Risiken der EnergieproduktionAus welchen Ländern sollen wir Wasserstoff importieren?Serie „Forschen & Verstehen“
16. Mai 2022, von Niklas Keller
Foto: UHH/Keller
Für grüne Wasserstoffproduktion sind Wasser und erneuerbare Energie erforderlich. Gute geophysikalische Bedingungen dafür bieten insbesondere Länder des Globalen Südens. Im BMBF-geförderten Forschungsprojekt H2POLITICS untersucht Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Franziska Müller, welche Risiken in Ländern wie Südafrika, Marokko oder Chile beachtet werden müssen.
Wasserstoff wird häufig als Hoffnungsträger der Energiewende bezeichnet. Ist er das?
Es kommt darauf an, über welchen Wasserstoff wir sprechen. Grüner Wasserstoff wird unter der Nutzung erneuerbarer Energie hergestellt. Eine solche Wasserstoffproduktion könnte sicherlich dabei helfen, Sektoren wie die Schwerindustrie zu dekarbonisieren – wie zum Beispiel Stahlwerke.
Sie analysieren in Ihrem Forschungsprojekt Risiken, die mit der importorientierten Wasserstoffstrategie der Bundesregierung in Ländern des Globalen Südens einhergehen. Was können das für Risiken sein?
Ein wichtiger Aspekt ist Wassergerechtigkeit. Für die Produktion von Wasserstoff sind große Mengen Wasser notwendig, welches aufbereitet werden muss. In vielen Ländern würde der hohe Wasserverbrauch zu Wasserknappheit und zu erhöhten Wasserpreisen führen. Ein anderer Aspekt sind Landkonflikte. Für die Anlagen sind riesige Landflächen erforderlich. Ein in Namibia geplantes Projekt nimmt ein Fünftel des Tsau Khaeb-Nationalparks in Anspruch – das ist mehr als das Fünffache des Bundeslands Hamburg.
Viele afrikanische Länder haben politische Strategien für eine Energiewende, zum Beispiel Ghana, Nigeria oder Südafrika. Eine internationale Wasserstoffpolitik müsste mit den dortigen Energiepolitiken gut abgestimmt sein. Sollte dies nicht der Fall sein, dient das nicht der Energietransformation eines Landes.
Auch die technische Perspektive spielt eine wesentliche Rolle. Wir wollen wissen, welche ökologischen Auswirkungen solche Großprojekte haben und prüfen dies entlang der Wertschöpfungskette von der Energieproduktion über den Anlagenbau bis zur Logistik. Hierfür kooperieren wir mit dem Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme.
Neben Südafrika legen sie den Schwerpunkt auch auf Chile und Marokko als mögliche Produktionsstandorte. Warum?
Wir haben diese Länder ausgewählt, weil sie von der Bundesregierung als Standorte anvisiert werden und teilweise bereits Wasserstoffpartnerschaften bestehen. Insgesamt schauen wir uns die Bedingungen von 27 Ländern an.
Die Bundesregierung hat beispielsweise Chile auf ihre Liste potenzieller Standorte gesetzt. Der Transportweg von Chile nach Deutschland ist allerdings weit und könnte sich deshalb nicht rechnen. Auch Niger hat die Bundesregierung ins Auge gefasst. In diesem Binnenstaat herrscht großer Wassermangel und eine Energieinfrastruktur ist kaum vorhanden. Dort Wasserstoff zu produzieren, während die Bevölkerung Wasser- und Energiearmut erfährt, ist ungerecht.
Auch die Entfernung spielt eine große Rolle. Die sogenannte MENA-Region – die den Mittleren Osten und Nordafrika umfasst – kommt eher als Produktionsstandort in Frage. Mit Marokko bestehen intensive Energiekooperationen. Allerdings spielt hier auch der noch immer ungelöste Westsaharakonflikt eine große Rolle.
Der Krieg in der Ukraine hat sichtbar gemacht, wie abhängig wir zurzeit von importierter Energie sind. Wäre auch ein Produktionsmix im Globalen Süden und in Deutschland denkbar?
