Gesetze oder SelbstregulierungWie lassen sich Finanzmärkte nachhaltig gestalten?Neue Serie: Forschen & Verstehen
24. Februar 2022, von Anna Priebe
Foto: Pixabay/meineresterampe
Um die Klimaziele zu erreichen, müssen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft Hand in Hand arbeiten. Das gilt auch für die nachhaltige Gestaltung der Finanzmärkte. Prof. Dr. Wolf-Georg Ringe, Professor für Law & Finance an der Uni Hamburg, forscht zur Möglichkeit, die Kräfte des Marktes für die klimafreundliche Transformation zu nutzen. In unserer Serie „Forschen & Verstehen“ stellen wir Forschungsprojekte der Universität Hamburg vor.
Die Europäische Kommission will Anlegerinnen und Anleger dabei unterstützen, in klimafreundliche Anlageziele zu investieren. Die sogenannte Taxonomie, also eine Definition von „nachhaltig“ in Bezug auf Finanzanlagen, soll dabei helfen. Aber sind Investitionen in Atomkraft nachhaltig? Über diese Frage wurde in den vergangenen Wochen kontrovers diskutiert.
„Die Transparenz ermöglicht eine Einigung darüber, was wirklich als nachhaltig bewertet werden kann. Eine internationale Standardisierung und somit eine Vergleichbarkeit zu schaffen, das ist die Aufgabe des Rechts und der Politik“, sagt Prof. Dr. Wolf-Georg Ringe, Direktor des Instituts für Recht und Ökonomik an der Fakultät für Rechtswissenschaft. So wie im Fall der Taxonomie untersucht er, wie sich bestimmte rechtliche Vorgaben auf die Finanz- und Kapitalmärkte auswirken.
Weniger einmischen, mehr ermöglichen
In seinem aktuellen Forschungsprojekt geht der Jurist der Frage nach, wie man die Kapitalmärkte dafür nutzen kann, die internationalen Klimaziele zu erreichen: eher durch politische Vorgaben oder doch durch Selbstregulierung? In einem aktuellen Arbeitspapier kommt Ringe zu dem Schluss, dass es eher eine zurückgenommene politische Intervention braucht: „Das Recht sollte eine ermöglichende Rolle einnehmen und auf detaillierte Regulierung auf Unternehmensebene verzichten.“ Für seine Forschung analysiert er bestehendes Recht, bringt es in Verbindung mit geplanten Regulierungen und Instrumenten, wertet empirische Befunde aus und tauscht sich mit Akteurinnen und Akteuren aus der Praxis aus. „Ich schaue mir zum Beispiel an, ob etwas, das die Europäische Kommission anstrebt, in diesem oder einem anderen Zusammenhang bereits funktioniert hat. Mögliche Auswirkungen sind ebenfalls oft schon aus der Vergangenheit bekannt.“
Für die These der möglichen Selbstregulierung spricht laut Ringe vor allem eins: die Anlegerinnen und Anleger selbst. „Die sogenannte Millennials-Generation zeigt ein deutlich anderes Anlageverhalten als Vorgängergenerationen und nennt Nachhaltigkeit als wichtigeres Ziel als die reine Erzielung von Erträgen“, so Ringe. Dadurch würden sich großen Vermögensverwalter wie Blackrock, Vanguard und State Street, aber auch kleinere Fonds entsprechend ausrichten. „Die Einhaltung von Environmental-, Social- und Governance-Standards, den sogenannten ESG-Kriterien, rückt bei Investitionen immer mehr in den Fokus“, so der Jurist. Und viele Unternehmen würden sich daher von allein entsprechend aufstellen.
Kooperation im Kampf gegen fossile Brennstoffe bei einem Ölkonzern
Hinzu kommt Ringe zufolge die intrinsische Motivation der Fondsmanagerinnen und -manager. Die großen Fonds seien quasi in jedem Unternehmen, das auf der Welt börsengelistet ist, mit einem kleinen Anteil beteiligt. „Sie haben daher ein großes Interesse daran, dass der gesamte Markt stabil bleibt. Es ist quasi eine zwingende Logik, dass man Strategien verfolgt, die nachhaltig und langfristig orientiert sind“, erklärt Ringe. Und darüber hinaus gebe es eine verstärkte Tendenz zur Zusammenarbeit verschiedener institutioneller Investoren, da Fonds selten mehr als zwei oder drei Prozent der Anteile an einem Unternehmen hielten und entsprechend wenig Einfluss hätten: „Dem Investor „Engine No. 1“ ist es zum Beispiel gelungen, eine Allianz verschiedener Großanleger zu schmieden und so beim amerikanischen Ölkonzern ‚Exxon Mobil‘ Sitze im Vorstand zu bekommen, um diesen zu einer Abkehr von fossilen Brennstoffen zu bewegen.“ Das sei ein eingebauter Korrekturmechanismus, mit dem die Selbstregulierung durch die Anleger funktionieren könne, so Ringe.
Seine Forschungsergebnisse, die er zum Beispiel auf Fachtagungen und Kongressen vorstellt, sieht Ringe zum einen als Beitrag zum wissenschaftlichen Diskurs, aber auch als Input für die politische Debatte: „Ich bin zum Beispiel immer wieder in Brüssel und spreche bei Anhörungen vor der Kommission oder bei Workshops mit Politikerinnen und Politikern als Experte.“ Aber klar ist laut Ringe auch: „In Brüssel werden viele verschiedene Interessen verhandelt und die Umsetzung bis zur Praxis ist sehr komplex. Das ist ein langer Weg.“
Forschen & Verstehen
In den acht Fakultäten der Universität Hamburg forschen rund 6.200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Auch viele Studierende wenden oft bereits im Studium ihr neu erworbenes Wissen in der Praxis an. Die Reihe „Forschen & Verstehen“ gibt einen Einblick in die große Vielfalt der Forschungslandschaft und stellt einzelne Projekte genauer vor. Fragen und Anregungen können gerne an die Newsroom-Redaktion(newsroom"AT"uni-hamburg.de) gesendet werden.