Mathematisch berechnet: Optimale Sitzpläne während CoronaForschung für möglichst viele Fußballfans im Stadion
11. Juni 2021, von Anna Priebe
Wie kann man trotz Abstandsregeln Sitzplätze im Fußballstadion optimal nutzen? Forschende des Instituts für Verkehrswirtschaft haben dazu ein Rechenmodell entwickelt, das mit einem Profiverein erprobt wurde. Dr. Matthes Koch erklärt die Mathematik, die für die heute beginnende Europameisterschaft leider zu spät kommt.
Stadionbesuche vertragen sich in der Regel nicht mit Abstandsregeln. Wie kann die Mathematik bei diesem Problem helfen?
Rund um den Stadionbesuch gibt es verschiedene Aspekte, die durch die Pandemie neu organisiert werden müssen, zum Beispiel die An- und Abreise oder die Ticketkontrollen. Wir haben uns speziell mit der Sitzplanung beschäftigt und uns gefragt: Wie können wir möglichst viele Besucherinnen und Besucher so im Stadion verteilen, dass trotzdem noch alle Abstandsregeln eingehalten werden?
Wie gehen Sie dafür vor?
Zuerst erstellen wir ein Raster des Stadions, das wir dafür in Blöcke einteilen. Dann wird für jeden Block berechnet, wie viele Menschen hier platziert werden können.
Dafür nutzen wir ein Rechenmodell, das wir entwickelt haben und das ganz verschiedene Parameter umfasst. Berücksichtigt werden zum Beispiel die geltenden Abstandregeln, die wir im Sitzplan in einzuhaltende seitliche und frontale freie Plätze zwischen Besuchergruppen übersetzen. Man kann auch vorgeben, ob Plätze am Gang belegt werden sollen. So können wir flexibel auf neue Regeln reagieren und die Szenarien entsprechend anpassen. Bei der Einteilung der Blöcke berücksichtigen wir zudem, dass sie nicht durch Treppen getrennt werden dürfen, damit sich einzelne Gruppen beim Betreten und Verlassen des Bereichs nicht kreuzen.
Für die Ausführung nutzen wir kommerzielle Algorithmen oder Programme, die mathematische Planungsmodelle sehr effizient lösen. Das ist eine Technologie, die wir in unserem Wissenschaftsbereich sehr häufig verwenden, etwa für unsere Forschung zur Koordination von Menschenströmen am Pilgerort Mekka. Im Fall des Stadionproblems kann man einen Block in ein bis zwei Minuten berechnen.
Was sind die größten Herausforderungen dabei?
Am aufwändigsten ist die Digitalisierung der Stadionpläne. Die bekommen wir zum Beispiel als PDF-Datei und müssen sie dann in eine Form umwandeln, in der wir sie als Input für unsere Berechnungen nutzen können. Im Moment machen wir das in Excel, das heißt, wir bauen den Stadionplan händisch mit Spalten und Zeilen, die die Sitze symbolisieren. Auch die Abstände werden in Sitzeinheiten definiert, denn die sind ja fest verbaut und können nicht geändert werden.
Und am Ende steht dann ein genauer Sitzplan für die Verantwortlichen?
Genau. Aber die finale Entscheidung zur Besetzung liegt natürlich nicht bei uns, denn da spielen ja auch Aspekte wie die Sicherheit oder das Ticketing eine Rolle. Kann das Ticketsystem diesen veränderten Plan abbilden? Und wie wirken sich andere Vorgaben aus? Zum Beispiel müssen mitunter am Einlass negative Coronatests nachgewiesen werden, wodurch sich schnell Warteschlangen bilden. Da kann es sein, dass man sich doch für weniger Publikum entscheidet als laut Berechnung möglich wäre.
Was ist das besondere an Ihrem Modell?
Unsere Berechnungen sind näher am Fan als die Pauschalvorgaben
In der Regel gibt es pauschale Vorgaben zur Auslastung von Stadien, das heißt, es dürfen zum Beispiel 20 oder 30 Prozent der möglichen Zuschauer kommen. In unserem Ansatz können wir nun überprüfen, ob die Sitzpläne bei Einhaltung aller Abstandsregeln sogar mehr Zuschauer erlauben würden. Und wir berücksichtigen unterschiedliche Gruppengrößen, denn man geht ja in der Regel nicht alleine ins Stadion, sondern mit der Familie oder Freunden.
