Mit Flugzeugen, Satelliten und selbstgebauten MesssystemenGewittern auf der Spur
19. Mai 2021, von Stephanie Janssen
Foto: UHH/B.Kirsch
Wie entstehen Gewitter? Wieso schüttet es an einem Ort, ein Dorf weiter aber nicht? Und wie können solche lokalen Phänomene besser vorhergesagt werden? Mit einer großangelegten Messkampagne wollen rund ein Dutzend Forschungseinrichtungen Antworten auf diese Fragen finden. Koordiniert wird die Kampagne an der Universität Hamburg.
Es ist ein bekanntes Phänomen: Das Wetter ist warm und schön, doch plötzlich kommt ein Gewitter auf. Die Luft kühlt sich deutlich ab, es treten starke Windböen auf und es fällt kräftiger Niederschlag. Aber fünf Kilometer weiter regnet es keinen Tropfen, und schon nach wenigen Minuten ist das Spektakel wieder vorbei. Das herkömmliche Netz von Wettermessstationen im Abstand von 25 Kilometern ist nicht geeignet, um die Struktur und Entwicklung solcher räumlich begrenzten Wetterphänomene zu erfassen. Das soll eine Messkampagne in Brandenburg nun ändern. Beim Projekt FESSTVaL, das rund um das Meteorologische Observatorium Lindenberg im Landkreis Oder-Spree startet, werden kleinräumige Wetterphänomene aufgespürt.
„Einzigartig ist der Einsatz unserer 100 selbst entwickelten und selbst gebauten Messstationen“, sagt Dr. Sarah Wiesner, die das Projekt am Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN) der Universität Hamburg koordiniert. „Diese Stationen stehen mit Abständen von 100 Metern bis zu wenigen Kilometern eng beieinander und messen Lufttemperatur und Luftdruck nah am Boden.“
Die gewonnenen Messdaten sollen die Darstellung kleinräumiger Prozesse in den Modellen der Wettervorhersage verbessern. Gleichzeitig werden neue Messstrategien getestet. Wie nah müssen zum Beispiel die Messgeräte beieinanderstehen, um die Prozesse optimal zu erfassen? Erkenntnisse aus Modellsimulationen werden mittels der gesammelten Daten überprüft. Das Hauptinteresse gilt dabei den Strukturen der bodennahen Schicht der Atmosphäre, das ist die atmosphärische Grenzschicht in ein bis zwei Kilometern Höhe, sowie den Cold Pools, das sind Kaltluftzonen bei Gewittern, und den Windböen.
Ergänzt werden die Messungen mit Daten von 20 automatischen Wetterstationen und 100 Messstationen für Feuchte und Temperatur im Boden. Dazu kommt der intensive Einsatz von Fernerkundungstechnik wie Radar oder Laser am Observatorium Lindenberg und an zwei weiteren Standorten. Insgesamt stehen zwölf Systeme für fortwährende Messungen des Windprofils und sieben Messinstrumente für die permanente Erfassung von Temperatur und Luftfeuchte bis in mehrere Kilometer Höhe zur Verfügung. Radarsysteme vermessen dazu die Wolken und den Niederschlag.
Zur Hauptphase im Juni sind unbemannte ferngesteuerte Messflugzeuge und viele zusätzliche Wetterballone im Einsatz, um die vertikale und horizontale Struktur der Atmosphäre noch genauer zu erfassen. Ergänzt werden die Messungen durch hochauflösende Modellsimulationen mit dem Wettervorhersage-Modell ICON für die Region rund um Lindenberg.
Kann ein Bürgermessnetz ebenfalls nützliche Daten liefern? Um Ergebnisse der sogenannten Citizen Science auszuwerten, werden zahlreiche Wetterstationen, sogenannte MESSIs (Mein Eigenes SubSkalen-Instrument) an Bürgerinnen und Bürger verteilt und von diesen selbst zusammengebaut und aufgestellt. Zusätzlich wird untersucht, ob Teilnehmende durch die Beschäftigung mit den MESSIs die Themen Wetter und Wettervorhersage besser verstehen.
Deutschlandweit vernetzt
FESSTVaL steht für „Field Experiment on Submesoscale Spatio-Temporal Variability in Lindenberg“: Feldexperiment zur räumlich-zeitlichen Variabilität unterhalb der Mesoskala in Lindenberg. Die Kampagne wurde vom Hans-Ertel-Zentrum für Wetterforschung (HErZ) initiiert.
An FESSTVaL sind rund zwei Dutzend Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beteiligt. Koordiniert wird die Kampagne an der Universität Hamburg. Beteiligt sind der Deutsche Wetterdienst (DWD) und Max-Planck-Institut für Meteorologie (MPI-M) in Hamburg, das MPI für Bildungsforschung (MPI-B), die Universitäten Berlin (FU), Bonn, Frankfurt am Main, Universität Hamburg und Köln. Zusätzlich ergänzen externe Partner das Experiment mit eigenen Messungen, wie die Universitäten Wageningen und die Technische Universität Hamburg (TUHH), während der Kernphase im Juni 2021 auch die Universität Tübingen, das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Außerdem sollen Messsysteme aus Finnland, Kanada und den USA zum Einsatz kommen.