Serie Forschen und VerstehenUnd wo möchtest Du arbeiten? Präferenzen für Arbeitsorte ganzheitlich erforscht
10. April 2024, von Anna Priebe
Foto: UHH/Lutsch
Im Büro, im Homeoffice oder doch hybrid? Seit der Corona-Pandemie haben sich die Optionen möglicher Arbeitsorte vergrößert. Marie-Therese Wiese M.Sc., Ricarda Reich M.Sc. und Prof. Dr. Dorothea Alewell untersuchen in einem Forschungsprojekt, wo Menschen gerne arbeiten möchten und wovon die Präferenzen abhängen.
Sie beschäftigen sich in Ihrer Forschung mit der Arbeitskultur in Unternehmen. Worum geht es in Ihrem Projekt?
Marie-Therese Wiese: In den Unternehmen verändert sich seit geraumer Zeit etwas sehr Wesentliches: Arbeitnehmende wurden früher rekrutiert und mit mehr oder weniger standardisierten Arbeitsbedingungen eingestellt, das heißt, sie wurden eher als Ressource betrachtet, die man möglichst passgenau einkaufen wollte – und die sich an die Bedürfnisse und Vorgaben der Unternehmen anzupassen hatte.
Ricarda Reich: Heute beobachten wir auf vielen Ebenen eine stärkere Individualisierung und deutlich stärkere Mitentscheidungsrechte der Arbeitnehmenden über Arbeitszeiten, Arbeitsorte und den Stellenzuschnitt – also das Aufgabenbündel, für das sie zuständig sind oder sein werden. Stichworte sind hier New Work, flexible Arbeitszeiten, individuelle Arbeitsvereinbarungen in Form sogenannter I-deals und Job Crafting, also das eigene Gestalten der Arbeit. In diesem größeren Kontext untersuchen wir Arbeitsortpräferenzen bzw. die Frage, wo Menschen gerne arbeiten möchten – im Büro oder im Homeoffice oder hybrid. Wir erforschen, welche Typen von Arbeitnehmenden es bezüglich dieser Arbeitsortpräferenzen gibt.
Wie untersuchen Sie das?
Dorothea Alewell: Wir forschen dazu mit empirischen Daten aus einer groß angelegten Befragung, an der mehr als 800 Arbeitnehmende teilgenommen haben. Die bisherige Forschung hat typischerweise eine große Zahl an einzelnen Motiven und Merkmalen untersucht: zum Beispiel Pendelzeiten oder das Eingebundensein in das Team und seine Informationsflüsse.
Aber wenn Arbeitnehmende Arbeitszeit, Arbeitsort und Aufgabenbündel mitbestimmen, dann ist es sinnvoll, nicht mehr nur einzelne Wirkungen von Maßnahmen oder einzelne Motive in den Blick zu nehmen und damit eine überwiegend variablen-getriebene Forschung zu betreiben. Stattdessen gehen wir personenzentriert heran und versuchen, Wissen über die Motivbündel zu generieren, die die Entscheidungen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern beeinflussen. Wir bestimmen daher mit einer in unserem Feld noch vergleichsweise wenig angewendeten Methode, der sogenannten latenten Klassenanalyse, Typen von Arbeitnehmenden in Bezug auf ihre Arbeitsortpräferenzen.
Und welche Typen finden Sie?
Alewell: In unserer Forschung konnten wir bisher vier verschiedene Typen von Arbeitnehmenden identifizieren. Die größte Gruppe ist mit 48 Prozent der Befragten diejenigen, die wir „Balancers“ nennen. Für sie sind alle Einzelmotive wichtig, das heißt sowohl die Informationsflüsse und das Eingebundensein, als auch Motive wie Work-Life-Balance und geringe Pendelzeiten. Ihnen ist es außerdem auch ein Anliegen, ihre Gesundheit zu schützen. Daher arbeiten sie gerne hybrid – also teils im Büro, teils im Homeoffice. Hier entsteht das Bild von Menschen, die gerne alles gut unter einen Hut bekommen möchten – Arbeit und Privatleben.
Wiese: Die Gruppe der „Indifferenten“, die elf Prozent der Befragten umfasst, weist die gleiche Präferenz für hybrides Arbeiten auf, aber mit Ausnahme des Motives des Gesundheitsschutzes ist ihnen keines der Einzelmotive besonders wichtig. Dagegen zieht die zweitgrößte Gruppe der „Travel Avoider“ (31 Prozent) klar die Arbeit im Homeoffice vor. Ihr dominantes Motiv ist es, das Pendeln zur Arbeit möglichst zu vermeiden – und daneben legen auch sie sehr viel Wert auf Gesundheitsschutz. Im Vergleich zu den „Balancers“ sind sie in der Regel deutlich unzufriedener mit ihren Jobs, deutlich weniger extrovertiert und vertragen sich aufgrund ihrer Persönlichkeit oft weniger gut mit Kolleginnen und Kollegen.
Reich: Die mit zehn Prozent der Befragten kleinste Gruppe, die „Work Focalizer“, findet die arbeitsbezogenen Motive, also gut ins Team und die Informationsflüsse integriert zu sein, sehr wichtig für die Arbeitsortentscheidung – und möchte Arbeit und Privatleben dabei gerne klar getrennt halten. Sie möchten am liebsten im Büro arbeiten.
Wie übertragen Sie diese Erkenntnisse in die Praxis?
Reich: Nach den Homeoffice-Erfahrungen der Corona-Pandemie mit vielen leerstehenden Büros entwickeln viele Unternehmen derzeit neue Flächennutzungsstrategien. Sie kündigen zum Beispiel gemietete Büroflächen, gestalten die verbleibenden Flächen zu Kollaborationsflächen um und führen Arbeitsplatzbuchungssysteme ein, weil nicht mehr für jede Arbeitnehmerin und jeden Arbeitnehmer ein fester Arbeitsplatz vorgehalten wird.
Alewell: Um die Zahl der notwendigen Arbeitsplätze zu kalkulieren und die Nutzung der Desk-Sharing-Flächen abzuschätzen, ist es wichtig für die Arbeitgeberseite, die Präferenzen der Arbeitnehmenden zu verstehen und ihre Entscheidungen für oder gegen Arbeitsorte gut zu prognostizieren. Dafür ist die genaue Bestimmung der Typen, ihrer Motivbündel und Präferenzen ein wichtiger erster Schritt. Die Ergebnisse erleichtern es Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern, zielgenaue Angebote zu entwickeln.
Wiese: Die Kenntnis der verschiedenen Typen von Arbeitnehmenden kann zudem dabei helfen, deren mögliche Reaktionen auf die Umgestaltungen der Arbeitsplätze und Flächennutzungen vorausschauend zu verstehen.
Forschen und Verstehen
In den acht Fakultäten der Universität Hamburg forschen rund 6.200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Auch viele Studierende wenden oft bereits im Studium ihr neu erworbenes Wissen in der Praxis an. Die Reihe „Forschen und Verstehen“ gibt einen Einblick in die große Vielfalt der Forschungslandschaft und stellt einzelne Projekt genauer vor. Fragen und Anregungen können gerne an die Newsroom-Redaktion(newsroom"AT"uni-hamburg.de) gesendet werden.