Projekt „QualiTePE“Le Parkours oder Barren: Macht das einen guten Sportunterricht aus?Serie „Forschen & Verstehen“
11. August 2022, von Anna Priebe
Foto: pixabay/schwalbenschwanz
Für die einen ist es die beste Schulstunde, für die anderen eine Qual mit Ballspielen: der Sportunterricht. Doch was macht guten Schulsport aus? Das untersucht das Projekt „QualiTePE“ von Prof. Dr. Erin Gerlach und Dr. Wiebke Langer aus dem Institut für Bewegungswissenschaft. In unserer Serie „Forschen & Verstehen“ stellen wir Forschungsprojekte der Universität Hamburg vor.
Das Klischee des Sportunterrichts ist ja immer noch der Medizinball. Gibt es einen wissenschaftlichen Konsens, was guten Sportunterricht ausmacht?
Erin Gerlach: Man hat in fast allen Lehrplänen deutschlandweit einen Konsens über den programmatischen Auftrag des Sportunterrichts, den sog. Doppelauftrag. Zum einen eine Erziehung zum Sport, man soll also Sport und Bewegung kennen- und erlernen. Und zum anderen gibt es einen Auftrag zur Erziehung durch Sport, also eine Entwicklungsförderung durch Bewegung, Spiel und Sport. Dabei geht es unter anderem darum, den Sport kritisch zu reflektieren. Im Religionsunterricht geht es ja auch nicht nur darum, Bibelzitate zu lernen, sondern sich mit den größeren Zusammenhängen auseinanderzusetzen. Es geht um Handlungsfähigkeit im und durch Sport – und ein guter Sportunterricht fördert diese.
Wiebke Langer: Dafür muss man im Sportunterricht verschiedene pädagogische Perspektiven abdecken, die über die reine Leistung hinausgehen, etwa soziale Aspekte wie Teamfähigkeit, der Bereich der Körperwahrnehmung oder die Ermutigung, Wagnisse einzugehen, besondere Bewegungserfahrungen zu machen oder sich speziell mit dem Körper auszudrücken. Insgesamt geht es bei gutem Sportunterricht nicht nur darum, Sport zu treiben, sondern darum, wie er inszeniert und eingebettet wird. Zum Beispiel kann man klassische Sportarten vollkommen neu interpretieren.
Wie kann man diese Theorie in die Praxis bringen?
Gerlach: In den Lehrplänen ist nicht von bestimmten Sportarten die Rede, sondern von sogenannten Bewegungsfeldern. Eines heißt zum Beispiel „Bewegung an und mit Geräten“. Da steckt natürlich das klassische Geräteturnen drin, aber solche Dinge verändern sich – wie auch die Sportkultur außerhalb der Schule. Man kann diese Felder also ausgestalten und dabei die Schülerinnen und Schüler einbeziehen. Eine Form ist etwa das aus Frankreich stammende „Le Parkour“, das quasi eine Aneignung urbaner Lebensräume ist. Man überwindet besonders kreativ vorhandene Hindernisse. Das ist auch eine Form der Bewegung an Geräten, die für Schülerinnen und Schüler oft viel attraktiver ist als das klassische Geräteturnen.
Langer: Und wir haben den Vorteil, dass wir Forschung und Lehre sehr eng verknüpfen. Wir arbeiten mit unseren Studierenden in Lehrformaten, in denen sie Ideen für ihre Praxisphasen in der Schule entwickeln und dann auch direkt umsetzen können. Man merkt, dass sich bei den angehenden Lehrkräften schon ein anderes Verständnis von Sportunterricht etabliert hat.
Wie untersuchen Sie das Thema ‚guter Sportunterricht‘ im Projekt „QualiTePE“?
Gerlach: Die empirische Unterrichtsforschung unterscheidet hier drei Prozessmerkmale guten Unterrichts: das Klassenmanagement und die Organisation des Unterrichts, ein schülerorientiertes Unterrichtsklima und das Potenzial für kognitive Aktivierung. Hinzu kommen Dinge wie die Auswahl spezifischer Inhalte und Methoden sowie ein formatives Assessment, also die kontinuierliche Überprüfung des Lernprozesses and das dazu passende Feedback.
