Neue Antarktis-Expedition gestartetErstmals Tracking von Finnwalen mit Satellitensendern
28. Februar 2023, von Anna Priebe
Foto: privat
Wo die Finnwale der Südhalbkugel fressen, ist bekannt. Doch wo sie sich paaren und ihre Jungen bekommen, ist bisher nicht erforscht. Das soll eine Antarktis-Expedition ändern, die am 25. Februar gestartet ist. Geleitet wird sie von UHH-Biologin Dr. Helena Herr. Im Interview berichtet sie von dem geplanten Vorhaben und den besonderen Herausforderungen.
Sie erforschen seit vielen Jahren Finnwale. Durch Beobachtungen konnten Sie schon viel über die Bestände in der westlichen Antarktis herausfinden. Was haben Sie bei dieser Expedition vor?
Wir fahren dieses Mal das volle Programm: Wir haben Drohnen und Kameras dabei, um herauszufinden, wie viele Finnwale sich in unserem Untersuchungsgebiet aufhalten und ihre Bewegungsmuster zu studieren. Mit einem akustischen Rekorder wollen wir die Wal-Vokalisationen aufzeichnen. Parallel läuft eine Krill-Untersuchung, bei der wir entlang der gesamten Strecke Proben nehmen, um Zusammenhänge zwischen den Krill- und Walvorkommen zu erforschen.
Das Besondere ist: Wir werden erstmals Finnwale mit Satellitensendern versehen. Diese senden im besten Fall bis zu 1,5 Jahre bei jedem Auftauchen des Wals eine Position, sodass wir die Wanderrouten der Finnwale verfolgen können. Als Bartenwale vollziehen sie saisonale Migrationen, das heißt, sie kommen im antarktischen Sommer zu den bekannten Nahrungsgründen und ziehen dann weiter zu anderen Gebieten, wo sie sich paaren und ihre Jungen aufziehen. Wo diese Gebiete sind, wissen wir bisher allerdings nicht und wir wollen das mit den Sendern herausfinden.
Wie muss man sich das Ausstatten mit Sendern vorstellen?
Wir kennen die Nahrungsgründe der Wale und werden sie systematisch absuchen. Wenn wir auf eine größere Zahl Finnwale treffen, lassen wir kleine Boote zu Wasser, mit denen wir uns ihnen dann nähern. Der Sender wird mit einer Art Druckluftgewehr auf die Wale geschossen. Wir versuchen dabei, ihn genau unterhalb der Finne, also der Rückenflosse, anzubringen, denn die Sender übermitteln die Position per Satellit, und können dies nur, wenn die Antenne die Wasseroberfläche durchbricht. Deswegen muss der Sender an den höchsten Punkt des Wals, der regelmäßig auftaucht.
Wir wählen fitte, gesund wirkende Tiere für die Sender aus
Reflexartig stellt sich natürlich die Frage: Tut das dem Wal weh?
Wir können nicht sagen, dass der Wal gar nichts merkt, denn wir empfinden eine Spritze auch als unangenehm. Die Tiere reagieren manchmal, indem sie abtauchen, oft aber auch gar nicht. Was vielleicht brutal klingt, muss man aber auch im Verhältnis sehen, denn die Sender helfen uns, die Bestände zu erforschen und zu schützen. Und: Der Sender, den wir nutzen, ist 30 Zentimeter lang, die Speckschicht des Wals ist bis zu 50 Zentimeter dick. Mit der Zeit wächst der Sender wie ein Splitter raus. Und selbst wenn nicht, ist die Vorrichtung so konstruiert, dass sie dem Wal nicht schadet, sondern im Grunde wie ein Implantat ist. Grundsätzlich würden wir auch nie Jungtiere oder offensichtlich kranke, geschwächte Tiere mit einem Sender versehen. Auch Wal-Kühe mit Kälbern sind tabu. Wir wählen möglichst fitte, gesund wirkende Tiere für die Sender aus.
Von wie vielen Sendern sprechen wir?
