Zwei Projekte erhalten ERC-FörderungRund fünf Millionen Euro für geisteswissenschaftliche Forschung
1. November 2021, von Newsroom-Redaktion
Foto: Markus Buck
Der Europäische Forschungsrat fördert in den kommende fünf Jahren zwei Projekte aus den Geisteswissenschaften der Universität Hamburg mit insgesamt 4,9 Millionen Euro. Es geht dabei um die Entwicklung der Schriftsprache im Kaukasus und neue Konzepte für den Umgang mit historisch belasteten Denkmälern.
Der 2007 eingerichtete European Research Council (ERC) setzt sich für eine Förderung der grundlagenorientierten Forschung, aber auch risikoreicher Projekte mit Anwendungsbezug ein. Mit der Programmlinie der „Advanced Grants“ fördert er potenziell bahnbrechende Projekte von Forscherinnen und Forschern, die in den vergangenen zehn Jahren herausragende Forschungsleistungen erbracht haben.
Die neu geförderten Projekte
Prof. Dr. Margit Kern: Visuelle Skepsis. Hin zu einer Ästhetik des Zweifels – Visual Scepticism. Towards an Aesthetic of Doubt (VISUAL_SCEPTICISM)
Im Rahmen der Black-Lives-Matter-Bewegung wurden 2020 vielfach Denkmäler niedergerissen oder beschädigt – aus Protest gegen unreflektierte Erinnerung an Kolonialismus oder Faschismus. Eine viel diskutierte Frage lautete: Wie können und sollten Gesellschaften mit diesem historisch belasteten öffentlichen Gedenken umgehen? Im ERC-Projekt „VISUAL_SCEPTICISM” soll ein neuer Ansatz für den Umgang mit diesen Monumenten und Denkmälern ausgearbeitet werden.
„Anhand von Fallstudien werden wir untersuchen, welche Potenziale der skeptischen Auseinandersetzung es gibt und so der Denkmalpflege ein neues Werkzeug zur Verfügung stellen“, erklärt Kunsthistorikerin Prof. Dr. Margit Kern. Der Vorschlag sieht vor, dass die Monumente von Künstlerinnen und Künstlern ästhetisch so verändert werden, dass sie die Skepsis, mit der man ihnen begegnen sollte, äußerlich widerspiegeln. In einem ersten Schritt soll daher erforscht werden, ob und durch welche Eigenschaften visuelle Medien – also Bilder, aber auch Statuen – Widersprüche darstellen können. Insbesondere die Möglichkeiten der Wissensvermittlung werden analysiert.
In einem weiteren Schritt sollen dann Beispiele bestehender Monumente des kolonialen und faschistischen Gedenkens einbezogen werden. Auf der einen Seite wird geschaut, wie sie Erinnerung inhaltlich und ästhetisch darstellen, zum Beispiel durch die Einbettung in den öffentlichen Raum sowie die verwendeten Materialien und Formen. „Wir werden auf der anderen Seite aber auch Beispiele diskutieren, bei denen ein sogenanntes ,Re-Framing‘ – also die Schaffung eines neuen Interpretationsrahmens, etwa durch künstlerische Erweiterungen oder Veränderungen – bereits erfolgreich stattgefunden hat“, erklärt Kern, die seit Oktober 2012 Professorin für Kunstgeschichte am Kunstgeschichtlichen Seminar der Universität Hamburg ist. Das Projekt, für das sie über fünf Jahre rund 2,4 Millionen Euro erhält, startet zum 1. November 2021.
Prof. Dr. Jost Gippert: Die Entwicklung der Schriftlichkeit in der Kaukasusregion – The Development of Literacy in the Caucasian Territories (DeLiCaTe)
Im frühen fünften Jahrhundert war die Kaukasus-Region von drei ethnischen Gruppen geprägt: der armenischen, der georgischen und der sogenannten „kaukasisch-albanischen“. Im Zuge der Christianisierung wurden für alle drei Völker erstmals Schriften entwickelt, die Sprache, Glaube und Kultur für die Nachwelt dokumentierten. Allerdings sind aus dem fünften bis zehnten Jahrhundert zum größten Teil nur wenige Dokumente erhalten, und die meist nur in der Form von Palimpsesten, also als Manuskript-Fragmente, die getilgt und später wieder überschrieben wurden.
Inzwischen können auch gelöschte und überschriebene Textschichten wieder sichtbar gemacht und erforscht werden. Im Projekt „DeLiCaTe“ sollen nun erstmals alle drei kaukasischen Schriftsprachen, die bisher meist nur einzeln untersucht wurden, zueinander in Beziehung gesetzt werden. „Wir möchten einen ganz neuen Blick auf die Entstehung und Verbreitung der Schriftlichkeit in dieser Region werfen. Dabei werden wir auch sehen, wie sich die Sprachen gegenseitig beeinflusst haben“, erklärt Sprachwissenschaftler Prof. Dr. Jost Gippert.
Das Projekt ist eng mit dem Exzellenzcluster „Understanding Written Artefacts“ verknüpft, und die Forschenden werden einen interdisziplinären Ansatz aus Paläographie, historischer Linguistik, Handschriftenkunde und Philologie nutzen, um etwa den Aufbau der Alphabete und die grammatikalischen Regeln der Sprachen genauer zu erschließen. „Wir möchten unsere Ergebnisse anschließend sowohl in einem Handbuch als auch in einer Online-Datenbank zur Verfügung stellen“, so Gippert. Er ist zurzeit Gastprofessor des Exzellenzclusters am „Centre for the Study of Manuscript Cultures“ und wird ab 2022 als Senior Professor an der Universität Hamburg tätig sein. Bis 2027 wird er vom European Research Council für sein Projekt, das im April 2022 startet, rund 2,5 Millionen Euro erhalten.