Soziale Interaktion in der PubertätPositive Kommunikationserfahrungen steigern SelbstwertSerie Forschen und Verstehen
21. Dezember 2023, von Anna Priebe
Foto: pexels/Olia Danilevich
Die finden mich doch eh alle blöd. Oder doch nicht? Wie Jugendliche soziale Interaktionen wahrnehmen und welches Zusammenspiel es mit der Persönlichkeit gibt, untersuchen Prof. Dr. Jenny Wagner und Eva Bleckmann vom Institut für Psychologie im Projekt „SNAP—Social Interaction and Adolescent Personality“. Dabei begleiten sie die Teilnehmenden auch im Alltag.
Jugendliche in der Pubertät gelten im Umgang als schwierig. Sie interessieren sich aber gerade für soziale Interaktionen in diesem Alter. Was untersuchen Sie?
Wagner: Die Forschung zeigt, dass diese Phase im Mittel gar nicht so konfliktreich und schwierig ist. Die meisten Jugendlichen gehen eigentlich relativ entspannt durch diese Zeit. Gleichzeitig muss man sagen: Entwicklungspsychologisch ist die Phase extrem spannend, weil sehr viele Veränderungen passieren – kognitiv, individuell, in Bezug auf die Identitätsbildung und die sozialen Beziehungen. Die Jugendlichen wenden sich immer stärker von den Eltern ab, die Gleichaltrigen – also die Peers – werden immer wichtiger. Es ist also offensichtlich bedeutsam, besser zu verstehen, wie diese Beziehungen gestaltet werden – und da setzt unsere Forschung an.
Bleckmann: Uns interessiert vor allem, wie sich bestimmte Persönlichkeitsmerkmale in solchen sozialen Interaktionen zeigen, also etwa, wie extrovertiert oder umgänglich eine Person ist. Warum fällt es einigen leichter, in eine soziale Situation reinzukommen und Freundschaften zu knüpfen – und warum verursacht es bei anderen mehr Stress? Dazu schauen wir uns ganz konkret und kleinteilig an, was in so einer Interaktionssituation passiert, und fragen, wie die Teilnehmenden sich selbst und andere wahrnehmen.
Von welcher Altersgruppe sprechen wir?
Bleckmann: Insgesamt haben 300 Jugendliche im Alter zwischen von 14 bis 18 an der SNAP-Studie teilgenommen. In dieser Phase sind Selbsteinschätzungen von Persönlichkeitseigenschaften schon recht stabil und zuverlässig, sodass wir Effekte in Interaktionssituationen sehen können. Gleichzeitig ist aber auch die kognitive Entwicklung so weit, dass Wahrnehmungen von sich selbst und anderen komplexer sind als in früheren Altersgruppen.
Wagner: Aus vorherigen Studien wissen wir, dass es für Jugendliche mit 10, 11 oder 12 zum Teil noch sehr viel schwerer ist, über sich selber zu reflektieren. Die Persönlichkeit in dem Alter ist auch noch weniger stabil. Daher haben wir uns für die Gruppe ab 14 entschieden. 14 bis 18 ist zwar eine relativ kurze Zeitspanne, aber dennoch sind Jugendliche in dieser Phase sehr unterschiedlich in ihrer Entwicklung. Zwischen einem vierzehnjährigen Jungen und einem sechszehnjährigen Mädchen kann es in der Wahrnehmung substanzielle Unterschiede geben. Und die beziehen wir bewusst mit ein.
Wie sieht der Forschungsaufbau aus?
Bleckmann: In der Studie haben die Jugendlichen an einer strukturierten Interaktion teilgenommen. Eigentlich hatten wir vor, die Probandinnen und Probanden in unser Interaktionslabor einzuladen. Dort wären sie in Kleingruppen zusammengekommen, hätten sich einander vorstellen und dann zusammen eine Aufgabe lösen müssen. Das ging wegen Corona nicht, daher haben wir die Interaktion per Zoom durchgeführt. Zwischen den einzelnen Aufgaben haben wir die Jugendlichen dann mehrfach gefragt, wie es ihnen geht und wie sie sich selbst bzw. die anderen gerade wahrnehmen. Insgesamt waren es etwa 80 Gruppen von drei bis fünf Jugendlichen.
Was haben Sie zu den Auswirkungen von sozialen Interaktionen auf die Persönlichkeit und andersherum herausgefunden?
