Röntgenscreening des Schlüsselproteins von SARS-CoV-2Forschungsteam identifiziert Wirkstoffkandidaten für Corona-Medikamente
2. April 2021, von DESY/Red.
Foto: DESY/SciComLab
Ein internationales Forschungsteam, das auf Seiten der Universität Hamburg von Prof. Dr. Dr. Christian Betzel und Prof. Dr. Arwen Pearson koordiniert wird, hat mithilfe der DESY-Röntgenlichtquelle PETRA III mehrere Wirkstoffkandidaten gegen das Coronavirus identifiziert. Zudem wurde eine neue Bindungsstelle am Virus entdeckt. Die Ergebnisse wurden in „Science“ online veröffentlicht.
Im Gegensatz zu Impfstoffen, die dem Immunsystem gesunder Menschen helfen, sich gegen das Coronavirus zu wehren, werden in der Wirkstoffforschung Medikamente gesucht, die bei erkrankten Personen die Vermehrung des Virus im Körper bremsen oder zum Erliegen bringen. Ein vielversprechender Ansatzpunkt ist die Hauptprotease von SARS-CoV-2, ein wichtiges Protein des Virus. Gelänge es, diese zu blockieren, ließe sich der Vermehrungszyklus unter Umständen unterbrechen.
In einem sogenannten Röntgenscreening testeten Forscherinnen und Forscher unter Federführung des Deutschen Elektronen-Synchrotrons DESY in kurzer Zeit fast 6000 bereits für die Behandlung anderer Krankheiten existierende Wirkstoffe. Die Gruppen der Universität Hamburg waren vor allem an der Produktion der großen Mengen Protein beteiligt, die für die Testung benötigt wurden. Zudem begleiteten sie die für die Messungen notwendige Kristallisation sowie die Vorbereitung der Kristalle für die Messungen und halfen beim Aufbau einer Datenbank, die jede Verbindung von Anfang bis Ende des massiven Screening-Experiments verfolgte.
Dreidimensionale Struktur atomgenau dargestellt
Die Forschungslichtquelle PETRA III des DESY ist dabei auf strukturbiologische Untersuchungen spezialisiert und erlaubt es, die dreidimensionale räumliche Struktur von Proteinen atomgenau darzustellen. „Wir haben uns zuerst angeschaut, ob und wie die Wirkstoffe an die Hauptprotease andocken“, erklärt Prof. Dr. Arwen Pearson, Professorin für Biophysik und Mitglied des Exzellenzclusters „CUI: Advanced Imaging of Matter“ der Universität Hamburg. Durch den vollautomatischen Probenwechsel an den PETRA III-Stationen P11, P13 und P14 dauerte jede der mehr als 7000 Messungen nur ein paar Minuten. „Mithilfe eines Hochdurchsatzverfahrens haben wir insgesamt 37 Wirkstoffe finden können, die eine Bindung mit der Hauptprotease eingehen“, sagt Alke Meents vom DESY, der die Experimente zusammen mit Christian Betzel im März 2020 initiierte.
In einem nächsten Schritt untersuchten die Forscherinnen und Forscher am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin, ob diese Wirkstoffe in Zellkulturen die Virusvermehrung hemmen oder gar verhindern, und wie verträglich sie für die Wirtszellen sind. Hierbei reduzierte sich die Zahl der geeigneten Wirkstoffe auf sieben, von denen zwei besonders hervorstachen, die nun für präklinische Untersuchungen ausgewählt wurden.
Neue und vielversprechende Bindungsstelle entdeckt
In ihrem Wirkstoffscreening untersuchten die Forschenden nicht wie üblich Fragmente potenzieller Wirkstoffe, sondern vollständige Wirkstoffmoleküle. Dabei entdeckte das Team aus mehr als 100 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aber auch etwas komplett Unerwartetes: Es fand eine Bindungsstelle an der Hauptprotease, die bis dahin noch völlig unbekannt war und nun genutzt werden kann. „Es war nicht nur eine positive Überraschung, dass wir eine neue Bindestelle für Medikamente an der Hauptprotease entdecken konnten, sondern dass sogar einer der beiden heißen Wirkstoffkandidaten genau an diese Stelle bindet“, sagt Prof. Dr. Dr. Christian Betzel, Professor für Biochemie und Molekularbiologie an der Universität Hamburg und ebenfalls Mitglied von „CUI: Advanced Imaging of Matter“.
Die präklinischen Untersuchungen mit den beiden vielversprechenden Wirkstoffen Pelitinib und Calpeptin werden derzeit am Institut für Biomedizinische Wissenschaften der Universität São Paulo durchgeführt, mit dem eine langjährige Zusammenarbeit im Bereich der strukturellen Infektionsbiologie besteht und wo Betzel als Gastprofessor tätig ist. „Das Konzept zu möglichen präklinischen Studien haben wir bereits im März 2020 angedacht, vorgeplant und auf den Weg gebracht, um bei Erfolg keine Zeit zu verlieren“, so Betzel. Die Studien werden voraussichtlich rund fünf Monate dauern, dann sind weitere klinische Tests notwendig.
Internationales und multidisziplinäres Forschungsprojekt
An dem groß angelegten Projekt sind Forscherinnen und Forscher der Universitäten Hamburg und Lübeck, des DESYs, des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin, des Fraunhofer-Instituts für Translationale Medizin und Pharmakologie, des Heinrich-Pette-Instituts, des European XFEL, des Europäischen Laboratoriums für Molekularbiologie EMBL, der Max-Planck-Gesellschaft, des Helmholtz-Zentrums Berlin und weiteren Institutionen beteiligt.
Neben den Arbeitsgruppen von Prof. Dr. Christian Betzel und Prof. Dr. Arwen Pearson bringen von Seiten der Universität Hamburg zudem Prof. Dr. Henry Chapman (Fachbereich Physik, DESY), Dr. Thomas J. Lane (CUI-Young Investigator Group Leader, CFEL, DESY) sowie Prof. Dr. Henning Tidow und Prof. Dr. Tobias Beck (beide Fachbereich Chemie) ihr Know-how in den Bereichen Röntgenkristallographie, Proteindesign und Strukturbiologie ein. Prof. Dr. Matthias Rarey (Zentrum für Bioinformatik der Universität Hamburg) steuert seine Expertise im Bereich Modellierung und Energieberechnungen bei.
Originalveröffentlichung:
X-ray screening identifies active site and allosteric inhibitors of SARS-CoV-2 main protease; Sebastian Günther, Patrick Y. A. Reinke, et al.; „Science“, 2021; DOI: 10.1126/science.abf7945