Wie sieht das konkret aus?
Unser Modell berücksichtigt zum Beispiel, dass Mitglieder eines Haushalts entsprechend der Regeln zusammensitzen dürfen und auch verschiedene Haushalte zum Teil wieder möglich sind. Größere Gruppen benötigen insgesamt auch weniger Puffer, weil zwischen den einzelnen Mitgliedern keine Plätze frei bleiben müssen. Um den Platz besser zu nutzen, macht es daher Sinn, unterschiedlich große Gruppen in einem Block zu mixen, wenn zwischen den Gruppen dabei die Abstände eingehalten werden. Das bietet mehr Möglichkeiten, als jede und jeden einzeln zu setzen und das hat unsere Rechnung einer einfachen Pauschallösung voraus.
Im Grunde ist die Berechnung auch nachfrageorientierter, denn man ist näher am Fan, wenn man gemeinsame Stadionbesuche im Rahmen der Regeln ermöglicht. Wenn man das per Hand machen würde, wäre das ein riesiges Puzzle, das für die Mitarbeitenden des Stadions zeitlich kaum zu bewältigen wäre.
Sie haben Ihre Berechnungen auch schon in der Praxis erprobt. Wie sah das aus?
Mein Team und ich beschäftigen uns schwerpunkmäßig mit dem sogenannten Crowd Management, also der Organisation großer Menschenmassen. Dafür haben wir für einzelne Projekte mit dem VfL Osnabrück kooperiert und zum Beispiel eine Fußgängerfluss-Simulation vorbereitet, weil es umfangreiche Digitalisierungspläne für die Organisation der Spieltage gibt.
Die Idee, optimale Sitzpläne zu errechnen, habe ich in einem Podcast aufgeschnappt. Daraufhin haben wir uns an die Modelle gesetzt und die Lösung dann den Verantwortlichen beim VfL gezeigt. Die haben die Unterstützung sehr gerne angenommen und unsere Berechnungen für die Genehmigung beim Gesundheitsamt eingereicht. Für den Verein ging es Ende Mai um den Verbleib in der 2. Liga und da wollten sie natürlich möglichst viele Fans als Unterstützung dabeihaben. Leider hat es nicht für den Klassenerhalt gereicht, aber es konnte wieder Publikum ins Stadion.
Ist die Lösung auf jedes Stadion und auch auf andere Sportarten anwendbar? Was ist konkret geplant?
Die Rechnung kann man für jedes Stadion anwenden, aber das ist ja eine universelle Problemstellung für alle Veranstaltungen mit Publikum. Diese Lösungen gelten daher auch im Theater, in der Oper oder für andere Sportarten.
Wir sind weiter mit dem VfL im Gespräch und haben auch schon Kontakt zu anderen Vereinen geknüpft. Wir sind aber offen für alle möglichen Crowd-Management-Fragen, die wir mit unseren Methoden vielleicht gut lösen können.
Heute startet die Fußball-EM. Andere tippen die Ergebnisse. Sitzen Sie vor dem Fernseher und berechnen, ob die Stadien sinnvoll ausgelastet sind?
Natürlich kann ich auch das Spiel genießen. Aber man schaut schon auch mit einem Auge ins Publikum, was sich die Stadionmanager da Kreatives überlegt haben. Für mich ist es besonders interessant, ob Gruppen erlaubt sind und wenn ja, in welchen Größen.
Forschung zur Planung von Stadion-Sitzplänen
Dr. Matthes Koch, Dr. Justus Bonz und Tobias Vlcek vom Institut für Verkehrswirtschaft haben eine mathematische Lösung für die Planung von Stadion-Sitzplänen unter Beachtung von COVID-19-Abstandsregeln (PDF) entwickelt. Das Team hat für den VfL Osnabrück eine Modellrechnung für das Relegationsspiel am 30. Mai 2021 vorbereitet und war auch vor Ort, um sich das Stadion und das Ergebnis anzusehen. Der Verein hat die Modellrechnungen auch genutzt, um vom Gesundheitsamt und der Bürgermeisterin die Genehmigung für die Öffnung des Stadions mit relativ vielen Zuschauerinnen und Zuschauern zu bekommen.