Hybride digitale ProduktentwicklungenInnovationsprozesse erforschen und optimierenSerie „Forschen & Verstehen“
7. April 2022, von Anna Priebe
Foto: pixabay/fancycrave1
Wenn Unternehmen Produkte mit digitalen und nicht-digitalen Komponenten entwickeln, birgt das spezielle Herausforderungen. Wie solche hybriden Innovationsprozesse funktionieren können, untersucht Dr. Theresa Bockelmann im Rahmen eines internationalen Forscherkollektivs an der Fakultät für Betriebswirtschaft. In unserer Serie „Forschen & Verstehen“ stellen wir Forschungsprojekte der Universität Hamburg vor.
Von digitalen Innovationen hört man immer wieder. Sie konzentrieren Sich aber auf sogenannte „hybride digitale Innovationen“. Was verbirgt sich dahinter?
Hier geht es um neue Produkte, die sowohl aus digitalen, also immateriellen, und gleichzeitig aus materiellen physischen Komponenten bestehen. Beispiele dafür wären selbstfahrende Autos, Smart Home Devices wie Überwachsungssysteme oder Wearables, also etwa Smartwatches.
Was untersuchen Sie in diesem Zusammenhang?
Wir möchten durch unsere Forschung den Prozess der hybriden digitalen Produktinnovation entschlüsseln. Das heißt, wir schauen uns an, wie sie konzipiert, entwickelt, umgesetzt, realisiert und genutzt werden. Bislang haben sich Forschungsstudien hauptsächlich auf rein digitale Produktinnovationen konzentriert.
Dabei möchten wir insbesondere auch die Spannungen verstehen, die im hybriden digitalen Innovationsprozess entstehen – etwa in Bezug auf unterschiedliche Anforderungen an die Produktion und verschiedene Materialien, aber auch durch unterschiedliche Bedarfe an Fähigkeiten, Fachwissen, Organisationsstrukturen und Kulturen. Wir erforschen, wie sie sich auf Unternehmen auswirken, die hybride digitale Innovationen auf den Markt bringen oder sich dahingehend orientieren wollen.
Die optimale Gestaltung digitalisierter Produktinnovationen ist auch deshalb eine der aktuell drängendsten betriebswirtschaftlichen Fragestellungen für Unternehmen, da sich gerade traditionelle Unternehmen mit den Herausforderungen der Digitalisierung oft schwertun. Durch unsere anwendungsorientierte Feldforschung können wir direkt praxisrelevante Erkenntnisse ableiten und auch an die Firmen zurückspielen.
Wie gehen Sie bei Ihrer Forschung vor?
Wir arbeiten primär im Feld, also direkt mit Unternehmen. Wir führen zurzeit verschiedene Fallstudien durch, um Erkenntnisse über die Entwicklung und Produktion, das Management und die Organisation sowie Erfolgs- und Misserfolgsfaktoren zu gewinnen.
Wir achten dabei darauf, Unternehmen mit unterschiedlichen Merkmalen zu untersuchen, also zum Beispiel sowohl aufstrebende Start-ups als auch etablierte Firmen. Unter anderem begleiten wir einen Haushaltsmaschinenhersteller, ein Start-up für nachhaltige Mehrwegverpackungen, eine 3D-Drucker-Firma und einen internationalen Medizintechnikhersteller.
Wie sieht Ihre Begleitung dann konkret aus?
Eine der Fallstudien führen wir zum Beispiel mit „Vytal“ durch. Das Start-up will durch ein smartes Mehrwegsystem Müll durch Take-away-Bestellungen verringern. Die zwei Komponenten des Geschäftsmodells von „Vytal“ sind die wiederverwendbaren Schalen und Becher, in denen Essen von Restaurants oder Kantinen ausgegeben wird, und ein intelligentes Software-basiertes System, das durch QR-Codes die Nutzung der Verpackungen nachvollziehbar macht und so die Wiederverwendung und die Rücknahme ermöglicht.
Durch die vielen unterschiedlichen Bedürfnisse der materiellen und immateriellen Komponenten entsteht eine große Komplexität. Bei den Behältern reichen sie von der Produktion bis zur Entsorgung. Bei den digitalen Komponenten geht es unter anderem um die Programmierung und Steuerung des Mehrwegsystems.
Für uns ist es nun interessant zu verstehen, wie das Unternehmen diese Herausforderungen meistert, in welchen Bereichen es konkret zu Spannungen kommt und wie „Vytal“ damit umgeht. Um das herauszufinden, führen wir teilnehmende Beobachtungen durch und interviewen die Mitarbeitenden des Unternehmens.
Und die Ergebnisse geben Sie dann auch in die Praxis zurück?
Ja, neben den wissenschaftlichen Veröffentlichungen, die wir nach Fertigstellung und Prüfung per „Open Access“ verfügbar machen, organisieren wir auch Workshops und Roundtables mit interessierten Unternehmen, um die Ergebnisse direkt in die Praxis zurückzuspielen. Wir werden unsere Erkenntnisse zudem in unsere Lehre einbinden, zum Beispiel in unsere Kursangebote im Bereich „Technology and Innovation Management.“
Das Projekt
Für das Projekt „Building Digital Products: Understanding the interaction between hardware and software component development in digital innovation“ erhält das Team der Professur „Information Systems and Digital Innovation“ um Prof. Dr. Jan Recker von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) eine Förderung über 280.000 Euro für 30 Monate. Neben dem Kernteam an der Universität Hamburg sind die Universität Köln, die Ruhr Universität Bochum, die Vrije Universiteit Amsterdam, die Case Western Reserve University in den USA sowie das Chalmers Institute in Schweden beteiligt.
Forschen & Verstehen
In den acht Fakultäten der Universität Hamburg forschen rund 6.200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Auch viele Studierende wenden oft bereits im Studium ihr neu erworbenes Wissen in der Praxis an. Die Reihe „Forschen & Verstehen“ gibt einen Einblick in die große Vielfalt der Forschungslandschaft und stellt einzelne Projekte genauer vor. Fragen und Anregungen können gerne an die Newsroom-Redaktion(newsroom"AT"uni-hamburg.de) gesendet werden.