnen.
Oft verbinden sich dabei wahre und falsche Aussagen. Dann heißt es in einem Post, dass es den Klimawandel zwar gäbe und mehr CO2 in der Atmosphäre sei, aber das sei doch Dünger, den Pflanzen bräuchten. Dass die Pflanzen durch die vermehrten Dürren und Trockenperioden in weiten Teilen der Erde vertrocknen werden und das CO2 nicht verarbeiten können, bleibt unerwähnt. Mit diesen falschen Informationen oder Teilwahrheiten wird manipuliert.
Sie untersuchen, wie man den jungen Menschen am besten den Umgang mit diesen Informationen beibringen kann. Welche Ansätze verfolgen Sie?
Wir testen zwei Strategien, die man in den sozialen Medien nutzen kann, um zu entscheiden, ob man einer Person oder einer Aussage glaubt. Die eine setzt auf Fachwissen. Die klassische Aufgabe der naturwissenschaftlichen Unterrichtsfächer besteht ja – verkürzt gesagt – darin, die Schülerinnen und Schüler mit ausreichend Fachwissen zu versorgen, damit sie gute Entscheidungen treffen.
Allerdings ist die Welt sehr komplex geworden und die Problemvielfalt, die wir in den sozialen Medien finden, ist riesig. Da werden so unterschiedliche Dinge mit wissenschaftlichem Bezug verhandelt, dass es quasi unmöglich ist, die jungen Menschen auf jedes Teilproblem fachlich vorzubereiten. Natürlich kann man einzelne Sachenverhalte im Internet nachschauen, aber in der Realität recherchiert niemand stundenlang die zugrundeliegenden Sachverhalte eines Posts.
Daher setzen wir auf eine zweite Strategie, die junge Menschen ermächtigt, gute Vertrauensurteile zu treffen – unabhängig von einem Fachgebiet. Sie beruht im Wesentlichen auf Einsichten, wie Wissenschaft grundsätzlich funktioniert: Was ist wissenschaftlicher Konsens? Welche wissenschaftlichen Institutionen gibt es? Und woran erkenne ich einen sprechfähigen Experten bzw. eine Expertin? Das kann man in wenigen Minuten prüfen.
Wie gehen Sie in der Forschung vor?
Wir führen eine Experimentalstudie durch, für die wir zwei Trainings, sogenannte Interventionen, entwickelt haben. Eine Schulungseinheit vermittelt den Jugendlichen Fachwissen unter anderem aus der Physik und der Geografie. Das andere Training lehrt ein Vorgehen, das verschiedene medienpädagogische Elemente mit Wissen über die Natur der Naturwissenschaften verbindet und ein Vertrauensurteil über Personen und Aussagen ermöglichen soll. Da geht es dann zum Beispiel um Methoden des Faktenchecks oder die Recherchetechnik des lateralen Lesens, bei der mehrere Internetseiten parallel genutzt werden. Wir untersuchen die Trainings in Hinblick auf ihre Wirkung, interessierten uns aber auch für die Kombination der Interventionen.
Wie sieht die Testgruppe aus?
Wir arbeiten mit Schülerinnen und Schülern der achten bis elften Klassen einer Schule zusammen, mit der wir für das Projekt kooperieren. Insgesamt sind das ca. 400 Schülerinnen und Schüler, die wir für unsere Interventionen in neuen Lerngruppen zusammenfassen.
Um diese Lerngruppen statistisch möglichst ähnlich zu gestalten, führen wir eine erste Messung vor den Interventionen durch. Aus den Daten können wir ein Spektrum unterschiedlicher Eigenschaften und Fähigkeiten ablesen und so Gruppen zusammensetzen, in denen die Voraussetzungen der Teilnehmenden möglichst gleich verteilt sind. Diese Gruppen erhalten dann die Trainings.
Die Testaufgaben sind so konzipiert, dass sie mit beiden Trainings richtig gelöst werden könnten
Und wie untersuchen Sie, ob und wie die Interventionen funktionieren?
Wir haben Messinstrumente entwickelt, die darstellen können, ob sich durch die Interventionen die Einschätzung von Aussagen zum Klimawandel verändert. Dafür nutzen wir zum Beispiel sogenannte Vignetten. Das sind Kombinationen aus einem Menschen, der mit Bild und Namen dargestellt wird, sowie einer kurzen Aussage zum Klimawandel, wie man sie in den sozialen Medien findet. Die Schülerinnen und Schüler sollen diese Person bzw. ihre Aussage bewerten und Halbwahrheiten oder Lügen erkennen. Wir erfragen auch, wie sie zu ihrem Urteil kommen.
Die Zitate zum Klimawandel haben wir aus dem Internet oder aus Publikationen zu dem Thema, das heißt, sie sind authentisch. Auch die Personen sind real und man kann im Internet zu ihnen recherchieren.
Variationen dieser Bewertungsaufgaben stellen wir den Schülerinnen und Schülern vor, während und nach den Interventionen. Unsere Testaufgaben sind so konzipiert, dass sie prinzipiell mit beiden Trainings richtig gelöst werden könnten. Wir wollen wissen, inwiefern die eine Intervention der anderen möglicherweise überlegen ist.
Wie kann man die Ergebnisse später in den Unterricht einbinden?
Die Forschungsfrage schwebt erstmal über den Fächerstrukturen, wie wir sie in den Schulen finden. Zu einer sinnvollen Einbindung in den Unterricht können wir erst etwas sagen, wenn unsere Untersuchungsergebnisse vorliegen. Der große Vorzug dieser Studie ist, dass wir bei beiden Interventionen davon ausgehen, dass sie positive Effekte haben. Wir wissen aber nicht, in welchem Verhältnis sie zueinander wirken: Wie wichtig ist das Fachwissen für die Bewertung, wie wichtig das allgemeine Vertrauensurteil? Hier wollen wir zu einer Wissensbasis beitragen, auf der wir langfristig gute Entscheidungen für die Lehrplanentwicklung treffen können. Grundsätzlich wird medienpädagogische Bildung aber immer ein Querschnittsthema sein.
Über das Projekt
„SMiLey: Science Media Literacy – eine Interventionsstudie“ wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert. Es ist ein gemeinsames Projekt der Teams um Prof. Dr. Dietmar Höttecke aus der Physikdidaktik und der Geografiedidaktik um Prof. Dr. Sandra Sprenger.
Forschen und Verstehen
In den acht Fakultäten der Universität Hamburg forschen rund 6.200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Auch viele Studierende wenden oft bereits im Studium ihr neu erworbenes Wissen in der Praxis an. Die Reihe „Forschen und Verstehen“ gibt einen Einblick in die große Vielfalt der Forschungslandschaft und stellt einzelne Projekt genauer vor. Fragen und Anregungen können gerne an die Newsroom-Redaktion(newsroom"AT"uni-hamburg.de) gesendet werden.