Forschende entwickeln digitales Angebot zur Steigerung der psychischen GesundheitApp für mehr Selbstvertrauen und Antrieb
31. August 2021, von Anna Priebe
Foto: COGITO
Ein niedrigschwelliges Angebot, um sich aktiv um seine psychische Gesundheit zu kümmern – das ist das Prinzip von „COGITO“. Dr. Lara Bücker (Arbeitsgruppe E-Mental-Health) und Prof. Dr. Steffen Moritz (Arbeitsgruppe Klinische Neuropsychologie) haben die App am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf entwickelt. Lara Bücker stellt das Konzept vor.
Sie haben mit Ihrem Team eine App entwickelt, die bei der Behandlung von psychischen Problemen helfen soll. Um welche Probleme geht es?
Das Basispaket der App adressiert depressive Symptome und beschäftigt sich vorrangig mit den Bereichen Stimmung und Selbstvertrauen. Es geht vor allem um Themen wie Selbstwert, Niedergeschlagenheit und Antriebslosigkeit. Zudem gibt es zwei optionale Komponenten: eine zum Thema Psychose und eine zum Thema Glücksspielsucht. Zukünftig sollen auch noch weitere Themen beziehungsweise Störungsbereiche bereitgestellt werden. Zum Beispiel planen wir gerade ein Angebot zu chronischen Schmerzen und eins zu Zwängen.
Wie sieht das Behandlungskonzept aus?
Es gibt täglich bis zu zwei Übungen, die helfen sollen, zu reflektieren und positive Akzente zu setzen, also bewusst am Selbstwertgefühl zu arbeiten oder sich vor Augen zu führen, was man am Tag Schönes erlebt hat. Die Aufgaben basieren dabei alle auf wissenschaftlich erprobten, evidenzbasierten Techniken aus der Psychotherapie, etwa aus der kognitiven Verhaltenstherapie. Viele Übungen sind allgemein gehalten, aber es gibt auch einige spezielle Inhalte entsprechend der individuell aktivierten Komponenten, etwa zum Umgang mit dem Spieldrang.
Man kann einstellen, dass die App zweimal am Tag Erinnerungen an die Übung als Push-Nachricht senden soll. Man muss also gar nicht selber daran denken. Sogar die Uhrzeit für die Erinnerung kann individuell eingestellt werden.
Es findet aber keine Diagnose statt, oder?
Nein, die App bietet keine Anamnese und auch keine Diagnostik, deshalb ist es auch kein Medizinprodukt, sondern eine Art Selbsthilfe. Die App kann gut in Kombination mit einer Psychotherapie oder Gruppenangeboten genutzt werden, aber natürlich auch losgelöst davon, etwa im Bereich Prävention. Sie ist eigentlich für alle Menschen geeignet, die das Gefühl haben, sie möchten ihre psychische Gesundheit stärken.
Wir weisen im App-Store auch explizit darauf hin, dass die Anwendung nicht für akute suizidale Probleme geeignet ist. In der App selber haben wir zudem einen Menüpunkt, unter dem wir Hilfenummern nennen, um Menschen in diesen Situationen Hilfe zukommen zu lassen.
Die App richtet sich vor allem auch an junge Menschen, zum Beispiel Studierende. Was sind die besonderen Herausforderungen bei der Behandlung dieser Personengruppe?
Es ist wichtig, auch in jüngeren Generationen das Bewusstsein für Psychotherapie zu stärken beziehungsweise dafür, dass man nicht nur bei körperlichen Erkrankungen aktiv werden sollte, sondern auch für seine Seele etwas tun muss.
Zumal die Zahlen der Betroffenen in den jüngeren Altersgruppen in den vergangenen Jahren immer weiter gestiegen sind. Auch Studierende haben depressive Symptome. Das Studium ist ein neuer Lebensabschnitt, man ist – oft zum ersten Mal – auf sich alleine gestellt, wird mit Ängsten und Unsicherheiten konfrontiert sowie mit Druck im Studium. Viele Betroffene können die Beschwerden nicht richtig einschätzen und da psychische Erkrankungen immer noch stigmatisiert sind, ist die Hürde, sich Hilfe zu suchen, oft groß.
Wir haben eine Studie mit 400 Studierenden durchgeführt, die unsere App nutzten. Die Erhebung lief während der ersten Corona-Welle und wir konnten nachweisen, dass die Nutzung der App hochwirksam ist in der Reduktion von depressiven Symptomen und auch in der Steigerung des Selbstwertgefühls.
Man ist als Nutzerin oder Nutzer aber nicht automatisch Teil einer Studie, oder?
Nein, wenn man die App runterlädt und auch während der Nutzung werden keine Daten erhoben. Wir wissen nichts über unsere Nutzerinnen und Nutzer, sondern sehen nur die gesamten Downloadzahlen. Für Studien werben wir separat außerhalb der App und machen eine Teilnahme nicht zur Nutzungsvoraussetzung.
Wie sind Sie auf die Idee für die App gekommen?
Wir beschäftigen uns in unserer Forschungsgruppe mit verschiedenen therapeutischen Konzepten und ihrer Wirkweise – und entwickeln selbst neue Ansätze für Gruppen- und Einzeltherapien. Wir wissen aus Studien, dass unsere Ansätze sehr wirksam sind, aber das Problem sind oft die Langzeiteffekte. In einer Therapie arbeitet man über einen bestimmten Zeitraum intensiv an seiner Psyche und lernt Techniken zum Umgang mit der Erkrankung. Die werden nach Ende der Therapie aber oft nicht mehr so konsequent angewendet. Wir wollten also im ersten Schritt ein Instrument für die Nachsorge entwickeln, mit der sich Interessierte weiter aktiv um ihre mentale Gesundheit kümmern können. Das Konzept funktioniert jetzt auch losgelöst von einer Behandlung. Der große Vorteil der App liegt dabei auf der Hand: Fast jede und jeder hat sein Handy immer dabei – das Angebot ist also sehr niederschwellig.
Die App war unter anderem auch Gegenstand Ihrer Promotion zum Thema „E-Mental-Health“. Was würden Sie sagen: Ist das Internet die Zukunft der Psychotherapie?
Es ist auf jeden Fall ein Teil der Zukunft – auch wenn die persönliche Psychotherapie so nicht ersetzt werden kann. Aber es wird immer mehr verknüpfte Angebote geben, bei denen Online-Konzepte zum Beispiel zur Überbrückung von Wartezeiten genutzt werden können oder auch für leichtere Erkrankungen. So wird es ja jetzt zum Teil schon gemacht, wobei man natürlich immer darauf achten muss, ob die Angebote für die jeweiligen psychischen Störungen und auch den Schweregrad geeignet sind.
Während der Corona-Pandemie hat virtuelle Psychotherapie auf jeden Fall einen großen Aufschwung erlebt und dabei ihre Wirksamkeit als Alternative, vor allem in Krisensituationen, unter Beweis gestellt. Ich finde es toll, dass die Entwicklung dieser Angebote und auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung damit zunimmt. Vor einigen Jahren war der ganze Bereich der Online-Therapien bei vielen noch verschrien, weil einige Therapeutinnen und Therapeuten fürchteten, ersetzt zu werden. Das hat sich geändert.
Die App COGITO
Die Smartphone-App COGITO stellt Selbsthilfe-Übungen für Menschen mit Depressionen, Psychose oder Glücksspielsucht zur Verfügung. Sie steht für die mobilen Betriebssysteme Android und iOS zur Verfügung. Mehr Informationen zur Funktionsweise und Links zu den jeweiligen App-Stores gibt es auf der Internetseite zur App.