Projekt „TwinSim“Ein digitaler Zwilling für den Hamburger HafenSerie „Forschen & Verstehen“
25. August 2022, von Matthew Fennessy/Anna Priebe
Foto: EUROGATE/Vielmo
Der Hamburger Hafen ist der größte Seehafen Deutschlands und der drittgrößte in Europa. Sein Betrieb wird durch zunehmenden Kosten- und Wettbewerbsdruck sowie Anforderungen durch den Klimaschutz vor Herausforderungen gestellt. Eine Forschungsgruppe am Institut für Wirtschaftsinformatik entwickelt im Projekt „TwinSim“ einen digitalen Zwilling des Hafens. Projektleiter Dr. Leonard Heilig erklärt, wie dieser helfen kann, Abläufe in Containerterminals zuverlässiger und umweltschonender zu planen. In unserer Serie „Forschen & Verstehen“ stellen wir Forschungsprojekte der Universität Hamburg vor.
Worum geht es in Ihrem Projekt?
Im Kern geht es um die Entwicklung eines digitalen Zwillings – also um die Abbildung der physischen Gegebenheiten eines Containerterminals und der dazugehörigen Abläufe in der digitalen Welt. Wir arbeiten mit dem EUROGATE Containerterminal Hamburg zusammen und erheben live vor Ort Daten, wie die Position und Geschwindigkeit von Fahrzeugen, die dann unmittelbar in Form von 3D-Ansichten visualisiert werden.
Dabei muss der Informationsfluss in beide Richtungen funktionieren: Der digitale Zwilling soll die empfangenen Daten interpretieren und zur Entscheidungsfindung nutzen. Diese haben dann wiederum einen Einfluss auf die realen Objekte und Prozesse. Damit das funktioniert, kommen verschiedene Technologien und Methoden zum Einsatz, unter anderem Sensorik und Verfahren der Künstlichen Intelligenz (KI).
Wie kann der Zwilling zum Beispiel bei den Herausforderungen in den globalen Lieferketten helfen?
Containerterminals sind wichtige Knotenpunkte in globalen Lieferketten und können schnell zum Flaschenhals werden. Um Abläufe effizienter und nachhaltiger zu gestalten, müssen wir sie zunächst transparenter machen. Durch den Einsatz moderner Technologien können Zustände von Geräten und Infrastruktur, Aktivitäten und Abläufe anhand von Daten genaustens nachvollzogen und gesteuert werden.
Auf Basis dieser gesammelten Daten kann der digitale Zwilling Simulationsverfahren in Kombination mit KI-Verfahren nutzen, um einerseits vergangene Abläufe zu analysieren und andererseits Vorhersagen über die Zukunft zu treffen, sodass in jeder Situation aktuelle Pläne und Abläufe angepasst werden können. Kommt es etwa zu einer Schiffsverspätung, kann die Auswirkung anhand sogenannter What-If-Analysen und durch Verfahren des maschinellen Lernens proaktiv analysiert werden, sodass entsprechende Maßnahmen ergriffen werden können.
Insgesamt wird so ein besserer Ressourceneinsatz gewährleistet und die negativen ökologischen Auswirkungen können reduziert werden, indem zum Beispiel Leerfahrten vermieden oder die Geschwindigkeiten angepasst werden. Abläufe zwischen See- und Landseite können dadurch – auch unter Berücksichtigung von Schwankungen und Störungen in den Logistikketten – nachhaltig verbessert werden.
Es wird ein besserer Ressourceneinsatz gewährleistet und die negativen ökologischen Auswirkungen können reduziert werden
Die Abläufe im Hafen sind ja sehr komplex. Gibt es im Projekt einen besonderen Fokus?
Unsere Forschungsgruppe schaut im ersten Schritt vor allem auf die simulationsbasierte Optimierung von Transport- und Lagerprozessen im Containerterminal selbst. Dazu müssen zunächst Abläufe und Regeln im Terminalbetrieb analysiert und anhand von Simulations- und Optimierungsmodellen abgebildet werden, um auf dieser Basis spezielle Verfahren zu entwickeln. Die Evaluation dieser Verfahren erfolgt dann nicht nur durch Simulationen bestimmter Situationen, sondern auch durch den Vergleich mit ähnlichen Abläufen, die ohne intelligente Verfahren geplant und bereits durchgeführt wurden.
