Psychologische Forschung im Projekt „TrackingMinds“„Menschen können überraschend gut lernen, andere einzuschätzen“Serie „Forschen & Verstehen“
12. Dezember 2022, von Anna Priebe
Foto: UHH
Wie deuten Menschen das Verhalten anderer? Das Team um Prof. Dr. Sebastian Gluth aus dem Arbeitsbereich Allgemeine Psychologie untersucht im Projekt „TrackingMinds“, wie wir fremde Personen einschätzen und auf ihre Entscheidungen schließen. Im Interview erklärt Gluth, wie solche Prozesse erforscht werden und warum mancher sehr schnell „Ja“ sagt.
Vom Beobachten eines anderen Menschen über die Prozesse im Gehirn bei der Verarbeitung bis zum Ziehen entsprechender Schlüsse – wie erforscht man so einen komplexen Vorgang?
Eine der Grundideen unseres Projektes ist, dass wir Menschen die Denksysteme, die wir für unsere eigenen Entscheidungen nutzen, auch dazu verwenden, um darauf zu schließen, was andere Menschen machen. Zudem gehen wir oft davon aus, dass andere so sind und denken wie wir. Bisherige Forschung hat zum Beispiel gezeigt, dass egoistische Menschen andere ebenfalls als egoistisch einschätzen, während Personen, die altruistisch sind und viel teilen, erwarten, dass andere ebenso agieren.
Hier setzen wir an und führen kontrollierte Laborexperimente durch, bei denen wir zuerst die Probanden selbst Entscheidungen treffen lassen: Sie haben einen Betrag X zur Verfügung und wählen dann aus zwei Aufteilungen zwischen sich selbst und einer anonymen Person – bei einer bekommen sie mehr ab, bei der anderen die andere Person. So messen wir also zunächst ihr eigenes Verhalten und gehen etwa davon aus, dass eine egoistische Person hier immer eher die Diagramme wählen würde, in denen sie selber mehr bekommt.
Und das ist die Basis für die Einschätzungen von Entscheidung anderer Personen?
Genau, wir zeigen den Probandinnen und Probanden dann die Entscheidungsprozesse anderer Menschen und sie sollen einschätzen, wie egoistisch bzw. altruistisch diese Personen sind. Sie sind schon vertraut mit der Aufgabe, weil sie sie selber lösen mussten. Wichtig ist, dass sie dabei unterschiedliche Informationen erhalten. Zum Teil sehen sie, was die andere Person vorher gewählt hat, zum Teil aber auch nur, wie lange die gezeigte Person für die Entscheidung gebraucht hat.
Es müssen immer mehrere Situationen hintereinander bewertet werden und wir untersuchen, ob die Probanden lernen, das Entscheidungsverhalten anderer Menschen einzuschätzen und welche Faktoren bzw. Informationen sie dafür nutzen und brauchen. Unsere bisherigen Daten weisen darauf hin, dass Menschen überraschend gut darin sind zu lernen, andere Menschen einzuschätzen. Das funktioniert sogar dann, wenn man nur sieht, wie lange eine Person zur Entscheidung braucht, nicht aber, was sie gewählt hat.
Für Ihre Untersuchungen nutzen Sie auch andere Verfahren, oder?
Ja. Um die Denkprozesse im Gehirn auf neuronaler Ebene besser zu verstehen, ergänzen wir die Experimente um Magnetresonanztomografien oder Elektroenzephalogramme. Hier sehen wir zum Beispiel Aktivierungsmuster im Gehirn, wenn eigene Entscheidungen getroffen werden, und können sie mit den Signalen bei der Einschätzung anderer Personen vergleichen. So möchten wir herausfinden, ob Probrandinnen und Probanden im Kopf das Verhalten der fremden Person simulieren, um ihre Entscheidung abzuschätzen.
Wie sollen die Erkenntnisse später eingesetzt werden?
Wir betreiben Grundlagenforschung, deren Ziel es vor allem ist, ein Modell der Prozesse zu erstellen, die ablaufen, wenn wir fremde Personen und ihre Entscheidungen antizipieren und einschätzen. Daraus möchten wir perspektivisch ein Computerprogramm entwickeln, das mit Menschen interagiert und daraus lernt, um die Kommunikation zwischen Menschen und Maschinen zu verbessern. Bisheriges maschinelles Lernen beruht ja vor allem darauf, welche Entscheidung am Ende getroffen wird – A oder B. Es stecken aber mehr Informationen in unserem Verhalten und wir wollen die Künstliche Intelligenz so trainieren, dass sie auch diese anderen Faktoren erkennen und berücksichtigen kann.
