Projekt im DFG-GraduiertenkollegWie wir Angst erlernenForschen & Verstehen
26. Juli 2023, von Anna Priebe
Foto: UHH/Lutsch
Viele krankhafte Ängste werden nach bekannten Mechanismen erlernt. Doch gelten diese auch, wenn die Angst nicht auf realen Erlebnissen, sondern nur auf der eigenen Vorstellung beruht? Und kann das erklären, warum sich Wahnvorstellungen entwickeln? Das untersucht Prof. Dr. Tania Lincoln vom Institut für Psychologie mit ihrem Team. Das Projekt ist Teil des Graduiertenkollegs „Emotionales Lernen und Gedächtnis“, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wird.
Angst ist eine der angeborenen Grundemotionen. Dennoch kann sie krankhaft werden. Dabei spielen Lernprozesse eine entscheidende Rolle. Wie funktioniert das?
Bei der sogenannten Furchtkonditionierung unterscheidet die Forschung drei Muster: Erstens geht man davon aus, dass Menschen, die später Angststörungen entwickeln, schneller lernen, negative Reize wie Schmerz, mit gleichzeitig auftretenden – und zunächst neutralen oder sogar angenehmen – Reizen, etwa Gerüchen, zu verknüpfen. In der Folge reagieren sie auf diese ursprünglich neutralen Reize mit Angst.
Zweitens kommt es zu einer Generalisierung, das heißt, dass sich diese spezifische Angst noch deutlicher als bei anderen Menschen auch auf andere Bereiche ausweitet. Und drittens: Während gesunde Menschen die Angst schnell wieder verlieren, wenn negative Erfahrungen ausbleiben, bleibt sie bei Menschen mit einer Angststörung weiter bestehen. Sie verlernen die Angst also nicht so einfach wieder.
Welche Arten von Ängsten untersuchen Sie?
In der bisherigen Forschung lag der Fokus auf Ängsten, denen meist eine spezifische und reale negative Erfahrung zugrunde liegt. Jemand wird zum Beispiel von einem Hund gebissen, überträgt diese Angst auf alle Rassen und gerät nun in Panik, wenn sich ein Hund nährt.
Wir beschäftigen uns nun mit einer anders gelagerten Art von Angst, nämlich zwischenmenschlichen, paranoiden Ängsten, die sich im extremen Fall als Verfolgungswahn äußern können. Die betroffenen Menschen haben Angst, von anderen verspottet, ausgenutzt oder schlecht behandelt zu werden. Es gibt Patientinnen und Patienten, die entsprechende Erfahrungen gemacht haben, aber oft lassen sich die Ängste nicht auf eine konkrete reale Erfahrung zurückführen und sind vor allem sehr diffus. Die Betroffenen entwickeln in der Psychose lebhafte Vorstellungen bis hin zu Halluzinationen. Und unsere Frage ist, ob sich auch aus solchen inneren Vorstellungen heraus eine Angst manifestieren kann, die sich generalisiert. Damit betreten wir wissenschaftliches Neuland.
Wie gehen Sie vor?
Wir verwenden eine in der Forschung bereits vielfach getestete experimentelle Versuchsanordnung. Klassischerweise bekommt eine Person am Bildschirm bestimmte Formen gezeigt, zum Beispiel Kreise und Vierecke. Eine Form, zum Beispiel ein gelber Kreis, wird dann wiederholt mit einem negativen Reiz gepaart. Das kann ein leichter elektrischer Schlag an der Hand sein oder ein schriller Schrei über Kopfhörer. Diese Signale sind sehr unangenehm, aber nicht wirklich schmerzhaft. Wir sprechen von einem aversiven Reiz, da er Widerwillen hervorruft.
Mithilfe von Messungen der Herzrate oder der neuronalen Reaktionen im EEG oder fMRT kann man feststellen, dass die Probandinnen und Probanden nach einiger Zeit lernen, dass gelber Kreis und negativer Reiz zusammengehören. Sie zeigen schon eine höhere Herzfrequenz und Reaktionen im Gehirn, wenn sie den gelben Kreis nur kurz sehen und der Reiz noch gar nicht erfolgte. Das ist die sogenannte Akquisitionsphase.
Und: Die Reaktion zeigt sich nach einiger Zeit auch bei andersfarbigen, aber ähnlichen Kreisen, beispielsweise wenn sie orange sind. So wird die Generalisierung nachgewiesen. Das Verlernen untersucht man dann, indem man den negativen Reiz nach und nach weglässt und beobachtet, wie lange es dauert, bis die Person die Angstreaktionen nicht mehr zeigt. Wir sprechen hier von der Extinktionsphase.
Uns interessiert, ob allein über die Imagination eine Angstreaktion entsteht
Wie passen Sie diese Versuche nun an?
Wir arbeiten in unserem Projekt statt mit einem realen aversiven Reiz mit sogenannten imaginierten Stimuli, das heißt, die Versuchspersonen sollen sich eine negative Assoziation vorstellen, wenn sie ein bestimmtes Symbol auf dem Bildschirm sehen. Uns interessiert, ob allein über diese Imagination eine Angstreaktion entsteht und sich dann auch generalisiert.