Bleckmann: Ganz unterschiedliche Dinge. Zum Beispiel haben wir in den sozialen Interaktionen nicht nur gefragt, wie die Jugendlichen sich und die anderen bewerten, sondern nach der sogenannten Metawahrnehmung gefragt: Was meinst du, wie die anderen über dich denken – und was macht das mit dir? In unseren Auswertungen schauen wir unter anderem, wie diese Metawahrnehmung mit der tatsächlichen Wahrnehmung von Interaktionspartnerinnen übereinander passen – denken die Jugendlichen also zum Beispiel, dass sie nicht gemocht werden, obwohl das nicht stimmt. Für uns ist auch interessant, ob diese Unterschiede mit Persönlichkeitseigenschaften zusammenhängen. Damit habe ich mich in meiner Dissertation intensiv auseinandergesetzt.
Wagner: Was man jetzt schon sieht, ist, dass die Persönlichkeit, die Jugendliche mitbringen, und die Wahrnehmung der Interaktion sich bedeutsam beeinflussen. Gesprächige Jugendliche, die gerne auf Leute zugehen, gehen mit einer eher positiven Erwartung ins Gespräch. Jugendliche mit einem höheren Neurotizismus, die also etwas ängstlicher sind, gehen dagegen mit einer weniger positiven Erwartungshaltung in die Interaktion.
Unabhängig von diesen Grundhaltungen zeigt sich mit der Dauer des Austausches aber bei allen eine generell positive Tendenz bei der Metawahrnehmung: Erfreuliche Erfahrungen in der Situation, also ein Lächeln oder zustimmendes Nicken, bringen auch dann positive Entwicklungen in der Metawahrnehmung mit sich, wenn man grundsätzlich von der Persönlichkeit her eher ängstlich ist.
Wofür kann man die Ergebnisse nutzen?
Wagner: Grundsätzlich machen wir vor allem Grundlagenforschung und wollen Wahrnehmungen und Interaktionsdynamiken besser verstehen. Das Wissen kann potenziell aber auch wichtig für den Umgang mit Jugendlichen – etwa in der Schule oder auch zu Hause – sein. In unseren Studien geht es etwa häufig um den Selbstwert, der sich im gesamten Lebensverlauf in verschiedenen Kontexten wie psychischer Gesundheit oder auch Berufserfolg als wichtig herausgestellt hat. Wir zeigen jetzt in unserer Forschung, wie einzelne soziale Interaktionserfahrungen mit dem Selbstwert zusammenhängen und wie er sich entwickelt.
Zum Beispiel kann man Jugendlichen so gezielter vermitteln, dass die Metawahrnehmung – also was ich denke, was andere über mich denken – nicht korrekt sein muss, was sich längerfristig auch positiv auf den Selbstwert auswirken könnte. Zudem berücksichtigen und zeigen wir, wie die Persönlichkeit diese Wahrnehmung beeinflusst. Darüber kann man mit den Jugendlichen ebenfalls ins Gespräch kommen.
Das gilt nicht nur im Labor: Sie haben die Jugendlichen auch im Alltag begleitet. Wie funktionierte das?
Bleckmann: Wir haben den Jugendlichen nach dem Treffen per Zoom über zwei Wochen jeden Tag einen Link zu einem kurzen Fragebogen geschickt, den sie dann ausgefüllt haben. Da haben wir zum Beispiel gefragt: Wie waren deine heutigen sozialen Interaktionen? Mit wem hast du gesprochen? Wie hast du dich dabei gefühlt? Wir wollen diese Daten auch mit den Ergebnissen aus der Situation im Labor vergleichen und schauen, ob es im Zeitverlauf Schwankungen bei den einzelnen Personen gab. Auch die Unterschiede zwischen den Teilnehmenden wurden so deutlich.
Bei Jugendlichen nutzen wir Handys noch nicht so umfassend wie in anderen Bereichen der psychologischen Forschung
Bedeutet die technische Entwicklung, also das Smartphone, hier eine Erweiterung der wissenschaftlichen Möglichkeiten?
Wagner: Alltagsforschung wird zwar schon seit vielen Jahren durchgeführt. Die Probanden mussten früher aber richtige Tagebücher im Fragebogenformat zugeschickt bekommen, diese ausfüllen und wieder an die Forschenden zurücksenden. Das war natürlich sehr aufwändig.
Daher kann man zu 100 Prozent sagen, dass Handys diese Zugänge sehr verändert und vereinfacht haben, weil Menschen heutzutage ihre Handys immer bei sich tragen. Und das verändert natürlich auch, wie wir darüber nachdenken, was wir alles noch erfragen oder untersuchen können. Da wir mit Jugendlichen zusammenarbeiten, nutzen wir Handys dabei noch nicht so umfassend, wie sie in anderen Bereichen der psychologischen Forschung zum Einsatz kommen.
