Neue Heisenberg-Professur am Fachbereich Biologie„Warum können wir nicht gegen alles immun sein?“
12. April 2021, von Maria Latos
Foto: Achim Multhaupt
Warum sind einige Individuen krankheitsanfälliger als andere? Dieser Frage geht Dr. Tobias Lenz nach, der seit dem 1. April Heisenberg-Professor für Evolutionäre Immungenomik am Fachbereich Biologie ist. Bei seiner Forschung helfen ihm unter anderem Stichlinge und Skelette aus Ausgrabungsstätten.
Herr Lenz, Sie erforschen, wie das Immunsystem auf Krankheitserreger reagiert. Für welchen Aspekt interessieren Sie sich dabei besonders?
Das Abwehrsystem von Wirbeltieren besteht aus zwei Komponenten: aus dem angeborenen und dem spezifischen Immunsystem. Wir interessieren uns vor allem für Letzteres. Das Besondere am spezifischen Immunsystem ist, dass es auf sogenannte Antigene abzielt, also Bruchstücke von Krankheitserregern wie Viren. Bestimmte Moleküle des Körpers, man nennt sie MHC-Moleküle, sind dafür verantwortlich, dass die Antigene als Fremdkörper erkannt werden. Und diese Moleküle sind von Mensch zu Mensch sehr variabel.
Unterscheiden wir uns deswegen so stark in der Anfälligkeit für bestimmte Krankheiten, die zum Beispiel durch Viren hervorgerufen werden?
Diese spielen dabei in der Tat eine wichtige Rolle. Und mich interessiert vor allem, warum es so viele Unterschiede bei der Krankheitsanfälligkeit gibt und wie sich diese im Laufe der Evolution entwickelt haben. Das gilt sowohl für Infektionskrankheiten als auch für Autoimmunkrankheiten.
Konzentrieren Sie sich auf bestimmte Erkrankungen?
Am besten für das Verständnis des Immunsystems wäre es natürlich, ein Gesamtbild zu bekommen, aber das ist schwierig. Deshalb suchen mein Team und ich uns bestimmte Krankheiten heraus. Bei den Infektionskrankheiten ist es vor allem HIV, und wir interessieren uns auch für die Tuberkulose. Darüber hinaus sind wir in der COVID-19-Forschung involviert und sind Teil eines internationalen Konsortiums, das sich mit der Anfälligkeit für schwere Verläufe befasst. Auf der Autoimmunseite beschäftigen wir uns mit TYP-1-Diabetes, rheumatoider Arthritis und chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen.
Nun sind das alles Erkrankungen des menschlichen Immunsystems. Welche Rolle spielt Ihre Forschung an den Stichlingen in diesem Zusammenhang?
Die Stichlinge dienen als natürliches Modellsystem. Es sind ebenfalls Wirbeltiere und sie haben deshalb auch das angeborene und das spezifische Immunsystem. Das heißt, die Erkenntnisse bei den Stichlingen können zum Teil auch auf den Menschen übertragen werden. Der Vorteil der Stichlinge ist, dass sie in den Flüssen und Seen in Hamburg und Norddeutschland heimisch sind und noch in ihrem natürlichen Lebensraum leben, wo sich ihr Immunsystem im Laufe der Evolution über Jahrmillionen entwickelt hat. Beim Menschen ist dieses Bild durch den medizinischen Einfluss quasi verzerrt.
Wie hat sich die Immunität im Laufe der Jahrhunderte verändert? Sind wir – vielleicht auch Dank der Medizin - resistenter geworden? Oder ist es andersherum und wir sind letztendlich anfälliger geworden?
Das ist eine der Kernfragen, die wir uns stellen: Warum sind wir nicht nach vier Millionen Jahren Menschwerdung perfekt immun gegen alles, was uns so unterkommt? Wir haben herausgefunden, dass es beim Immunsystem um sogenannte „Trade-offs“ geht. Es gibt nie eine Lösung, die perfekt in allen Bereichen ist: Es gibt Mechanismen und Prozesse, die dazu führen, dass unser Immunsystem besonders gut darin ist, bestimmte Krankheitserreger zu erkennen. Das führt auf der anderen Seite zu negativen Wirkungen in anderen Bereichen.
Können Sie ein Beispiel für ein „Trade-off“ nennen?
