Forschen und Verstehen Folge 31„Der Blick ins Grüne ist beim Wohnen ein sehr wichtiger Faktor“
12. Juni 2024, von Tim Schreiber
Foto: UHH
Ein naturnahes Wohnumfeld ist zumindest in Hamburg kein Privileg einer höheren sozialen Klasse – das ist eines der Ergebnisse des Projekts „Wohnen im Grünen“ von Prof. Dr. Stefanie Kley. Die Professorin für Soziologie an der Universität Hamburg spricht im Interview über weitere Ergebnisse und erklärt, warum grüne Hinterhöfe für die Menschen so wichtig sind.
Wahrscheinlich hat jeder Mensch gern Natur um seinen Wohnort herum. Sie haben bei Ihrem Projekt „Wohnen im Grünen“ mithilfe von circa 1.800 Interviews ganz genau nachgefragt. Was haben Sie herausgefunden?
Wir haben unter anderem konkret gefragt, was die Menschen sehen, wenn sie bei sich aus dem Fenster schauen. Dabei haben wir zwei Städte untersucht: Köln und Hamburg. Wir haben festgestellt, dass es in Hamburg kaum Unterschiede gibt zwischen den sozialen Schichten, wenn es um den Blick ins Grüne geht. In Köln ist das zum Beispiel anders. Da gibt es eine deutliche Abstufung.
Ist Hamburg vielleicht einfach insgesamt grüner?
Ja, aber das Grün ist auch gleichmäßiger verteilt. Selbst die Wohngebiete, in denen weniger reiche Leute wohnen, haben viel Grün. Und das ist in anderen Städten anders – und bestimmt nicht nur in Köln. Es gibt bereits Forschung zur Verteilung von Grün in Städten, aber das wurde bislang nicht konkret mit Blick auf soziale Klassen untersucht.
Ein schöner Befund für Hamburg!
Ja, das ist eine gute Nachricht. Jetzt gilt es nur, dieses Grün zu erhalten! Vor allem unsere grünen Straßen mit ihrem Baumbestand tragen sehr viel dazu bei. Wir haben aber auch sehr viele Quartiere mit grünen Hinterhöfen. Das sind grüne Oasen. Ein grüner Hof gleicht einiges an Belastung in der Wohnumgebung aus. Zum Beispiel den Verkehrslärm, der den Menschen Stress bereitet.
Was ist mit dem anderen Grün, den Parks zum Beispiel?
Die Nähe zu öffentlichen Grünräumen ist den Menschen auch wichtig, vor allem in bestimmten Lebenslagen, zum Beispiel für Ältere. Für Familien ist der eigene Garten besonders wichtig. Aber praktisch für alle sozialen Gruppen sind grüne Höfe wichtig, um zu entscheiden, in der Stadt wohnen zu bleiben und nicht rauszuziehen.
Man muss also gar nicht aufs Land ziehen, um das Bedürfnis nach Natur zu stillen?
Genau, das ist auch ein Ergebnis unserer Studie. Bislang war relativ wenig darüber bekannt, wie wichtig dieses Grün ist, wenn es darum geht, dass Menschen sich entscheiden, wegzuziehen. Unsere Forschung zeigt, dass es für Familien mit kleinen Kindern nach wie vor wichtig ist, einen eigenen Garten zu haben. Aber in anderen Lebensphasen sind geteilte Grünräume eben auch eine gute Kompensation und das Grün ist ein Haltefaktor.
Und es gibt ja eben auch genau den Gegentrend: Familien, die sich bewusst für das Leben in der Stadt entscheiden. Ich könnte mir vorstellen, dass für diese Familien eine dichter bebaute Wohnumgebung, in der es aber trotzdem ruhige grüne Oasen gibt, sehr attraktiv ist. Das ist eine wichtige Erkenntnis auch für die Stadtentwicklung. Denn es gibt ja Bestrebungen, Menschen mehr für den Geschosswohnungsbau zu erwärmen und davon wegzukommen, dass ab einer bestimmten Lebensphase alle nach dem eigenen Häuschen im Grünen streben.
Gilt die Wichtigkeit des Grüns für alle Menschen oder nur für diejenigen, die besondere Naturfans sind?
Das alles gilt auch für Menschen, die sich selbst nicht als besonders naturverbunden beschreiben würden. Wir Menschen reagieren auf viele Dinge auch unbewusst. Bei allen Menschen wirkt sich das Grün messbar auf die Wohnzufriedenheit aus und darüber hinaus auch auf Wegzugsgedanken und konkreter werdende Pläne. Das sind in der Regel längere Prozesse, bei denen viele Dinge eine Rolle spielen: der Job, die Schule für die Kinder und so weiter. Der Blick ins Grüne und nutzbare Grünräume sind in dieser ganzen Reihe – und beim Thema Wohnen insgesamt – aber eben auch sehr wichtige Faktoren.
Über das Projekt
Viele Studien zeigen, dass Bäume, Grünflächen und Uferzonen wichtig für das Wohlbefinden sind, aber niemand kann sagen, wie viel Grün für eine lebenswerte Stadt notwendig ist. Es ist auch wenig darüber bekannt, welchen Stellenwert eine grüne Wohnumgebung einnimmt, wenn es um Umzugsentscheidungen geht. Das Projekt „Wohnen im Grünen“ hat vier Jahre lang die Wichtigkeit der Grünräume in der direkten Wohnumgebung von Städtern für ihre Lebensqualität und eventuelle Umzugsentscheidungen untersucht und ist im Mai 2024 abgeschlossen worden.
Das Projekt beruht auf einer zweimaligen Befragung im Abstand von 12 Monaten in Hamburg und Köln. Dazu wurden zufällig Menschen über 18 Jahre in Hamburg und Köln angerufen und im Schnitt eine halbe Stunde befragt. Auf diese Weise wird eine annähernd repräsentative Auswahl von je 900 Befragten aus der Wohnbevölkerung der beiden Städte getroffen.
Forschen und Verstehen
In den acht Fakultäten der Universität Hamburg forschen rund 6.200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Auch viele Studierende wenden oft bereits im Studium ihr neu erworbenes Wissen in der Praxis an. Die Reihe „Forschen und Verstehen“ gibt einen Einblick in die große Vielfalt der Forschungslandschaft und stellt einzelne Projekt genauer vor. Fragen und Anregungen können gerne an die Newsroom-Redaktion(newsroom"AT"uni-hamburg.de) gesendet werden.