Wir schicken bisher mehrfach täglich eine SMS oder setzen eine App zum Ausfüllen ein, aber die Geräte können ja noch viel mehr. Man kann zum Beispiel alle 30 Sekunden einen Ton aufnehmen, um zu erfassen, was mit wem geredet wird. Bewegungen im Sinne von GPS-Koordinaten können genauso registriert werden, wie die anderen Handys in der Umgebung. Es gibt da ganz viele Möglichkeiten, die wir aber zum Schutz der Jugendlichen momentan noch nicht vollumfänglich nutzen.
Was konnten die Jugendlichen für sich mitnehmen?
Bleckmann: Wir haben nicht jedem oder jeder Teilnehmenden individuell zurückgemeldet, ob die anderen ihn oder sie wirklich nicht mochten bzw. ob sie mit ihrer Einschätzung richtig lag. Unsere Probandinnen und Probanden befinden sich ja in einem sehr sensiblen Alter und insbesondere das Feedback von Peers zählt viel. Es wäre ethisch einfach nicht vertretbar zurückzumelden: Du hast recht, die anderen fanden dich blöd.
Aber wir haben das Feedback bekommen, dass schon die Selbstreflexion den Jugendlichen geholfen hat, also sich über die eigene Wahrnehmung mal Gedanken zu machen. Zusätzlich haben wir eine freiwillige Selbstreflexion angeboten, bei der es darum ging, welche Persönlichkeitseigenschaften man in sozialen Situationen im Alltag gern verändern möchte. Also zum Beispiel, sich weniger zu streiten oder durchsetzungsstärker und selbstsicherer zu werden. Wir haben mit den Jugendlichen gemeinsam einen Plan entwickelt, wie sie diese Punkte konkret angehen können und ihnen über zwei Wochen immer wieder Erinnerungen geschickt, damit sie ihre Pläne im Alltag umsetzen können.
Bisher wurde die Frage, ob jemand seine Persönlichkeit verändern will, eher in der Forschung mit Erwachsenen gestellt. Wir haben das erstmalig auch bei Jugendlichen eruiert und sehen: Auch sie reflektieren schon in dem Maße, dass sie sagen können, wo sie ihre Persönlichkeit bzw. das daraus resultierende Verhalten gern ändern würden.
Wie geht es weiter?
Bleckmann: Man muss sagen, dass Studien zu sozialen Interaktionen – vor allem auch in Laborsettings – bisher hauptsächlich mit Studierenden durchgeführt wurden. Mit Jugendlichen gibt es da nur sehr wenige Arbeiten und viele Aspekte sind kaum untersucht. Wir haben uns zum Beispiel gefragt, welchen Unterschied es bei Jugendlichen macht, ob sie in sozialen Interaktionen mit einer unbekannten Einzelperson sind oder in einer Gruppe.
Auch die Frage nach digital und analog ist spannend. Wir wissen aus der bisherigen Forschung, dass es Unterschiede zwischen der virtuellen und der persönlichen Face-to-Face-Interaktion gibt. Viele Effekte zeigen sich aber auch in beiden Settings, etwa die Steigerung des Selbstwerts nach einer positiven Interaktion. Da die Online-Interaktionen aber immer bedeutender werden, ist es natürlich umso wichtiger, zu verstehen, wie sich die Settings genau unterscheiden.
Wagner: Diese Erkenntnisse könnten zeigen, wo digitale Settings möglicherweise auch helfen können, soziale Interaktionen zu üben. Hier könnte man mit weiterer Forschung das Bewusstsein stärken, dass in diesem Kontext Fähigkeiten erlernt werden können, die auch außerhalb der digitalen Welt von Wert sind oder sogar auf spätere berufliche Situationen in einer zunehmend digitalisierten Welt besser vorbereiten. Diesem Forschungsthema um digitale Meetings widmen wir uns etwa in einer neu eingereichten Forschungsgruppe unter der Federführung der Informatik.
Das Projekt
Die SNAP-Studie ist eingebettet in das Projekt „Veränderungsprozesse in Dynamischen Sozialen Interaktionen“, das über die Landesforschungsförderung der Freien und Hansestadt Hamburg unterstützt wird. Mehr Informationen zur „SNAP“-Studie, die am Arbeitsbereich Pädagogische Psychologie und Persönlichkeitsentwicklung durchgeführt wird, gibt es auf der Projektwebseite.
Forschen und Verstehen
In den acht Fakultäten der Universität Hamburg forschen rund 6.200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Auch viele Studierende wenden oft bereits im Studium ihr neu erworbenes Wissen in der Praxis an. Die Reihe „Forschen und Verstehen“ gibt einen Einblick in die große Vielfalt der Forschungslandschaft und stellt einzelne Projekt genauer vor. Fragen und Anregungen können gerne an die Newsroom-Redaktion(newsroom"AT"uni-hamburg.de) gesendet werden.