Insgesamt 25. Wir haben 19 Stück, die größer sind und mehr als ein Jahr halten sollen. Hinzu kommen sechs kleinere, die eine kürzere Lebensdauer haben, dafür aber mehr als nur die Position aufzeichnen, sondern dazu unter anderem Tauchtiefe und Verweildauer in bestimmten Tiefen. Von denen haben wir zwei vor einiger Zeit bei einer Expedition als Probe angebracht.
Die zwei Sender haben 30 Tage gehalten und wir haben die Route von zwei Finnwalen für diese Zeit. Sie sind beim Verlassen der Nahrungsgründe fast parallel geschwommen, hatten anscheinend das gleiche Ziel. Wir wissen aber nicht, wo das ist, da die Sender nicht lang genug gehalten haben. Um verlässliche Aussagen dazu treffen zu können, ob das gemeinsame Schwimmen Zufall war oder die Wale aus den verschiedenen Nahrungsgründen wirklich das gleiche Ziel haben, brauchen wir eine größere Stichprobe und längere Übertragungszeiten. Wir werden daher nicht alle Sender auf einmal ausbringen, sondern ein paar an jeder Station, die wir ansteuern.
Was passiert mit den Daten?
Die Positionen der Wale werden über das Argos-Satellitensystem empfangen und auf eine Nutzerplattform gespielt, wo ich sie abrufen kann. Man kann sogar einstellen, dass das Programm einen jedes Mal informiert, wenn eine neue Wal-Position verfügbar ist. Bei den ersten zwei Probesendern habe ich wirklich jede Push-Nachricht aufgeregt verfolgt, denn der Übertragungsprozess des Datenpunktes muss ja auch erstmal reibungslos funktionieren.
Wann ist mit Ergebnissen zu rechnen?
Wir gehen schon davon aus, dass die Wale erstmal an den Nahrungsgründen bleiben, bis im Mai der antarktische Winter einsetzt und die Wanderung beginnt. Die beiden Wale aus der Probe sind genau am gleichen Tag gestartet. Dann gilt es zu beobachten, wo die Tiere wieder zur Ruhe kommen – das ist dann ihr Überwinterungs- und wahrscheinlich ihr Paarungsgebiet. In einem Jahr erwarten wir sie dann wieder zum Fressen in der westlichen Antarktis. Wir müssen also nicht warten, bis die Sender ausgehen, sondern werden hoffentlich schon in einem halben Jahr wichtige Erkenntnisse gewonnen haben.
Es geht aber nicht nur um eine geografische Verortung, oder?
Nein. Zusätzlich nehmen wir von jedem Wal, der einen Sender bekommt, auch eine kleine Gewebeprobe, sodass wir sein Geschlecht bestimmen können, ihn genetisch identifizieren und über die Analyse stabiler Isotope und Fettsäuren auch Informationen zu seiner Ernährungsweise bekommen. Wir versuchen also, die besenderten Wale auch besser zu charakterisieren und Informationen über die Populationsstruktur zu erhalten.
Viele Erkenntnisse, die wir bisher haben, stammen noch vom Walfang
Wie kommt es, dass so wenig über Finnwale bekannt ist?
Das hat verschiedene Gründe. Viele der Erkenntnisse, die wir haben, stammen noch vom Walfang, das heißt, man weiß, wo sie fressen und wo man sie fangen kann. Durch den intensiven Walfang im 20. Jahrhundert waren aber insbesondere die Finnwal-Bestände so gering, dass es nach Ende der Waljagd kaum etwas gab, was man erforschen konnte.
Dazu kommt, dass Finnwale schwieriger zu erforschen sind als zum Beispiel Buckelwale, weil sie nicht in küstennahen Gewässern zur Paarung und Nachwuchsaufzucht zusammenkommen, sondern eher küstenfern leben und in großen Gruppen heutzutage nur in der Antarktis zu beobachten sind. Dass wir dort in den vergangenen Jahren wissenschaftlich eine Erholung der Bestände nachweisen konnten, war ein riesiger Schritt, der jetzt weitere Projekte möglich macht. Aber: Jede Art von Antarktisforschung ist aufwändig und teuer. Man muss erstmal die Ressourcen haben. Dass wir jetzt ein deutsches Schiff rein für Finnwal-Forschung nutzen können, ist ein großes Privileg.
