Leben und Kommunikation von GehörlosenHamburg und seine besondere Beziehung zur Deutschen Gebärdensprache
27. März 2024, von Claudia Sewig
Foto: UHH/Feuerböther
Sagt man taub oder gehörlos? Und ist die Deutsche Gebärdensprache eigentlich eine offizielle Sprache? Liona Paulus, Professorin für Gebärdensprachdolmetschen und Gebärdensprachen am Institut für Deutsche Gebärdensprache der Universität Hamburg, kennt solche Fragen. Sie beantwortet sie gern – und jetzt auch umfassend in einem allgemeinverständlichen Buch.
Wer nicht selbst gehörlos ist, gehörlose Angehörige hat oder in einem Beruf arbeitet, in dem er oder sie mit gehörlosen Menschen zu tun hat, weiß oft wenig über das Leben und die Kommunikation tauber Menschen. Taub – sagt man das überhaupt? „Ja, beide Begriffe, taub und gehörlos, sind richtig und können benutzt werden“, erklärt Prof. Dr. Liona Paulus. Sie ist selbst taub und mit Deutscher Gebärdensprache (DGS) und Deutsch aufgewachsen, ist promovierte Gebärdensprachlinguistin sowie staatlich geprüfte Dolmetscherin für DGS und Deutsch. „Wichtig ist, dass man den Begriff ,taubstumm‘ auf keinen Fall verwendet. Dieser ist diskriminierend, weil es bedeuten würde, dass man gar keine Sprache hat. Das stimmt aber ja nicht.“
Seit Oktober 2023 ist Prof. Dr. Liona Paulus an der Universität Hamburg tätig und baut ihre Forschung derzeit auf. „Wichtig ist mir der Bereich Dolmetschende“, sagt sie, „und besonders auch die Gestenforschung“. So gebe es Gesten in der Laut- aber auch in der Gebärdensprache. Zudem beschäftigt sie sich sehr mit der Dokumentation und Erforschung der DGS: „Wir haben an der Universität mit dem DGS-Korpus ein Langzeitprojekt. Hierfür werden gebärdensprachliche Texte von Gehörlosen in Videos gesammelt. Ich möchte noch mehr dieser Videos aus dem Arbeitsumfeld der Gehörlosen und damit noch mehr ihrer Fachsprache sammeln und erforschen.“
Gebärdensprache hat eine eigene Grammatik
Eines der häufigsten Missverständnisse, mit denen sich gehörlose Menschen auseinandersetzen müssten, sei dieses: „Wir hören immer wieder, wir seien ja taub, könnten aber doch bestimmt Untertitel ablesen und bräuchten dann ja kein Gebärdensprachen-Dolmetschen“, sagt Paulus. Das habe zum Beispiel Elon Musk gerade auf der Social-Media-Plattform X so geschrieben, was einen großen Shitstorm ausgelöst habe. „Gebärdensprache und Schriftsprache sind aber zwei völlig unterschiedliche Dinge. Die Deutsche Gebärdensprache, seit 2002 als rechtlich eigenständige Sprache anerkannt, hat eine eigene Grammatik, die nicht identisch ist mit der deutschen Lautsprache. Und daher wird über Gehörlose auch oft gedacht, dass sie nicht kompetent sind, wenn in ihrer Schriftsprache die Grammatik einmal nicht stimmt.“
Warum viele gehörlose Menschen keinen guten Zugang zur Schriftsprache erhalten hätten, erklärt Paulus mit dem Bildungssystem: „Das war sehr lange Zeit darauf fokussiert, gehörlosen Menschen Sprechen beizubringen. Aber bei den einzelnen Wörtern, die die Leute dann gelernt haben, war ihnen manchmal gar nicht so richtig klar, was die Bedeutung ist. Man nennt das oral-fixiert, es ging also eher um die Reproduktion der Wörter als um das Verständnis. Dadurch sind viele taube Menschen auch mit Sprachdefiziten aufgewachsen.“
Kampf für eigenständige Sprache
Circa 80.000 gehörlose Menschen leben in Deutschland und nutzen die Deutsche Gebärdensprache. Der Prozess für die Anerkennung der DGS als eigenständige Sprache begann in den 1980er Jahren – in Hamburg. „Wir sind dem Personal des Instituts für Deutsche Gebärdensprache, das dafür gekämpft hat, sehr dankbar“, sagt Paulus. Hamburg habe überhaupt einen starken Reiz für taube Menschen, weil es hier zum einen in Othmarschen mit der Elbschule eine der besten Schule für hörgeschädigte Kinder in Deutschland gebe und zum anderen viele große Firmen, die gute Arbeitgeber für taube Menschen seien.
Für die große Gemeinschaft gehörloser Menschen – aber auch für alle anderen – hat Paulus jetzt mit einer Ko-Autorin und einem Ko-Autoren das Buch „100 Fragen und Antworten rund um die Deutsche Gebärdensprache (DGS)“ geschrieben: „Es ist ein Buch für alle, die sich für die Deutsche Gebärdensprache interessieren und die Kultur tauber Menschen kennenlernen möchten. Aber es ist auch ein Buch für Gehörlose, die selbst mehr über die DGS wissen möchten.“ Das Buch ist in deutscher Schriftsprache und Deutscher Gebärdensprache verfasst. Die DGS-Versionen sind über QR-Codes und Internetlinks abrufbar. Die Inhalte werden durch zahlreiche Gebärdenbeispiele in Form von Fotos und Videos ergänzt.