Framing im politischen Diskurs„Der Klimawandel ist vor allem ein Rechtfertigungsproblem“
22. Mai 2023, von Linda Lämke
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Was beeinflusst den klimapolitischen Diskurs? Und was macht ein global abgestimmtes Vorgehen so schwierig? Das untersucht der Politikwissenschaftler PD Dr. Frank Wendler in einem von der DFG geförderten Projekt.
Sie betrachten in Ihrem Projekt den Einfluss von Ideen zum Klimawandel auf die Klimapolitik und vergleichen dabei die Europäische Union und die USA. Was genau untersuchen Sie?
Das Projekt untersucht die diskursive Rahmung des Klimawandels in politischen Kontroversen. Ein zentraler Begriff sind die sogenannten Frames. Das sind Begründungsrahmen, die Aspekte herausgreifen und Kriterien bereitstellen, um das komplexe Problem des Klimawandels fassbar zu machen und Lösungen anzubieten. Diese Frames sind ein wichtiges Mittel der Begründung von Politiken, aber auch Brennpunkt für Umstrittenheit und Ablehnung weiterer Schritte.
Wieso ist eine Untersuchung der Frames beim Thema Klimawandel so spannend?
Der Klimawandel ist als Problem sehr vielschichtig. Im Vergleich zu anderen Politikbereichen spielen Ideen hier eine besondere Rolle, weil es sich nicht um ein konkret fassbares Umweltproblem wie Verschmutzung handelt. Der Klimawandel ist in seinen Effekten nicht direkt greifbar, sondern tritt als systemisches Problem diffus und langfristig auf.
Deswegen hängt die Darstellung des Klimawandels stark von Abstraktionen ab, und deswegen wird er in der politischen Debatte sehr vielschichtig thematisiert: Zum Beispiel als Sicherheitsproblem oder als Frage der Sicherung des Überlebens zukünftiger Generationen. Hier setzt das Projekt an und versucht, diese ideellen Elemente für vergleichende Forschung fruchtbar zu machen. Damit erfinde ich das Rad nicht komplett neu. Es gibt bereits ausgedehnte Forschung zu Klimadiskursen und zu Klimanarrativen. Mir geht es aber darum, diese besser als Erklärungsfaktor für vergleichende Forschung zu Politikprozessen in der Klimapolitik anwendbar zu machen.
Wieso eignet sich ein Vergleich zwischen den USA und Europa?
Ich fand den Vergleich von Anfang an sehr spannend, da die Systeme politisch-institutionell und kulturell relativ ähnlich sind. Es sind beides Mehrebenensysteme mit vielen sogenannten Vetopunkten, also Konsenszwängen. In der Klimapolitik kontrastieren die policy-Ergebnisse aber stark, sodass sich der Vergleich anbietet, um den Einfluss ideeller Einschätzungen des Klimawandels zu untersuchen.
Ihr Untersuchungszeitraum beginnt mit dem Pariser Klimaabkommen von 2015. Warum?
Das Pariser Klimaabkommen gilt als wichtige Wegmarke der globalen Klimapolitik. Als globales Rahmenabkommen etabliert es relativ wenige rechtlich verbindliche Verpflichtungen für die Staaten und setzt vor allem auf gemeinsame Zielvereinbarungen und Berichterstattung. Es soll sozusagen einen Prozess entfachen, in dem gemeinsame Problemverständnisse entwickelt werden. Insofern ist das Pariser Klimaabkommen ein spannender Hintergrund, um diskursive Prozesse und Konflikte in der Klimapolitik zu untersuchen.
Seitdem gab es nicht nur in den USA gravierende Regierungswechsel. Inwieweit wird die Klimapolitik dadurch beeinflusst?
Die Regierungswechsel zwischen Demokraten und Republikanern sind in den USA für die letzten zwei Jahrzehnte in der Tat sehr prägend. Das ist auch Teil des Forschungsdesigns: Die relative Stabilität, die wir in der EU als Gesamtrahmen haben, wird dem eher fragmentierten und wechselhaften Geschehen in den USA gegenübergestellt.
Wie sind Sie bei der Untersuchung vorgegangen?
Im ersten Schritt müssen Ideen und Diskurse für den Vergleich greifbar gemacht werden. Dafür habe ich in Textuntersuchungen Ideen aufgedeckt und systematisiert. Es gibt nicht eine Ebene, mit der man über den Klimawandel redet, sondern unterschiedliche Diskursebenen. Grob lassen sich drei Ebenen unterscheiden: Was wird als Problemdefinition des Klimawandels aufgegriffen, und wie wird diese als relevant dargestellt? Dann gibt es nachgeordnete Ebenen, die den Handlungsrahmen für Klimapolitik zeitlich, institutionell und räumlich abstecken. Daran schließen sich dann noch konkrete Aussagen zu policy-Instrumenten, wie etwa Emissionshandel oder Effizienzstandards an. Nach diesen Ebenen geordnet habe ich Grundideen der Klimapolitik aufgedeckt und in ihrer Bedeutung für Rahmungen und politische Kontroversen ausgewertet.