Das Projekt ist dynamisch, sodass wir es um weitere Fragen ergänzen können
Welche Faktoren könnten da noch interessant sein?
In unserem Projekt schauen wir jetzt erstmal auf die Entscheidungszeit, aber natürlich gibt es auch andere Elemente des Verhaltens, die relevant sind. Wir wollen zum Beispiel noch die Augenbewegungen einbeziehen. Die liefern einen Hinweis, welche Informationen Menschen überhaupt aufnehmen. Und da so ein Projekt dynamisch ist, können wir es mit den gewonnenen Erkenntnissen um weitere Fragestellungen ergänzen. Gesichtsausdrücke, Äußerungen wie Seufzer oder andere Reaktionen könnten daher auch noch spannend sein.
Wenn man die Prozesse hinter Entscheidungen versteht, kann das auch zu Manipulationen einladen, oder?
Man muss leider bejahen, dass das natürlich auch aus dieser Perspektive interessant ist. In unserem Projekt spielt das keine Rolle. Diese Art von Forschung, „Decision Neuroscience“, liegt eben an der Schnittstelle von Neurowissenschaften, Psychologie und Ökonomie. Im Marketing könnte es von Interesse sein, Nutzen aus diesen Erkenntnissen zu ziehen, indem man etwa aus der Zeit, die ein Kunde einem Produkt widmet, das Interesse ableitet und dann nochmal gezielt nachhakt – auch wenn im ersten Schritt noch nichts gekauft wurde.
Verändert diese Forschung, wie sie privat mit anderen Menschen interagieren, weil Sie quasi die ganze Zeit Wahrnehmungen analysieren?
Es gibt hin und wieder schon Situationen, wo ich aufmerksam werde und mich frage, ob ich das nutzen kann. Zum Beispiel beim Kartenspielen, wenn man beobachtet, wie lange der andere Spieler bzw. die andere Spielerin überlegt, und ob das einem hilft einzuschätzen, wie gut das gegnerische Blatt ist.
Wenn ich erklären will, wozu ich forsche, nehme ich auch gerne das Beispiel einer Hochzeit. Wenn die Braut und der Bräutigam gefragt werden, ob sie ihr „Ja“-Wort geben wollen, dann ist die Geschwindigkeit, mit der das „Ja“ kommt, schon von Bedeutung. Wenn gezögert wird, fragt man sich als Betrachter sofort, ob da wohl jemand unsicher ist. Ich war aber auch schon auf einer Hochzeit, wo die Braut quasi „Ja“ gesagt hatte, noch bevor die Standesbeamtin ihre Frage beendet hatte. Dazu muss man wissen: Menschen ist durchaus bewusst, dass ihre Reaktionszeit beobachtet wird, und sie nutzen das für sogenanntes „signaling“, also um mit der schnellen Entscheidung ein Signal zu senden, wie sicher sie sich sind.
EU-Förderung für „TrackingMinds“
Prof. Dr. Sebastian Gluth ist seit Oktober 2020 Professor an der Fakultät für Psychologie und Bewegungswissenschaft, wo er dem Potenzialbereich „Neurowissenschaften und Kognitive Systeme“ und der Profilinitiative „Mechanisms of Change“ angehört. Der Europäische Forschungsrat (European-Research-Council, ERC) fördert das Projekt „TrackingMinds“ noch bis 2025 im Rahmen eines „Starting Grant“ mit rund 1,5 Millionen Euro.
Forschen & Verstehen
In den acht Fakultäten der Universität Hamburg forschen rund 6.200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Auch viele Studierende wenden oft bereits im Studium ihr neu erworbenes Wissen in der Praxis an. Die Reihe „Forschen & Verstehen“ gibt einen Einblick in die große Vielfalt der Forschungslandschaft und stellt einzelne Projekt genauer vor. Fragen und Anregungen können gerne an die Newsroom-Redaktion(newsroom"AT"uni-hamburg.de) gesendet werden.