Ein Netzwerk aus Energiekooperationen sorgt für Unabhängigkeit von bestimmten Ländern und unterstützt langfristig stabile Energiebeziehungen. Neue Gas- und Öllieferverträge verlängern aber gleichzeitig die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern um Jahrzehnte. Da die Produktion in Deutschland aber nur langsam hochgefahren werden kann, müsste bei einer Grünwasserstoffstrategie in den nächsten Jahrzehnten Wasserstoff im Ausland hergestellt werden. Unsere Wirtschaft ist sehr energieintensiv und die Energiesparpotentiale sind noch nicht ausgeschöpft. So viel Wasserstoff können wir in Deutschland aktuell nicht produzieren.
Im Zuge unseres Projekts sprechen wir auch über die historische Verantwortung: Ist es legitim, den Großteil der eigenen Energieversorgung auszulagern und davon auszugehen, dass der Globale Süden als Energielieferant zur Verfügung steht? Die Vorstellung, dass afrikanische Länder als Produktionsraum für den Globalen Norden dienen, hat eine koloniale Geschichte. Ein solches Vorhaben muss für die Produktionsländer fair, sozial und ökologisch gerecht sein, um nicht in alte Muster zu verfallen.
Sie werden für das Projekt sicherlich nicht in 27 Staaten reisen. Wie kommen Sie zu Ihren Erkenntnissen?
Wir nutzen unter anderem Daten des Weltwasseratlas und der Weltbank. Die Daten führen wir zusammen, um Aussagen über die Staaten treffen zu können und Risikoprofile anzulegen.
In Marokko, Chile und Südafrika führen wir Fallstudien durch und arbeiten zusammen mit Akteurinnen und Akteuren im Land, die dort an den Wasserstoffprojekten mitarbeiten: Das sind Ingenieurinnen und Ingenieure, Politikerinnen und Politiker, Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften und die Zivilgesellschaft. Aus vorherigen Projekten haben wir ein großes Netzwerk aufgebaut. Wir führen Dialoge, um Daten zu sammeln und Einschätzungen über die Lage vor Ort zu gewinnen.
An wen gehen letztendlich Ihre Empfehlungen?
Wir wollen einen gewissen Abstand zum Politikprozess bewahren. Ich halte es als Wissenschaftlerin für wichtig, ein großes Maß an Forschungsfreiheit zu haben. Wir engagieren uns aber in politischen Dialogen, kooperieren mit NGOs und leisten Praxistransfers.
Außerdem sind wir im Dialog mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die an ähnlichen Forschungsprojekten arbeiten. Aus vielen unterschiedlichen Perspektiven entsteht somit Wissen über verantwortbare Produktionsmöglichkeiten von neuen und nachhaltigen Energien.
Das Projekt
H2POLITICS wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Nina Glatzer, Imeh Ituen, Tobias Kalt, Johanna Tunn und Prof. Dr. Franziska Müller analysieren die entwicklungspolitischen, sozial-ökologischen, technischen und ökonomischen Risiken, die mit der importorientierten Wasserstoffstrategie der Bundesrepublik Deutschland in Ländern des Globalen Südens einhergehen. Zu einem Ergebnistransfer tragen Kooperationen mit Politik- und Klimaforschenden des Exzellenzclusters CLICCS bei. Auch Dr. Christoph Hank vom Fraunhofer Instituts für Solare Energiesysteme (ISE) und entwicklungspolitische Akteurinnen und Akteure kooperieren im Vorhaben. Auf der Website der Fakultät finden Sie weitere Informationen zum Projekt.
Forschen & Verstehen
In den acht Fakultäten der Universität Hamburg forschen rund 6.200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Auch viele Studierende wenden oft bereits im Studium ihr neu erworbenes Wissen in der Praxis an. Die Reihe „Forschen & Verstehen“ gibt einen Einblick in die große Vielfalt der Forschungslandschaft und stellt einzelne Projekte genauer vor. Fragen und Anregungen können gerne an die Newsroom-Redaktion(newsroom"AT"uni-hamburg.de) gesendet werden.