Welche Materialen haben Sie dafür untersucht?
Es gibt zwei Hauptanwendungsebenen. Die eine ist die Interaktion zwischen exekutiven und legislativen Institutionen. Da spielen zum Beispiel politische Erklärungen, Grundsatzdokumente oder publizierte Berichte eine Rolle. Die zweite Ebene ist der Wettstreit zwischen politischen Lagern innerhalb der Legislativen. Dort habe ich mir unter anderem parlamentarische Resolutionen, Beschlussvorlagen oder legislative Verhandlungen angeschaut und untersucht, welche klimapolitischen Frames aktiviert und wie sie miteinander verhandelt werden. Diese habe ich jeweils auf die Europäische Union und die USA angewendet.
Welche Ergebnisse gibt es bereits?
Es wird deutlich, dass politische Stabilität eine Rolle spielt. Es braucht einen akzeptierten und längerfristig auch durchgehaltenen Begründungsrahmen für klimapolitisches Handeln. Deutlich wird das im Kontrast zwischen der EU und den USA: In der Europäischen Union ist das Klimathema in seinen Grundlagen wenig umstritten. Die Klimapolitik wurde schrittweise ausgedehnt und auch in zusätzliche Politikbereiche integriert. In den USA spielt sich dagegen immer noch ein Streit über Grundsätze ab.
Konkreter auf einzelne Politikprozesse bezogen habe ich dann untersucht, wie sich Umstrittenheit der Klimapolitik in parlamentarischen Settings abspielt und welche Brennpunkte es gibt. Hier lässt sich sagen, dass das Wachstumsparadigma sehr stark polarisierend wirkt für Parteien. Dabei geht es um die Frage, ob man zur Bekämpfung des Klimawandels nur konsequent klimafreundliche Technologien anwenden, oder ob man geltende Wachstumsbegriffe umdeuten, transformieren oder komplett ablehnen muss.
Eine andere sehr interessante Beobachtung war, dass viele politische Akteure einen Gerechtigkeitsrahmen nutzen, um politische Positionen sowohl für als auch gegen Klimapolitik zu formulieren. Gerechtigkeit wird auf sehr unterschiedliches bezogen: zukünftige Generationen, Industrien und soziale Gruppen. Ein Beispiel ist Donald Trump, der das Pariser Abkommen aus einem Gerechtigkeitsgrund abgelehnt hat, weil es unfair zu den USA sei. Das Gegenbild sind neuere Klimaproteste, die eine sofortige Politikwende ebenfalls aus Gerechtigkeitsgründen fordern. Fairness ist ein sehr stark mobilisierender, aber auch variabler Rechtfertigungsrahmen.
Inwieweit kann die Gesellschaft von ihrem Projekt profitieren?
Sehr grundsätzlich spreche ich die Tatsache an, dass Politik akzeptierte Gründe für das Handeln gegen den Klimawandel formulieren muss, und dass für bestehende Blockaden vor allem politische Hindernisse zentral sind. Der Klimawandel ist vor allem ein Rechtfertigungsproblem, aus meiner Sicht noch mehr als eine Herausforderung im Sinne der technologischen oder ökonomischen Machbarkeit.
Gleichzeitig betrachte ich mit dem Klimawandel ein Thema, das politisch zunehmend im Vordergrund steht und sich im Moment in Bezug auf seine Rahmungen sehr dynamisch entwickelt. Aktuell ist das Reagieren auf Krisen am relevantesten, in das klimapolitische Belange einbezogen und zur Bedingung gemacht werden. Dabei zeigt sich eine sehr starke Ambivalenz: Einerseits werden zur Überwindung der Krisen Klimaziele beiseitegeschoben und Sicherheit sowie Wachstum priorisiert. Andererseits gibt es die Wahrnehmung, dass das jetzt der zentrale Hebel sein könnte, um Klimaziele durchzusetzen. Beispiele sind Stimulusprogramme der EU, aber auch Gesetzgebung zur Förderung erneuerbarer Energien in den USA, die für meine aktuelle Forschung eine wichtige Rolle spielen.
Politische Räume der Klimagovernance als Folgeprojekt
Das im Center for Sustainable Society Research der Universität Hamburg angesiedelte und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Projekt „Klimapolitik als Ideenkonflikt” ist im Jahr 2020 gestartet und wird ab dem Sommer 2023 durch das Nachfolgeprojekt „Politische Räume der Klimagovernance“ fortgesetzt. Ein Überblick erster Ergebnisse sind publiziert in der Monographie: „Framing Climate Change in the EU and US after the Paris Agreement“ (Palgrave Macmillan, 2022).
Forschen & Verstehen
In den acht Fakultäten der Universität Hamburg forschen rund 6.200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Auch viele Studierende wenden oft bereits im Studium ihr neu erworbenes Wissen in der Praxis an. Die Reihe „Forschen & Verstehen“ gibt einen Einblick in die große Vielfalt der Forschungslandschaft und stellt einzelne Projekt genauer vor. Fragen und Anregungen können gerne an die Newsroom-Redaktion(newsroom"AT"uni-hamburg.de) gesendet werden.