Zunahme von Angst- und Zwangsstörungen durch Corona – Neue Hilfsangebote an der Hochschulambulanz
16. Juli 2021, von Anna Priebe
Foto: pexels/subiyanto
Die Umstände durch das Coronavirus sind für alle eine Belastung. Doch zunehmend mehr Menschen entwickeln durch die Pandemie Angst- und Zwangsstörungen. Neue Behandlungsschwerpunkte an der universitären Hochschulambulanz sollen helfen. Wie das Angebot aussieht, erläutert Prof. Dr. Anja Riesel, Leiterin des Arbeitsbereichs „Klinische Psychologie und Psychotherapie, Schwerpunkt Klinische Neurowissenschaft“.
Die Corona-Pandemie dauert inzwischen mehr als ein Jahr. Wie wirkt sich das auf Angst- und Zwangserkrankungen aus?
Die Pandemie stellt für uns alle eine andauernde und große Belastung dar, die nicht nur die körperliche, sondern auch die psychische bzw. seelische Gesundheit ernsthaft bedroht. Inzwischen deutet eine wachsende Zahl von Berichten darauf hin, dass sie zu einem erhöhten Maß an psychischen Störungen und Stress geführt hat.
So häufen sich auch Angst- und Zwangsstörungen – und in Bezug auf letztere zeigt sich vor allem bei Kontaminations- und Waschzwängen eine Verschlechterung. Diese Entwicklung ist nicht überraschend, denn fast jede und jeder von uns hat sich aus Angst vor Ansteckung häufiger die Hände gewaschen und vermehrt desinfiziert. Für einige führen die neu entstandenen Symptome oder die Verschlechterung schon vorher bestehender Symptome jedoch zu einer sehr starken Beeinträchtigung in ihrem Leben. In diesen Fällen ist es empfehlenswert, sich professionelle Hilfe zu suchen und sich beraten zu lassen.
Das ist aber momentan gar nicht so einfach, oder?
Allgemein ist die Nachfrage nach Psychotherapieplätzen während der Pandemie stark gestiegen und viele Praxen sind stark ausgelastet. Daher bietet der neue Schwerpunkt für Zwangsstörungen unserer Hochschulambulanz eine wichtige Alternative. Da wir gerade erst unser Therapieangebot erweitert und neue Therapieplätze geschaffen haben, sind aktuell noch Kapazitäten vorhanden und wir stehen Betroffenen gerne für Rückfragen zur Verfügung.
Der Behandlungsschwerpunkt für Zwangsstörungen wurde vor knapp einem Monat eröffnet. Wie haben Sie die ersten Wochen erlebt?
Der Aufbau eines neuen Schwerpunktes in der psychotherapeutischen Hochschulambulanz während der Pandemie war und ist natürlich herausfordernd. Zunächst stand vor allem die Anpassung der Arbeit an die Pandemiebedingungen im Vordergrund. Wir profitieren dabei sehr davon, eine Erweiterung der bestehenden Hochschulambulanz zu sein, die seit Jahren Patientinnen und Patienten berät und behandelt.
Wir bieten ambulante Psychotherapien an, die am aktuellen Stand der Forschung ausgerichtet sind und mit der Krankenkasse abgerechnet werden. Nach dem Start des neuen Schwerpunktes zu Zwangsstörungen, nehmen wir nun den Themenbereich Angststörungen fest in den Blick und werden diesen sukzessive ausbauen, sodass wir auch für diese Patientinnen und Patienten bald hochwertige Psychotherapien anbieten können.
Teil der Ambulanz ist auch die Durchführung von Studien zu Angst- und Zwangsstörungen. Was steht bei der Arbeit im Fokus?
In unseren Studien geht es vor allem darum herauszufinden, für wen es besonders wahrscheinlich ist, eine Angst- oder Zwangsstörung zu entwickeln. Mit non-invasiven und schmerzfreien Methoden messen wir die natürlich auftretende elektrische Aktivität des Gehirns (EEG), während die Teilnehmenden einfache Aufgaben bearbeiten.
Auf diese Weise konnten wir schon zeigen, dass Menschen, die besonders sensibel auf falsch ausgeführte Handlungen reagieren und diese als besonders bedrohlich wahrnehmen, auch ein höheres Risiko haben, Angst - und Zwangsstörungen zu entwickeln. Sie schätzen Situationen schneller als risikohaft ein und vermeiden diese. Zudem tendieren sie dazu, ihr Verhalten wiederholt zu überprüfen und reagieren ängstlicher.
Was nützt diese Forschung dem einzelnen Patienten bzw. der einzelnen Patientin?
Unser Ziel ist es, die Behandlung und Prävention von Angst- und Zwangsstörungen zu verbessern. Mithilfe neurobiologischer Marker erhoffen wir uns auch, gezielt bestimmen zu können, wie eine Person auf eine Psychotherapie anspricht und welche Behandlung am besten geeignet ist. Die Befunde unserer Studien bieten daher eine wichtige Grundlage für die Entwicklung und Anpassung therapeutischer Ansätze und Präventionsmaßnahmen. Für die Teilnehmenden selbst ergeben sich interessante Einblicke in die eigene Hirnaktivität, aber auch in die aktuelle neurowissenschaftliche Forschung, die sie durch ihre Teilnahme aktiv unterstützen.
Die Psychotherapeutische Hochschulambulanz der Universität Hamburg
Die Psychotherapeutische Hochschulambulanz der Universität Hamburg besteht seit 1999 und umfasst neben dem Behandlungsschwerpunkt „Zwangsstörungen“ auch die Bereiche „Essstörung“ und „Psychose“. Der Schwerpunkt zu „Angststörungen“ startet in Kürze. Über die Webseite der Hochschulambulanz können Interessierte Kontakt aufnehmen und Fragen zu Behandlungsmöglichkeiten stellen. Angstpatientinnen und -patienten, die Interesse haben, an den erwähnten Studien teilzunehmen, können sich ebenfalls auf der entsprechenden Webseite informieren.