Je mehr Antigene unser Immunsystem erkennen kann - das heißt, je mehr Viren wir erkennen können - desto höher ist zum Beispiel das Risiko für Autoimmunkrankheiten. Denn eine Autoimmunkrankheit ist vereinfacht gesprochen letztendlich nichts anderes als eine fälschliche Erkennung eines körpereigenen Moleküls als Fremdkörper.
Wie untersuchen Sie das?
Beim Menschen untersuchen wir zum Beispiel DNA aus Skeletten, die aus Ausgrabungsstätten stammen, auf Immungene. So wollen wir herausfinden, ob es schon früher Genvarianten gab, die mit bestimmten Krankheiten assoziiert waren. Wir untersuchen aber auch DNA-Datensätze von modernen Patienten auf bestimmte Varianten der MHC-Moleküle hin.
Sind Sie bereits fündig geworden?
Sowohl Infektionskrankheiten als auch Autoimmunkrankheiten werden immer durch eine Vielzahl von Faktoren gesteuert. Aber vor etwa zwei Jahren haben wir in Kooperation mit Archäogenetikern der Uni Kiel zeigen können, dass es eine genetische Anfälligkeit für Lepra im europäischen Mittelalter gab. Lepra war damals sehr häufig, es kommt heute in Europa nicht mehr vor. Auch konnten wir die Rolle der MHC-Moleküle im Kampf gegen HIV besser aufschlüsseln.
Wenn sich bestimmte Gene mit Krankheiten assoziieren lassen – kann man daraus auch neue Vorhersage- oder Behandlungsmöglichkeiten in der Medizin entwickeln?
Eine Erkenntnis, die aus unserer Forschung zu den MHC-Molekülen hervorging, haben wir in Kooperation mit Forscherinnen und Forschern aus New York bereits aufgegriffen und auf die Immuntherapie bei Krebs angewandt. Mit unserem Ergebnis kann man besser vorhersagen, wie gut Patientinnen und Patienten auf die Immuntherapie ansprechen. Das war vorher schwer zu sagen, gleichzeitig hat diese Therapie schwere Nebenwirkungen. Deshalb hilft es sehr, zu wissen, wer gut auf die Therapie ansprechen wird, und wann man es den Patientinnen und Patienten ersparen kann. Es ist natürlich sehr befriedigend zu wissen, dass die Forschung konkrete Anwendung hat, und darauf bauen wir weiter auf. Wir untersuchen gerade, ob unsere Arbeit zu den MHC Molekülen auch in anderen Bereichen eine Rolle spielen kann, zum Beispiel um bei Organtransplantationen zu bestimmen, wie gut die Akzeptanz der Transplantation sein wird.
Nun fällt der Start Ihrer Professur mitten in die COVID-Pandemie. Sind Sie trotzdem gut angekommen und können Ihre Forschung voranbringen?
Das geht zum Glück schon, weil meine wissenschaftliche Arbeit ja zwei Standbeine hat: Die Forschung zu den Stichlingen ist mit viel praktischer Arbeit und Feldarbeit verbunden und daher aktuell leider nicht möglich. Aber zum Immunsystem des Menschen arbeiten wir hauptsächlich bioinformatisch, das heißt, wir sitzen viel am Computer. Und das ist natürlich etwas, was wir problemlos auch im Homeoffice machen können.
Sie haben 1998 an der Universität Hamburg Biologie studiert und waren der Harvard Universität in Boston, in der Schweiz und haben zuletzt am Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön gearbeitet. Jetzt sind Sie zurück an der Uni Hamburg. War Ihre Rückkehr geplant?
Tatsächlich war es nicht geplant, sondern mehr eine Reihe von glücklichen Fügungen. Ich bin mit dem Fachbereich Biologie zusammengekommen, weil ich weiß, dass sich das Themenfeld Infektionsbiologie hier weiterentwickelt und aktiv bewegt wird. Das finde ich sehr spannend und ich möchte dazu beitragen, dass sich das Thema an der Universität und in Hamburg weiter festigt und ausgebaut wird.
Das Heisenberg-Programm der Deutschen Forschungsgemeinschaft
Spitzenforscherinnen und -forschern den Weg in eine unbefristete Professur ebnen: Das ist ein Ziel des Heisenberg-Programms der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Dabei finanziert die DFG für jeweils fünf Jahre die sogenannten Heisenberg-Professuren, die nach dieser Zeit in den Etat der Universität übergehen.