Untersuchung zur Biodiversität in Nord- und OstseeWie Sammlungen helfen, Entwicklungen von Tierarten zu rekonstruieren
21. April 2021, von Niklas Keller
Foto: UHH/Mentz
Welche Arten kommen wo vor? Und wie viele Exemplare gibt es? Ein Forschungsteam hat untersucht, inwiefern sich Sammlungen für die Rekonstruktion von Artbeständen eignen. An der Untersuchung, die in der „Royal Society Open Science“ publiziert wurde, waren auch zwei Forscher des Centrums für Naturkunde (CeNak) beteiligt.
Die Häufigkeit von Tierarten in Berichten und die Häufigkeit von Sammlungsaufzeichnungen stehen mit einander in Bezug. Sammlungen können demnach verwendet werden, um Veränderungen der Fauna im Laufe der Zeit zu rekonstruieren. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung, die in der Royal Society Open Science veröffentlicht wurde. Es bestätigt die Bedeutsamkeit von naturwissenschaftlichen Sammlungen: Zum einen ermöglichen sie es Forschenden, zu identifizieren, wann sich Merkmale und Ausbreitungsgebiete von Tieren verändert haben. Zum anderen können sie verwendet werden, um Informationen über die Häufigkeit des Vorkommens bestimmter Arten zu erhalten.
Mehr als 17.000 Aufzeichnungen von 242 Tierarten der vergangenen 200 Jahre flossen in die Untersuchung ein, bei der vor allem die Dichte und das Auftreten von wirbellosen Tierarten – also Krebstieren, Stachelhäutern und Weichtieren – im Fokus stand. Ein Forschungsteam unter Leitung von Dr. Christine Ewers-Saucedo von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel verglich die Sammlungsbestände mit veröffentlichten Berichten zu bedrohten und nicht heimischen Tierarten. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des NORe-Verbundes, in dem Naturkundemuseen und Sammlungen aus der Nord- und Ostseeregion zusammengeschlossen sind, wollten so herausfinden, wie zuverlässig naturwissenschaftliche Sammlungen für die Erforschung von Artveränderungen sein können.
508 Datensätze des Centrums für Naturkunde
Auf Seiten der Universität Hamburg waren Prof. Dr. Bernhard Hausdorf und Dr. Martin Husemann vom Centrum für Naturkunde an der Publikation beteiligt. Für die Fallstudie war die Hamburger Sammlung von großem Wert: „Von den insgesamt 17.000 Datensätzen der 13 Einrichtungen hat das CeNak 508 mit in die Studie eingebracht. Diese decken einen großen Teil des Untersuchungszeitraumes ab“, so Bernhard Hausdorf. Er ist verantwortlich für die Sammlung der Weichtiere, die rund 10.000 Arten umfasst. „Unter anderem halfen unsere Daten dabei, die Zeit von 1912 bis in die 70er Jahre zu überbrücken. So war es möglich die Sammlungen zweier anderer Museen zu ergänzen, die aus dieser Zeit nur wenige Nachweise besaßen.“ Die Kombination kleinerer und größerer Sammlungen führt dazu, dass Lücken in den Beständen geschlossen werden und somit ein größerer Zeitraum begutachtet werden kann.
Unter anderem konnte mithilfe der Sammlungen der Rückgang von 51 wirbellosen Tierarten in Nord- und Ostsee beobachtet werden. Außerdem identifizierte das Forschungsteam acht Arteneinschleppungen und zehn Ausdehnungen des Verbreitungsgebietes der untersuchten Tierarten.
Die Digitalisierung macht Sammlungen noch wertvoller
Mit rund zehn Millionen Sammlungsobjekten gehört die naturkundliche Sammlung der Universität Hamburg zu den größten in Deutschland und wird in zahlreichen Forschungsprojekten genutzt. „Der Wert von Sammlungen wird durch die zunehmende Digitalisierung sogar noch größer, da hierdurch statistische Auswertungen erst möglich werden“, sagt Martin Husemann, der für die Vertretung der Universität im NORe-Verbund verantwortlich ist.
Unterstützt wurde das Projekt „MARSAMM“, aus dem die Studie hervorgegangen ist, vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen der Initiative „Vernetzen – Erschließen – Erforschen. Allianz für universitäre Sammlungen“. Die Datengrundlage der Publikation soll einen Beitrag zur Entwicklung von Maßnahmen zum Schutz der Meere liefern.
NORe-Projekt „ProInsekt“ startet im kommenden Jahr
Und auch für an Land lebende Tiere sollen die Sammlungen verwendet werden: Für das 2022 startende Projekt „ProInsekt“ des NORe-Verbunds hat das Centrum für Naturkunde die Federführung übernommen. Geplant ist eine Wanderausstellung, die zu Beginn in acht norddeutschen Museen Halt macht. Anschließend wird sie in weiteren Museen in Deutschland zu sehen sein. „ProInsekt“ soll das Interesse für Insekten wecken und auf die Gefährdung sowie die dafür verantwortlichen Faktoren aufmerksam machen. Unter anderem sollen Lösungsvorschläge vorgestellt und das Engagement angeregt werden. „Zukünftig könnte man auf Basis der Sammlungsbestände dann auch die Entwicklung von Insekten, aber auch von Kleinsäugern und Spinnentieren rekonstruieren“, erklärt Husemann.
Originalpublikation
Christine Ewers-Saucedo, Andreas Allspach, Christina Barilaro, Andreas Bick, Angelika Brandt, Dieter Fiege, Susanne Füting, Bernhard Hausdorf, Sarah Hayer, Martin Husemann, Ulrich Joger, Claudia Kamcke, Mathias Küster, Volker Lohrmann, Ines Martin, Peter Michalik, Götz-Bodo Reinicke, Martin Schwentner, Michael Stiller, Dirk Brandis (2021): Natural history collections recapitulate 200 years of faunal change. Veröffentlicht in Royal Society Open Science. http://doi.org/10.1098/rsos.201983