Die beiden federführenden Doktorandinnen und Doktoranden in unserem Projekt, Metin Özyagcilar und Nilay Esin Demirdal, haben in einem aufwendigen Verfahren die Imagination für den Versuchsaufbau entwickelt. Die Herausforderung ist, dass sie so konzipiert sein muss, dass die Versuchspersonen sie sich gut merken können. Zudem muss sie einerseits greifbar sein, damit sich die Personen hineinversetzen können, aber andererseits auch aversiv genug, sodass sie eine Angstreaktion auslösen. Gleichzeitig darf die Imagination aber auch nicht so schockieren, dass es ethisch problematisch ist.
Wie finden Sie die Teilnehmenden für diese Studie?
Insgesamt werden rund 165 Personen teilnehmen, die in drei Gruppen aufgeteilt sind. Dafür machen wir mit allen Interessierten ein Screening, bei dem sie einen standardisierten Fragebogen ausgefüllt haben. Die Fragen beziehen sich dabei vor allem auf das Misstrauen gegenüber anderen Menschen.
Die meisten Menschen haben Gedanken wie „Andere Menschen meinen es nicht gut mit mir“ nie oder sehr selten. Sie bilden eine Gruppe. Die Personen in der zweiten Gruppe haben etwas häufiger misstrauische Gedanken. Mit diesen machen wir ein ausführliches klinisches Interview, das es uns erlaubt, Personen zu finden, die ein erhöhtes Risiko haben, ausgeprägte paranoide Wahnvorstellungen zu entwickeln. Aus vorherigen Studien weiß man, dass etwa 30 Prozent der Menschen in dieser Gruppe in den kommenden vier Jahren die volle Symptomatik einer psychotischen Störung entwickeln werden.
Wie sollen die Erkenntnisse aus dem Projekt eingesetzt werden?
Wir möchten aus diesen Erkenntnissen Hinweise für Therapiemöglichkeiten ableiten. Therapien sind bei spezifischen Ängsten so angelegt, dass man mit den Menschen gezielt in die Situationen geht, vor denen sie Angst haben. So machen Sie die Erfahrung, dass ihre Befürchtungen nicht eintreten. Das ist bei paranoiden Ängsten schwieriger. Es gibt zwar erste Versuche, virtuelle Realitäten zu schaffen, in denen die Patientinnen und Patienten sich ihren Ängsten stellen können. Aber wir können diese mit unseren Ergebnissen hoffentlich verbessern.
Kann man Angst denn wirklich verlernen?
Davon ist man früher ausgegangen, aber genau genommen ist der Begriff nicht mehr ganz korrekt. Aus der Angstforschung weiß man inzwischen, dass Angst nicht wirklich verlernt wird. Betroffene Menschen können in der Therapie aber eine neue Assoziation erlernen, die dann zunehmend so dominiert, dass die alte, angstbehaftete Assoziation in den Hintergrund gedrängt wird und man die Angst kaum noch empfindet.
Das Projekt
Das Projekt „Fear acquisition and extinction learning and transition to psychosis“ ist Teil des Graduiertenkollegs „Emotionales Lernen und Gedächtnis“, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wird. Das Kolleg ist 2022 gestartet und läuft noch bis Ende 2026. Prof. Lincoln, Metin Özyagcilar und Nilay Esin Demirdal arbeiten im Teilprojekt eng mit Prof. Dr. Anja Riesel (Arbeitsbereich Klinische Psychologie und Psychotherapie – Schwerpunkt Klinische Neurowissenschaft), Dr. Tina Lonsdorf (Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf) sowie mit Prof. Dr. Erik Müller (Philipps-Universität Marburg) und Prof. Dr. Benno Roozendaal (Donders Institute for Brain, Cognition and Behaviour Nijmegen) zusammen.
Psychotherapeutische Hochschulambulanz
Am Arbeitsbereich „Klinische Psychologie und Psychotherapie“ gibt es die Psychotherapeutische Hochschulambulanz mit den Behandlungsschwerpunkten „Psychosen“ und „Angst- und Zwangsstörungen“. Die Therapien sind eingebettet in aktuelle Forschung und Lehre und bieten oft auch neuartige Interventionen an, die gerade entwickelt wurden oder werden. Betroffenen Menschen können sich bei Interesse unverbindlich für ein Erstgespräch anmelden.
Forschen & Verstehen
In den acht Fakultäten der Universität Hamburg forschen rund 6.200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Auch viele Studierende wenden oft bereits im Studium ihr neu erworbenes Wissen in der Praxis an. Die Reihe „Forschen & Verstehen“ gibt einen Einblick in die große Vielfalt der Forschungslandschaft und stellt einzelne Projekt genauer vor. Fragen und Anregungen können gerne an die Newsroom-Redaktion(newsroom"AT"uni-hamburg.de) gesendet werden.