Forschung in Lokstedt für einen Alltag ohne eigenen PkwWas kann Menschen dazu bringen, ihr Auto abzuschaffen?
5. August 2021, von Anna Priebe
Foto: pixabay/Picsues
Die Verkehrswende ist ein wichtiger Aspekt im Kampf gegen den Klimawandel. Ein Team der Universität Hamburg untersucht, wie ein autofreier Alltag gelingen könnte. Projektleiterin Prof. Dr. Katharina Manderscheid stellt das aktuelle Forschungsprojekt und die Teilnahmemöglichkeiten vor.
Verkehr und Mobilität sind in Deutschland sehr emotionale Themen. Wie erforscht man sie?
Wie emotional das Thema ist, haben wir erst vor kurzem in Lokstedt bei einem Mobilitätstag gemerkt, bei dem wir auf der Straße mit den Bewohnerinnen und Bewohnern ins Gespräch gekommen sind. Der Vorschlag, einige Straßen vorübergehend für andere Nutzungen zu sperren, lässt für manche fast die Welt zusammenbrechen. Diese Emotionen wären eigentlich ein eigenes Forschungsthema. Für unsere Projekte wenden wir uns aber nicht primär an diese überzeugten Autonutzerinnen und -nutzer, die sind ja auch nur schwer für Alternativen erreichbar. Wir interessieren uns eher für diejenigen, die sowieso überlegen, ob es auch ohne Auto gehen könnte.
Aktuell läuft dazu ein sogenanntes Reallabor-Experiment in Hamburg-Lokstedt. Was machen Sie da?
Wir begleiten Haushalte, die sich freiwillig bereiterklären, für insgesamt drei Monate auf ihr Auto zu verzichten. Stattdessen erhalten sie von uns verschiedene andere Mobilitätsoptionen. Wir kooperieren mit Carsharing- und E-Scooter-Anbietern sowie mit dem Hamburger Verkehrsverbund, der uns Monatstickets zur Verfügung stellt. Auch eine Nutzung von Fahrraddiensten wie dem StadtRAD ist möglich. Wir führen während des Versuchs regelmäßig Gespräche mit den einzelnen Haushalten und schauen, welche Alternativen für Wege gefunden werden, die früher mit dem Auto gemacht wurden.
Das Experiment ist Teil eines großen Verbundprojektes unter Leitung von Prof. Dr. Anita Engels, in dem wir uns fragen, wie der Stadtteil Lokstedt klimafreundlich werden kann. Da gibt es ganz viele verschiedene Ansätze und Aktivitäten vor Ort – und unser Bereich ist eben Mobilität und Verkehr. In der ersten Phase des Projekts ist nämlich immer wieder das schwierige Verhältnis zwischen Verkehr und öffentlichem Raum deutlich geworden. Wie werden Flächen genutzt – für die Freizeit oder als Parkplatz? Sollte der Autoverkehr auf den Straßen Vorrang haben? Diese Fragen beschäftigen die Bewohnerinnen und Bewohner und sie werden – übrigens auch in anderen Stadtteilen Hamburgs – als Problem wahrgenommen.
Was wollen Sie herausfinden?
Im Fokus des Teilprojektes steht schon auch der Transformationsaspekt, also die Frage: Wie kann es gelingen, Menschen dazu zu bringen, ihr Auto abzuschaffen? Grundsätzlich wollen wir unsere Erkenntnisse aus Lokstedt dann auch in die Diskussion zu Verkehrsmaßnahmen einbringen – im Rahmen unserer Möglichkeiten. Oft sind das ja politische Entscheidungen, für die wir lediglich Empfehlungen aussprechen können. Aber unsere Partner, der HVV zum Beispiel, sind da sehr interessiert.
Der Vorsatz, ohne Auto zu leben, scheitert oft an individuellen Alltagssituationen.
Wir gehen jetzt aber erstmal einen Schritt zurück und fragen: Warum ist es so schwierig für die Haushalte, die Auto-Wege anders zu organisieren? Was sind typische Probleme? In der öffentlichen Diskussion steht beim Thema Verkehr oft eine eher technische Perspektive im Fokus, es geht um neue Verkehrsangebote oder andere Antriebstechnologien. In den Gesprächen mit den teilnehmenden Haushalten zeigen sich hingegen Alltagslogiken, die sehr komplex sind und über technische Fragen hinausgehen.
Was heißt das konkret?
Momentan ist da etwa die Coronapandemie, durch die das Auto wieder eine neue Bedeutung bekommen hat. Viele Wege, die man vorher bereits mit dem öffentlichen Nahverkehr zurückgelegt hat, werden jetzt wieder mit dem eigenen Auto gemacht. Ein weiterer Knackpunkt sind tatsächlich Kinder. Wenn nicht nur der Nachwuchs, sondern auch noch andere Dinge transportiert werden müssen, braucht man im Grunde zwei Personen mit Lastenrad und Kinderanhänger. Häufig werden auch Wege ins Umland genannt, zum Beispiel, weil die Schwiegereltern pflegebedürftig sind oder die Großeltern auf die Kinder aufpassen sollen. Wenn diese Gegenden dann nicht gut angebunden sind, wird es schwierig. Aber es gibt dann auch die individuellen Fälle, etwa den Musiker, der regelmäßig sein Schlagzeug transportieren muss. Diese Aspekte geraten in der Diskussion um technologische Lösungen im Verkehr leicht aus dem Blick, aber genau an diesen Alltagssituationen scheitert oft der Vorsatz, ohne Auto zu leben.