Ein weiterer Schwerpunkt ist die Datenanalyse sowie die Entwicklung und Anwendung von Verfahren des maschinellen Lernens. Hier geht es speziell darum, in dem großen Datenbestand, der vom digitalen Zwilling erzeugt wird und sich sekündlich vergrößert, Muster und Zusammenhänge zu erkennen, um daraus Erkenntnisse und Vorhersagen für die Zukunft abzuleiten. Ein Beispiel sind Gerätedaten, die für die Instandhaltung relevant sind. Sie werden kontinuierlich übertragen und können durch den digitalen Zwilling mit den entwickelten Verfahren analysiert werden, um beispielsweise den Ausfall eines Fahrzeuges oder einer Containerbrücke zu prognostizieren und eine vorausschauende Wartung zu veranlassen.
Was ist das Besondere an diesem Projekt?
Für mich persönlich ist es vor allem die Ausgestaltung des digitalen Zwillings, der verschiedene Technologien, Ansätze und Verfahren miteinander verbindet und dadurch hoffentlich ein hilfreiches Werkzeug bietet, um verschiedene Herausforderungen von Containerterminals in Zukunft noch besser zu adressieren. Als Forschungsgruppe können wir unsere Expertise in den verschiedenen Bereichen vollständig einbringen, aus dem Praxiseinblick lernen, Wissen generieren und schlussendlich einen wichtigen Beitrag leisten.
Wie sieht der konkrete Transfer in die Praxis aus?
Die Anwendung und die Evaluation des entwickelten digitalen Zwillings werden zunächst im EUROGATE Container Terminal Hamburg erfolgen. Das Projekt und besonders unsere anwendungsorientierte Forschung erfüllen keinen Selbstzweck, sondern sollen in einem Werkzeug münden, welches tagtäglich operativ zur Verbesserung der Abläufe eingesetzt werden kann.
Dazu ist es wichtig, die späteren Nutzerinnen und Nutzer sowie das Management und auch die Betriebsräte von Anfang an mit an Bord zu haben und immer wieder mit einzubeziehen. Schon zum Start des Projektes haben wir Workshops mit allen Beteiligten organisiert und Vorgehensweisen entwickelt, um Anwendungsfälle und Anforderungen aus den verschiedenen Bereichen des Unternehmens, insbesondere aus den verschiedenen Containerterminals, zu erfassen und zu bewerten.
Die im Hamburger Hafen generierten Kenntnisse werden dokumentiert und bereitgestellt. Später sollen auch weitere Containerterminals der EUROGATE-Gruppe ausgestattet werden. Während des Projekts präsentieren wir Zwischenergebnisse intern oder auf Messen und Tagungen, sodass alle Interessierten jederzeit informiert sind, wir den Diskurs fördern und mit den sich daraus ergebenen neuen Anforderungen agil umgehen können.
Projekt „TwinSim“
Das Projekt „TwinSim“ ist eine Kooperation mit der EUROGATE GmbH & Co. KGaA, KG., EUROGATE Technical Services GmbH und „akquinet port consulting GmbH“. Das anwendungsorientierte Forschungs- und Entwicklungsprojekt wird im Programm „Innovative Hafentechnologien“ (IHATEC) des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr gefördert und hat insgesamt ein Projektvolumen von rund 3,65 Millionen Euro. Das Institut für Wirtschaftsinformatik (IWI) beschäftigt sich seit mehr als 20 Jahren unter anderem mit der Entwicklung von Informationssystemen und quantitativen Methoden zur Entscheidungsunterstützung in der Hafen- und Seeverkehrslogistik und hat die Ergebnisse in zahlreichen Kooperationen in die Praxis eingebracht.
Forschen & Verstehen
In den acht Fakultäten der Universität Hamburg forschen rund 6.200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Auch viele Studierende wenden oft bereits im Studium ihr neu erworbenes Wissen in der Praxis an. Die Reihe „Forschen & Verstehen“ gibt einen Einblick in die große Vielfalt der Forschungslandschaft und stellt einzelne Projekte genauer vor. Fragen und Anregungen können gerne an die Newsroom-Redaktion(newsroom"AT"uni-hamburg.de) gesendet werden.