Interview zu Studie Erwachsenenbildung weltweit„Auch Deutschland muss bei der Erwachsenenbildung besser werden“
15. Juni 2023, von Bente Gießelmann
Foto: UHH/Ohme
Das Forschungsprojekt „Study on Adult Learning and Education“ hat den Stand der Erwachsenenbildung in acht Ländern untersucht. Im Interview spricht Prof. Dr. Anke Grotlüschen über die Herausforderung des Sektors und die Rolle im politischen Diskurs.
Liebe Frau Grotlüschen, Sie haben mit einer 2022 durchgeführten Studie zur Lage der Erwachsenenbildung in acht Ländern weltweit Rahmenbedingungen und Herausforderungen erhoben. Warum sind die Erkenntnisse darüber wichtig?
Es gibt die Sorge, dass Erwachsenenbildung seit der Diskussion um die Nachhaltigkeitsziele eher unsichtbar gemacht wird. Da wird unter lebenslangem Lernen manchmal auch Schule verstanden. Das war im EU-Memorandum für Lebenslanges Lernen vor gut zwanzig Jahren eigentlich nicht so. Und jetzt will man wissen, ob das negative Folgen hat.
Was sind die zentralen Ergebnisse?
Finanziell ist es praktisch egal, wie es heißt: Erwachsenenbildung ist immer und überall das Stiefkind beim Thema Finanzierung. Gelernt haben wir auch, dass die Verbände der Erwachsenenbildung eine enorm wichtige Rolle spielen. Sie bereiten zum Beispiel Weiterbildungsstrategien vor. Die Verbände suchen sich außerdem Ansprechpartnerinnen und -partner, bringen Forschungsbefunde in die Debatte und führen die Bedarfe der Bildungsträger zusammen.
Wenn es aber schnell gehen muss, wird der normale Politikbetrieb gar nicht erst abgewartet: Dann organisiert sich die Erwachsenenbildung sehr schnell, in der Ukraine wurden beispielsweise sofort Erste-Hilfe-Kurse ausgebracht. In Thailand wird auf Seidenproduktion umgestellt, wenn fruchtbares Land durch Klimakatastrophen unbrauchbar geworden ist.
Welche Rolle spielt die Erwachsenenbildung in den untersuchten Ländern einerseits gesellschaftlich und andererseits im politischen Diskurs?
Einige Länder in der Studie hatten zum Erhebungszeitpunkt rechtspopulistische Regierungen. Da ist Erwachsenenbildung wichtig für den Erhalt kritischer Standpunkte. Meistens wird sie genau dort rabiat weggekürzt. Das zeigt ja dann, dass Autokraten ihr eine wichtige Rolle in der Demokratie zusprechen!
Erwachsenenbildung findet oft in weniger formalisierten, „von unten“ getragenen Zusammenhängen statt. Haben Sie aus Ihrer Erhebung dafür ein konkretes Beispiel?
Gute Frage, ja, was mich beeindruckt hat, ist der Aktivismus in Südafrika, wo aus der Ernährungsnot während der Lockdowns sofort zu informellem Lernen übergegangen wurde: Man hat sich gegenseitig in Messenger-Videocalls beigebracht, wie man sättigende Lebensmittel anbaut und sie für die Suppenküchen zubereitet. Das hat sich enorm ausgebreitet.
Beeindruckt hat mich auch die „Men’s Shed“-Bewegung, das sind Schuppen hinter Gymnastikhallen, wo ältere Männer etwas bauen und reparieren, während ihre Frauen drinnen Sport treiben. Diese Bewegung hilft in Australien, die Schäden nach Buschbränden, Trockenheit und Überflutungen zu reparieren.
Ähnlich haben indische, leseunkundige Frauen ihre Erlebnisse sexueller Übergriffe in Zeichnungen auf den sechs Meter langen Stoff eines Sari-Kleides dargestellt, diese dem stellvertretenden Bürgermeister in Delhi übergeben und so erwirkt, dass es Beschwerdestellen für Frauen gibt, die schutzlos im informellen Sektor arbeiten. Solche Beispiele ermutigen und empowern ganz enorm.
Die Erwachsenenbildung ist aus Ihrer Sicht im bildungspolitischen Diskurs im Vergleich zur schulischen Bildung stark unterbeleuchtet. Woran liegt das, und was müsste sie in einer Gesellschaft des lebenslangen Lernens leisten können?
Das liegt daran, dass man mit Schulbildung Wahlen gewinnt oder verliert, darum ist Schul- und Kitapolitik immer ganz oben auf der Agenda. Aber wenn man nicht zuerst an seine Wiederwahl denkt, muss man Erwachsenenbildung so ausbauen, dass sie nicht nur über Steckersolaranlagenbau aufklärt, sondern auch postfossile Führungskräfteschulungen ausrichtet. Die Stellen müssen schulischen Lehrkräften gleichgestellt werden, sonst verlieren wir im Lehrkräftemangel immer wieder unser Personal.
Sie fassen in der Studie auch Empfehlungen an Entscheidungsträgerinnen und -träger aus Politik und Praxis zusammen. Welche davon sind für die Erwachsenenbildung in Deutschland relevant und weiterführend? Gibt es Best Practices aus anderen Ländern?
Auch wir sollten klarstellen, dass Erwachsenenbildung die Kernkomponente lebenslangen Lernens ist. Die Lebenserwartungen rund um die Welt liegen zwischen 51 und 88 Jahren und steigen konstant. Das heißt, dreißig bis über sechzig Jahre lang stehen wir nach dem Schulabschluss im Leben – und das Bildungssystem entspricht dem einfach nicht. Da muss auch Deutschland noch besser werden.
Weitere Informationen
Eine Meldung zur Studie ist beim Informationsdienst Wissenschaft erschienen