Report über Wirtschaftsprüfungsunternehmen und deren Unternehmenskultur„Wer verkündet, auf ein Problem gestoßen zu sein, gilt schnell selbst als Problem“
10. August 2021, von Christina Krätzig

Foto: privat
Der hohe Druck, Aufträge schnell und reibungslos zu erledigen, hindert Wirtschaftsprüferinnen und -prüfer häufig, Auffälligkeiten in den Bilanzen zu prüfender Firmen nachzugehen. Dies zeigt Dr. Dr. Marco Meyer vor dem Hintergrund großer britischer Firmenpleiten in den vergangenen Jahren in einem aktuellen Report. Viele Erkenntnisse lassen sich auf Deutschland übertragen, sagt der Wissenschaftler mit Schwerpunkt Finanzethik von der Universität Hamburg.
Herr Meyer, wie ist es zu Ihrer Arbeit gekommen und welches Echo hat diese in Großbritannien hervorgerufen?
Das Land hat in den vergangenen Jahren eine Reihe spektakulärer Firmenpleiten erlebt, die eine Gemeinsamkeit hatten: Sie kamen scheinbar aus dem Nichts, betrafen vermeintlich gesunde Unternehmen wie beispielsweise Carillion, einen börsennotierten Konzern mit 46.000 Mitarbeitenden. Häufig musste man feststellen, dass Wirtschaftsprüfungsunternehmen ihren Job im Vorfeld nicht gut genug gemacht hatten: Sie fielen auf irreführende Informationen der betreffenden Firmen herein, wie übrigens auch beim Wirecard-Skandal in Deutschland.
Ich wollte wissen, wie es dazu kommen konnte und habe mich für meine Untersuchung mit einem britischen Thinktank zusammengetan, dem Institute for Public Policy Research. Der Report wurde bisher von mehreren großen Tageszeitungen und rund zwanzig Lokalzeitungen aufgegriffen.
Sie haben sich jedoch nicht mit den Bilanzen betroffener Firmen beschäftigt, sondern mit den Menschen in den Wirtschaftsprüfungsunternehmen. Warum?
Dies beruht auf persönlichen Erfahrungen. In den USA habe ich Wirtschaftsprüfungsunternehmen zu ethischer Unternehmenskultur beraten und dafür viele Interviews mit Führungskräften und Mitarbeitenden geführt. Aufgrund dessen habe ich die These entwickelt, dass die Unternehmenskultur in Wirtschaftsprüfungsunternehmen der kritischen Überprüfung ihrer Kunden nicht zuträglich ist. Oder anders ausgedrückt: Interne Faktoren führen dazu, dass ein Prüfer oder eine Prüferin genau hinschaut – oder eben nicht. Dies hat unsere Arbeit jetzt noch einmal bestätigt. Sie beruht auf Interviews mit Prüferinnen und Prüfern, einer systematischen Auswertung der bereits vorhandenen Forschung und meinen persönlichen Erfahrungen.
Welche internen Faktoren beeinflussen die Arbeit der Prüfenden?
Eine wichtige Voraussetzung wäre eine Kultur des Vertrauens: Eine Atmosphäre, in der mich mit meinen Kolleginnen oder Kollegen und meinen Vorgesetzten besprechen kann, wenn mir etwas aufgefallen ist. Doch die Unternehmenskultur in Wirtschaftsprüfungsunternehmen ist dem genau entgegengesetzt: Wer verkündet, auf ein Problem gestoßen zu sein, gilt schnell selbst als Problem. Dazu kommt, dass die Prüfenden dauerhaft überarbeitet sind. 80 Arbeitsstunden pro Woche sind eher die Regel als die Ausnahme. Viele sind permanent übermüdet und gestresst. In so einer Situation kann es verlockend sein, eine Unklarheit zu ignorieren statt ihr nachzugehen.
Eine britische Zeitung hat Ihr Paper unter dem Titel besprochen, es herrsche in den Wirtschaftsprüfungsunternehmen eine Kultur der Angst. Würden Sie dies bestätigen?
Das ist vielleicht etwas überspitzt, aber im Prinzip trifft es zu.
Lassen sich die Verhältnisse in Großbritannien mit denen in Deutschland vergleichen?
Ja, vieles ähnelt sich. Die Unternehmenskultur ist dieselbe, und auch die strukturellen Probleme sind gleich: Die zu überprüfenden Unternehmen beauftragen die Prüfenden und bezahlen sie auch. Allein das macht einen kritischen Abstand sehr schwierig. Außerdem verdienen Wirtschaftsprüfungsunternehmen mehr Geld mit der Beratung ihrer Kunden als mit deren Prüfung. Wenn man das weiß, kann man sich leicht vorstellen, dass die Prüferinnen und Prüfer die Kunden nicht verprellen sollen. Sowohl in Deutschland als auch in Großbritannien wird die Gesetzgebung in diesem Bereich übrigens derzeit überdacht. Ein zentraler Punkt dabei ist, dass die Wirtschaftsprüfungsunternehmen ihre Prüfungs- und Beratungstätigkeiten trennen sollen.
Ist das das Wichtigste, damit drohende Unternehmenskonkurse künftig früher erkannt werden?
Ich glaube, dass ein Kulturwandel in den Wirtschaftsprüfungsunternehmen noch wichtiger ist. Die Unternehmen müssen das Finden und Ansprechen von Problemen belohnen, statt kritische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit schiefen Blicken zu bedenken. Außerdem müssten die Prüferinnen und Prüfern ein Verständnis für die gesellschaftliche Verantwortung entwickeln, die sie tragen. Sie addieren nicht nur Zahlenkolonnen. Wenn ihnen etwas entgeht, droht der Verlust von Arbeitsplätzen, Anlegerkapital oder Pensionsgeldern. Sie brauchen hier auch ein klareres Mandat von der Öffentlichkeit.
Eine letzte Frage noch zu Ihrer Person: Sie halten einen Doktortitel in Philosophie und einen in Wirtschaftswissenschaften. Warum haben Sie sich für diese ungewöhnliche Kombination entschieden?
Meine grundlegende Forschungsinteresse dreht sich um die Frage, wie heutige Institutionen gerechter werden können. Philosophen beschäftigen sich ja bereits seit der Antike mit der Frage, was Gerechtigkeit ist. In den Wirtschaftswissenschaften geht es darum, wie die Wirtschaft funktioniert. Dazwischen klafft eine Lücke. Denn wer fragt, wie eine gerechte Wirtschaft aussehen sollte? Wer denkt darüber nach, wer Kredite bekommen sollte? Oder wie viel Steuern wir zahlen sollten – und nicht, wer aus einer rein wirtschaftlichen Sicht kreditwürdig ist oder wie hohe Einnahmen ein Staat eben braucht? Das sind Fragen, die mich beschäftigen. Und dazu gehört auch die Frage, welche Voraussetzungen Akteurinnen und Akteure im Wirtschaftswesen brauchen, um das Gute und Richtige zu tun.