KI im digitalen Marketing„Trotzdem ist der Mensch nicht ersetzbar“Titel, Thesen, Promotionen
3. August 2023, von Marie Schlicht
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Dr. Martin Reisenbichler hat im Zuge seiner Doktorarbeit eine Methode entwickelt, bei der künstliche Intelligenz (KI) automatisch Inhalte für Webseiten erstellt. Das Tool verspricht Unternehmen eine bessere Nutzung von Ressourcen, erhöhte Online-Sichtbarkeit und eine Steigerung des Unternehmenserfolgs.
Herr Reisenbichler, wie kam die Idee für Ihre Dissertation zustande?
Bevor ich promoviert habe, habe ich selber lange im Marketing gearbeitet. Im digitalen Marketing ist Suchmaschinenoptimierung, kurz SEO, ein zentrales Werkzeug um die Online-Sichtbarkeit zu erhöhen und damit neue Kundinnen und Kunden zu akquirieren. In der Suchmaschinenoptimierung ist das Schreiben und Optimieren von Texten für eine Unternehmenswebsite ein zentraler Faktor, damit die Website auf Google gut sichtbar ist und leicht gefunden werden kann. Um diesen Prozess zu verbessern, habe ich in meiner Zeit in der Industrie eine manuelle Methode entwickelt und getestet, die ich dann in meiner Doktorarbeit automatisiert habe.
Wie sieht diese Methode aus?
Man kann sich das Tool wie eine programmierte Maschine vorstellen. Zuerst sucht sich ein SEO-Manager oder eine -Managerin ein Keyword aus, für das das Unternehmen auf Google gut sichtbar sein soll, zum Beispiel „Uni Hamburg“. Nach dem Starten unserer SEO-Text-Maschine läuft der Rest automatisiert ab: Unsere Maschine geht zu Google und speichert die Top Zehn Suchergebnisse für dieses Keyword. Danach folgt sie den Links zu diesen Webseiten und bereinigt und speichert die Texte dieser ab.
Im Anschluss trainieren wir ein auf künstlicher Intelligenz basierendes Sprachmodell. Das bedeutet, dass das Tool lernt, wie die Inhalte der top platzierten Websites strukturell und inhaltlich aussehen. Nach dieser Lernphase generiert unsere Methode dann 1.000 Beispieltexte. Ähnlich zu ChatGPT werden dabei jedoch gute und schlechte Beispieltexte generiert. Daher haben wir einen „Quality Score“ entwickelt, der mathematisch und statistisch berechnet, wie gut jeder einzelne generierte Text tatsächlich für Google optimiert ist. Darunter fällt etwa, ob das Thema gut abgedeckt ist, ob wichtige Keywords integriert sind oder ob die Lesbarkeit der generierten Texte den Google-Ergebnissen entspricht. Abschließend bekommt der SEO- Manager oder die -Managerin dann aus diesen 1.000 generierten Texten nur die besten und kann diese selbst weiterverarbeiten.
Wird die Methode schon in der Praxis angewendet?
Ja, es gab eine universitäre Ausgründung. Das heißt, ich habe gemeinsam mit einigen Professorinnen und Professoren eine Firma gegründet und diese bekommt nun die ersten Kundinnen und Kunden. Unternehmen können das Tool also über Lizenzen selber nutzen.
Welche Auswirkungen wird das Tool auf das Berufsfeld des digitalen Marketings haben?
Die Arbeit von SEO-Expertinnen und SEO-Experten wird sich sicher verändern. In meiner Arbeit kam heraus, dass ein Mensch für das Schreiben und Optimieren eines Textes etwa zehn Stunden braucht. Das kostet ungefähr 280 Euro für ein Unternehmen. Das Tool hingegen reduziert die menschliche Arbeitszeit auf eine halbe Stunde, da nur kleinere Textkorrekturen notwendig sind, was ungefähr 24 Euro kostet. Zudem ist die Textoptimierung und damit die Online-Sichtbarkeit durch Nutzung des Tools wesentlich besser – auch im Vergleich zu echten SEO-Expertinnen und -Experten mit jahrelanger Berufserfahrung.
Trotzdem ist der Mensch derzeit immer noch unersetzbar – etwa, wenn es um die Keyword-Auswahl oder um die Nuancen dessen geht, was Unternehmen auf welche Art über sich schreiben möchten. Zudem muss zumindest auf dem derzeitigen Entwicklungsstand der Sprachmodelle, bei denen zum Beispiel fehlerfreie und faktisch richtige Texte nicht zwingend garantiert sind, immer ein Mensch die Endkontrolle der generierten Texte übernehmen. Aus derzeitiger Sicht werden solche KI-Tools also in absehbarer Zukunft die Arbeit von Menschen eher unterstützen – ähnlich einem neuen Werkzeug – als dass diese den Menschen völlig ersetzen.
Ihre Dissertation haben Sie an der Wirtschaftsuniversität Wien geschrieben, nun sind Sie an der Uni Hamburg. Forschen Sie hier weiter zu dem Thema?
Ja. Wir haben erst kürzlich eine Publikation eingereicht, in der wir komplexe Textgenerierung für Online-Werbung umsetzen. Als nächstes soll es um Werbebilder gehen. Wir versuchen, Bilder so optimal wie möglich zu generieren, damit die Kaufwahrscheinlichkeit des Produkts erhöht wird. Meine Forschung in dem Bereich wird also auf jeden Fall fortgesetzt.
Die Dissertation
Dr. Martin Reisenbichler ist Postdoc an der Universität Hamburg. Seine Dissertation wurde bei der diesjährigen EMAC-Konferenz (European Marketing Academy) als beste Dissertation Europas sowie mit dem renommierten deutschen Wissenschaftspreis der EHI Stiftung ausgezeichnet. Die Ergebnisse wurden im international führenden Journal „Marketing Science“ veröffentlicht.