Räuber-Beute-Beziehungen in der UrzeitWelche natürlichen Feinde hatten Brontosaurus und Co.?
15. November 2023, von Christina Krätzig
Foto: Davide Bonadonna
Im späten Jura lebten einige der größten Tiere, die jemals existierten. Ob es Raubtiere gab, die Jagd auf die gigantischen Pflanzenfresser machten, ist bislang unklar. Eine Studie, an der die Universität Hamburg beteiligt ist, hat neue Indizien untersucht. Die Ergebnisse sind jetzt im Onlinejournal „PeerJ Life & Environment“ erschienen.
Bis zu 30 Meter lange und 30 Tonnen schwere Dinosaurier weideten vor 150 Millionen Jahren die Pflanzen ab, die in dem damals warmen und feuchten Klima gediehen. Ungefähr 14 Gattungen der sogenannten Sauropoden existierten auf dem damaligen nordamerikanischen Kontinent, darunter Brontosaurus, Brachiosaurus und Diplodocus. Mit ihren tonnenförmigen Rümpfen und langen Hälsen ähnelten sie sich äußerlich. Biologisch waren sie jedoch nicht näher miteinander verwandt als heute beispielsweise Hühner und Enten.
„Diese Vielfalt von riesigen Pflanzenfressern war extrem und übertrifft – soweit wir wissen – alle späteren Ökosysteme“, erklärt der Saurierspezialist Dr. Emanuel Tschopp, der als Humboldt-Stipendiat an der Universität Hamburg forscht. „Nicht einmal in afrikanischen Savannen kommen heute so viele große Pflanzenfresser am selben Ort vor.“
Diese einzigartige Diversität macht das späte Jura für Forschende besonders interessant. Doch noch weiß man nicht, wie diese Ökosysteme genau funktionierten. Welche Nahrungsketten gab es, wie sahen die Beziehungen zwischen Pflanzenfressern und den gleichzeitig lebenden, deutlich kleineren Raubsauriern aus? Gab es überhaupt Räuber, die den gigantischen Sauropoden gefährlich werden konnten? Und wenn ja, wie oft fielen sie Angreifern zum Opfer?
Spurensuche in Nordamerika
Gemeinsam mit einem internationalen Forschungsteam ist Tschopp diesen Fragen in einer neuen Studie nachgegangen. Dafür haben die Forschenden eine der größten Sammlungen von Sauropodenknochen der Welt erstmals systematisch auf diese Fragestellungen hin untersucht. Im American Museum of Natural History in New York befinden sich mehr als 600 Sauropodenknochen aus dem späten Jura. 68 von ihnen weisen Biss- oder Kratzspuren von Raubsauriern auf, stellte das Forschungsteam fest. Ihre genauere Untersuchung brachte eine überraschende Tatsache ans Licht. „Kein einziger Knochen zeigt Hinweise auf einen Heilungsprozess“, erklärt Tschopp. „Das bedeutet, entweder verliefen alle Angriffe tödlich – oder aber die Schäden entstanden nach dem Tod durch Aasfresser.“
Viele Knochenschäden befanden sich jedoch an Körperstellen, die für angreifende Raubtiere zunächst außer Reichweite waren, beispielsweise an den Schultern oder auf dem Rücken. „Sie entstanden ziemlich sicher nicht bei einem Angriff“, schlussfolgert Tschopp. Auch wenn seine Forschungsergebnisse Todesfälle durch Angriffe von Raubsauriern nicht vollständig ausschließen: Tschopp vermutet, dass die meisten der großen Pflanzenfresser im späten Jura eines natürlichen Todes starben. „Wir wissen, dass die Sauropoden sehr viele Eier legten. Möglicherweise existierte mit den Jungtieren ein so großes Nahrungsangebot, dass die Jagd auf ausgewachsene Tiere für die Raubsaurier nicht notwendig war.“
Noch sind viele Fragen zu den Ökosystemen im Jura offen. „Die Antworten könnten uns heute, in einer Zeit des rapiden Artenschwunds, möglicherweise helfen, unsere zeitgenössischen Tier- und Pflanzengesellschaften besser zu verstehen“, erklärt Tschopp eine wichtige Motivation für seine Forschung. „Im besten Fall würden wir sogar neue Erkenntnisse darüber gewinnen, wie wir ihre Diversität schützen können.“
Der vollständige Artikel ist in der Open-Access-Zeitschrift „PeerJ Life & Environment“ erschienen.
Hauptautor ist Roberto Lei von der Universität Modena e Reggio Emilia in Italien.