Wie stellt sich die Crew für so eine besondere Expedition zusammen?
Unsere Reise wird federführend von der Uni Hamburg durchgeführt, mit logistischer und personeller Unterstützung des Alfred-Wegener-Instituts und unter Beteiligung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unter anderem von der Uni Gdansk, vom italienischen Tethys Research Institute und von der Norwegian University of Science and Technology.
Schon im Forschungsantrag für die Fahrt muss man sehr detailliert beschreiben, was man erforschen will und wie das am besten gelingen kann. Dazu gehört natürlich, die verfügbaren 21 Plätze für Forschende mit den ausgewiesenen Expertinnen und Experten ihres Fachs zu besetzen. Hinzu kommen dann natürlich auch die nötigen Teammitglieder, zum Beispiel Technikerinnen und Techniker sowie Studierende.
Besonders wichtig war, wer die Sender ausbringt. Weltweit gibt es nur eine Handvoll Personen, die die nötige Erfahrung haben. Die Kollegin von der University of Washington, die auf die Fahrt mitkommt, hat schon alle möglichen Walarten in verschiedensten Meeresgebieten mit Sendern versehen, sodass sie für uns eine Garantie ist, dass das nach der bestmöglichen Art passiert.
Aus Ihrer Expeditionserfahrung: Was muss mit aufs Schiff, damit alles klappt?
Eine Kamera! Wir machen einen Ausflug in eine so faszinierende, beeindruckende und unbekannte Welt, dass uns ganz sicher viele Sachen begegnen, die wir auf jeden Fall fotografieren möchten.
Ansonsten ist es wichtig, dass die Stimmung an Bord gut ist – und da hilft es sehr, wenn das Essen gut ist. Neben den 21 Forschenden haben wir noch mal eine ähnlich stark besetzte Crew dabei, zu der auch das Küchenpersonal gehört. Zudem ein Arzt, weil wir in der Antarktis nicht so einfach mit dem Helikopter geborgen werden können. Ohne medizinisches Fachpersonal geht da also nichts.
Ich finde, insgesamt hilft zudem ein emotionales Rüstzeug aus einer gründlichen Vorbereitung, einem gewissen Maß an Zuversicht sowie Geduld. Denn wir wissen nicht, wie das Wetter sein wird, wenn wir dort ankommen. Es kann sein, dass wir erstmal zwei Wochen Sturm oder Nebel haben und die kleinen Schlauchboote nicht zu Wasser lassen können. Bei meiner letzten Expedition waren wir neun Wochen unterwegs und ich habe erst nach sechs die ersten Finnwal-Ansammlung gesehen. Man muss also mit einer gewissen Gelassenheit an das Unterfangen herangehen und darf nicht direkt verzweifeln, wenn etwas nicht optimal läuft.
Projekt „FINWAP“
Die Expedition mit dem Forschungsschiff „MARIA S. MERIAN“ startet am 25. Februar im chilenischen Punta Arenas. Die Fahrt sollte bereits vor drei Jahren stattfinden, wurde aber fünf Tage vor dem Start wegen der Corona-Pandemie abgesagt. Auf der jetzigen Fahrt, die am 30. März in Montevideo (Uruguay) endet, werden insgesamt 21 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an Bord sein. Expeditionsleiterin Dr. Helena Herr forscht in der Abteilung Marine Ökosystemdynamik und Management am Fachbereich Biologie sowie im Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit der Uni Hamburg. Sie ist zudem Gastwissenschaftlerin am Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung.
Über die Forschungsschiffe SONNE, METEOR und MARIA S. MERIAN
Die Universität Hamburg ist Betreiberin dreier im weltweiten Einsatz befindlicher deutscher Forschungsschiffe. Die SONNE und die METEOR sind Eigentum der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung. Die MARIA S. MERIAN gehört dem Land Mecklenburg-Vorpommern, vertreten durch das Ministerium für Wissenschaft, Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten. Die an der Universität angesiedelte Leitstelle Deutsche Forschungsschiffe ist für den operativen Betrieb der Schiffe verantwortlich sowie für die wissenschaftlich-technische, logistische und finanzielle Organisation aller Expeditionen.