Im ersten Schritt haben wir uns mit unseren Kolleginnen und Kollegen der anderen europäischen Universitäten darüber unterhalten, was diese Dimensionen für den Sportunterricht in ihrem Land bedeuten. Beim Klassenmanagement geht es im Sportunterricht zum Beispiel um das Material- und Raummanagement, also um die Regelung des organisierten Chaos‘ – es sind ja alle ständig in Bewegung. Beim Unterrichtsklima geht es um den Aufbau von vertrauensvollen Arbeitsbeziehungen. Aktivierung bedeutet, körperlich aktiv zu sein und dieses Handeln mit dem Denken zu verbinden, also Strategien und Wissen über körperliche Abläufe bei der Bewegung oder im Sport zu lernen – im Fach Sport also sowohl eine bewegungsbezogene als auch eine kognitive Aktivierung.
Es geht um alle, die sich auf den verschiedenen Ebenen für guten Sportunterricht einsetzen
Langer: Auf Basis der so erarbeiteten und strukturierten Dimensionen und Merkmalen von Unterrichtsqualität werden wir eine sogenannte Delphi-Befragung bei internationalen Akteurinnen und Akteuren inner- und außerhalb der Universitäten durchführen, d. h. bei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mit einem ausgewiesenen Forschungsschwerpunkt in der Professionalisierung von Sportlehrkräften und/oder zur Unterrichtsqualität im Fach Sport, bei Hochschullehrenden sowie bei Personen, die in der praktischen Aus- und Fortbildung von Sportlehrkräften involviert sind, etwa Fachseminarleitende. Hinzu kommen Personen, die sich mit der länderspezifischen Qualitätsentwicklung im Fach Sport befassen, also zum Beispiel Schulinspekteure. Es geht um alle, die sich auf den verschiedenen Ebenen für guten Sportunterricht einsetzen. In dieser mehrstufigen Erhebung möchten wir herausfinden, wie sie die einzelnen Kriterien beurteilen. Am Ende soll ein Werkzeug stehen, um über die Qualität von Sportunterricht zu sprechen und sie zu bewerten.
Gerlach: Wir wollen in dem Tool drei Perspektiven einbringen: die der Lehrkraft, die eines Beobachtenden sowie die der Schülerinnen und Schüler. Denn die Wahrnehmung etwa der Unterrichtsatmosphäre kann da ja sehr unterschiedlich sein. Und das wäre dann ein Ansatzpunkt, um zu schauen, warum das zum Beispiel eine Lehrkraft ganz anders wahrnimmt als sein Schüler. Das Werkzeug kann dann in der Aus- und Fortbildung, aber auch in der Berufspraxis, als Ausgangspunkt für Reflexionen zum eigenen Handeln dienen, um eine professionelle Weiterentwicklung anzubahnen.
Und das funktioniert europaweit?
Gerlach: Natürlich suchen wir hier einen Kompromiss, bei dem länderspezifische Bedingungen und Konzepte mitunter nicht berücksichtigt werden können. Aber insgesamt zeigt sich schon, dass das Qualitätsverständnis von Sportunterricht sich auch über Ländergrenzen hinaus darstellen und untersuchen lässt.
Langer: Dieser interkulturelle Austausch ist aber auch eine große Bereicherung. Man lernt ganz viel über das Verständnis vom Gegenstand und Fach Bewegung und Sport sowie über die Unterrichtsgestaltung in anderen Ländern. Das öffnet den Blick. Ich selbst habe in Deutschland studiert und meine Erfahrungen hier in der Schule gesammelt. Es ist einfach sehr interessant, jetzt auch andere Perspektiven kennenzulernen und zu diskutieren.
Das Projekt
„Quality of Teaching in Physical Education“ (QualiTePE) ist ein internationales Forschungsprojekt, das im Rahmen des Programms „Erasmus+“ gefördert wird. Es ist 2022 gestartet und läuft bis 2024. Die Forschenden aus elf Einrichtungen in zehn europäischen Ländern wollen herausfinden, was guten Sportunterricht ausmacht und wie entsprechende Prinzipien umgesetzt und evaluiert werden können. Das Hamburger Teilprojekt wird von Prof. Dr. Erin Gerlach und Dr. Wiebke Langer aus dem Arbeitsbereich Bewegungs- und Sportpädagogik an der Fakultät für Psychologie und Bewegungswissenschaft geleitet.
Forschen & Verstehen
In den acht Fakultäten der Universität Hamburg forschen rund 6.200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Auch viele Studierende wenden oft bereits im Studium ihr neu erworbenes Wissen in der Praxis an. Die Reihe „Forschen & Verstehen“ gibt einen Einblick in die große Vielfalt der Forschungslandschaft und stellt einzelne Projekte genauer vor. Fragen und Anregungen können gerne an die Newsroom-Redaktion(newsroom"AT"uni-hamburg.de) gesendet werden.