Das macht die Ansprache sicher schwierig.
Genau. Zudem ist eine unserer Grundannahmen, dass allein für den Klimaschutz die wenigsten Leute ihr Verhalten ändern. Es bedarf immer noch eines zusätzlichen Nutzens, eines Gewinns oder Interesses – und der hängt von der Situation ab.
Man könnte ja annehmen, dass diejenigen, die ohne Auto leben wollen, eine homogene Gruppe bilden, aber das ist nicht so. Es gibt die sehr rationalen, die sich bewusst gegen das Auto entschieden haben und direkt alle Alternativen eruiert haben. Andere sind unfreiwillig in der Situation ohne Auto, weil sie den Job verloren haben und damit der Dienstwagen weg war. Wieder andere entscheiden sich für das Fahrrad als Mittel, um Gewicht zu verlieren. Die einzelnen Typen stehen dabei dann auch für verschiedene Bevölkerungsgruppen, die ganz unterschiedlich ansprechbar sind.
Daher ist ein Aspekt unserer Forschung, dass wir die Leute fragen, was sie in diesen drei Monaten selbst rausfinden wollen. Kommt der Wind in Hamburg tatsächlich immer von vorne? Wie oft regnet es? Welche neuen Orte lerne ich kennen? Wann vermisse ich mein Auto? Wie viele Schritte lege ich am Tag zurück? Die Interessen sind da sehr unterschiedlich und das kann man später für Strategien nutzen.
Wie kann man solche Laborbedingungen in die Realität für alle übertragen, zum Beispiel in Bezug auf die Kosten?
Wir haben die Kosten, die monatlich für ein Auto ausgegeben werden, aufgeschlüsselt. Die wenigsten machen sich ja klar, dass es da nicht nur um Benzin geht, sondern auch um Versicherung, Reparatur, Steuer und natürlich Anschaffungskosten. Bei einem Zwei-Personen-Haushalt sind das knapp 280 Euro pro Monat, bei einer vierköpfigen Familie sind es schon fast 500 Euro. Das sind Durchschnittszahlen, aber wir beziehen das insofern mit ein, dass wir uns bei dem, was wir zur Verfügung stellen, an diesen Beträgen orientieren und nicht Sachen anbieten, die in keinem Verhältnis stehen würden. Am Schluss werden wir mit den Leuten auch darüber diskutieren und die Zahlen gegenüberstellen.
Sind ähnliche Ansätze auch für anders strukturierte Stadtteile als Lokstedt denkbar?
Unsere Ergebnisse werden sicherlich auch für Stadtteile anwendbar sein, die ähnlich strukturiert sind wie Lokstedt, also schon gut angebunden, aber nicht ganz innerstädtisch. Das StadtRAD ist hier zum Beispiel deutlich dünner gesät und auch die Carsharing- und E-Scooter-Anbieter haben nur wenige Stationen. Ein Stadtteil, der noch weiter am Rand liegt, hat da noch einmal ganz andere Herausforderungen. Das müsste man sich separat anschauen.
Teilnahme am Reallabor
Für das Projekt werden noch weitere Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus dem Stadtteil Lokstedt gesucht. Interessierte Haushalte können für bis zu drei Monate kostenfrei verschiedene Verkehrsangebote nutzen und verzichten im Gegenzug auf die Nutzung ihres Autos. Die alternativen Nutzungen sollen dokumentiert werden; zudem werden die Erfahrungen mehrmals mit dem Forschungsteam diskutiert. Eine Nachbewerbung ist noch bis zum 18. August 2021 per Mail(fabian.zimmer"AT"uni-hamburg.de) möglich. Das Experiment startet dann Anfang September. Voraussetzung ist ein Wohnsitz in Lokstedt. Alle Informationen zur Bewerbung sowie das Formular gibt es online.
Forschungsprojekt „Klimafreundliches Lokstedt“
Das aktuelle Experiment ist Teil des Projekts „Klimafreundliches Lokstedt“ – ein Verbundprojekt der Universität Hamburg, des Bezirksamts Eimsbüttel, des Bürgerhauses Lokstedt e. V. mit der Zukunftswerkstatt Lokstedt. Gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern des Hamburger Stadtteils werden Ansätze entwickelt und erprobt, um Klimaschutz und Lebensqualität vor Ort zu verbinden, nachhaltige Mobilitätsformen zu fördern und neue Beteiligungsmöglichkeiten für die Stadtplanung zu entwickeln. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert und umfasst zwei Teilprojekte: „Stadtteil-Klimaarbeit im öffentlichen Raum“ und „Autofreie Mobilität“. Mehr Informationen gibt es auf der Internetseite des Projekts.