Erstmals biomechanische Untersuchung zur Leistung von SchneckenzähnenRaspelzunge als Schlüssel zur Evolution
11. März 2021, von Anna Priebe
Foto: Stanislav N. Gorb
Ihr Mundwerkzeug hilft Schnecken, sich an die verschiedensten Nahrungsangebote anzupassen. Ein Team um Wencke Krings vom Centrum für Naturkunde der Universität Hamburg konnte nun erstmals die Arbeitsleistung der Zähne biomechanisch messen. Die Ergebnisse sind im Fachjournal „Proceedings of the Royal Society B“ erschienen.
Mehr als 80.000 Schneckenarten gibt es. Sie leben an Land und im Wasser – und die Anpassung an ihren Lebensraum geschieht zu einem großen Teil durch die jeweilige Ausprägung der sogenannten Radula. Dieses Mundwerkzeug besteht aus einem Chitinband, das mit Dutzenden bis zu Tausenden winzigen Zähnchen in Längs- und Querreihen besetzt ist. Wie fast alle Angehörigen des Tierstamms der Weichtiere nutzen die Schnecken diese Raspelzunge zum Zerkleinern und Verarbeiten ihrer Nahrung.
„Die Zähne sind bei Schnecken weicher als die Nahrung, dennoch haben wir bei Messungen festgestellt, dass einzelne Zahnspitze umgerechnet mit einem Druck von bis zu 4700 bar auf die Nahrung einwirken. