Erforschung von ProduktbeziehungenWeniger Kosten, weniger Kohlendioxid: Pakete im Onlinehandel reduzierenSerie Forschen und Verstehen
5. Dezember 2023, von Matthew Fennessy
Foto: iStock/alvarez
Zunehmende Bestellungen im Onlinehandel führen zu immer mehr Paketsendungen. Dabei werden einzelne Artikel einer Bestellung oft separat verschickt – das ist teuer und nicht nachhaltig. Gemeinsam mit Prof. Dr. Guido Voigt untersucht Dr. Tobias Vlćek an der Fakultät für Betriebswirtschaft, wie Produkte so gelagert werden können, dass für den Versand möglichst wenig Pakete verwendet werden müssen.
Wie kommt es, dass einzelne Kundenbestellungen mit mehreren Paketen erfüllt werden?
Viele Onlinehändler wachsen stark und erweitern ihre Produktpalette. Während sich das Angebot im Onlineshop leicht ergänzen lässt, werden in der Logistik zusätzliche physische Kapazitäten benötigt, das heißt weitere Lager.
Eine der Folgen dieser Kapazitätserweiterung sind sogenannte getrennte Versandvorgänge. Sie entstehen unter anderem, weil die bestellten Produkte in unterschiedlichen Lagern liegen und der Versand so mehrere Pakete erfordert. Das erhöht die Kosten und gleichzeitig den ökologischen Fußabdruck.
Sollten idealerweise alle Produkte in jedem Lager liegen?
Ganz so einfach ist es nicht. In der Theorie könnten zwar getrennte Versandvorgänge verhindert werden, wenn jedes Produkt in jedem Lager vorrätig wäre. Allerdings treten getrennte Versandvorgänge natürlich auch auf, wenn einzelne Produkte einer Bestellung ausverkauft sind und später nachgeliefert werden müssen.
Hinzu kommt, dass die Lagerung aller Produkte in einem Lager vom Platz her oft nicht möglich und auch wirtschaftlich nicht sinnvoll ist. Die zusätzlichen Lagerkosten übersteigen schnell die Kosten der getrennten Versandvorgänge. Zumal mehrere verteilte Lager oft auch eingesetzt werden, um geografisch größere Gebiete schneller beliefern zu können.
Wo setzt ihre Forschung also an, wenn weiter mehrere Lager notwendig sind?
Wir untersuchen, wie getrennte Versandvorgänge durch geschickte Zuordnungen von Produkten zu den einzelnen Lagern reduziert werden können – und zwar auf Basis von Produktbeziehungen. Nehmen wir vereinfacht an, ein Onlinehändler mit zwei Lagern verkauft Smartphones, Schutzhüllen, Lampen und Glühbirnen. Er hat aber je Lager nur Platz für zwei Produktkategorien.
Erfolgt die Zuordnung zu den Lagern nun ohne eine Untersuchung der Beziehungen zwischen den Kategorien, könnten Smartphones und Glühbirnen in dem einen sowie Schutzhüllen und Lampen in dem anderen Lager liegen. Die Vermutung liegt nahe, dass es eine bessere Zuordnung geben könnte. Im Gegensatz zum Bau neuer Lager oder der Erweiterung bestehender Lager kann eine intelligente Zuordnung weitaus kostengünstiger sein.
Wie bestimmen Sie im Zuge Ihrer Forschung mögliche Zuordnungen?
Interessante Beziehungen für eine gute Zuordnung können auf mehreren Ebenen vorliegen, beispielsweise zwischen Produktkategorien, zwischen Marken und auch direkt zwischen Produkten.
Bei größeren Onlinehändlern geht die Anzahl der verschiedenen Produktkategorien allerdings schnell in die Hunderte, bei Produkten oft in die Hunderttausende. Eine gute, manuelle Zuordnung ist da einerseits nicht machbar und andererseits aufgrund der Schnelllebigkeit vieler Produkte auch nicht sinnvoll.
Wir haben im Zuge unserer Forschung einen Algorithmus entworfen, der auf Basis vorheriger Kundenbestellungen und bekannter Produkteigenschaften verbesserte Lagerzuordnungen generiert. Wir konnten diese automatisierte Zuordnung mittlerweile mit unterschiedlichsten Bestelldaten und Lagerkonstellationen testen und dabei zeigen, dass er den bisherigen Ansätzen aus der Literatur überlegen ist.
Sie haben Ihre Forschung also schon in der Praxis getestet?
Ja, in Kooperation mit einem europäischen Onlinehändler haben wir unseren neuen Algorithmus auf realen Daten getestet und konnten zeigen, dass es ein Reduktionspotenzial von hunderttausenden Paketen gibt. Unsere Ergebnisse planen wir 2024 in einem Fachartikel zu veröffentlichen.
Gleichzeitig arbeiten wir im Hintergrund weiter am Algorithmus und ergänzen ihn um neue Funktionen, etwa zukünftige Bestellungen auf Basis von Machine Learning zu prognostizieren und die Lager dahingehend vorzubereiten. Mit entsprechenden Praxispartnern wäre mittelfristig auch eine Ausgründung aus der Universität und eine kommerzielle Anwendung interessant. Das Potenzial für finanzielle und ökologische Einsparungen liegt nach unseren Prognosen im Bereich von mehreren Millionen Euro sowie mehreren tausend Tonnen an CO₂ – pro Händler.
Forschen und Verstehen
In den acht Fakultäten der Universität Hamburg forschen rund 6.200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Auch viele Studierende wenden oft bereits im Studium ihr neu erworbenes Wissen in der Praxis an. Die Reihe „Forschen und Verstehen“ gibt einen Einblick in die große Vielfalt der Forschungslandschaft und stellt einzelne Projekt genauer vor. Fragen und Anregungen können gerne an die Newsroom-Redaktion(newsroom"AT"uni-hamburg.de) gesendet werden.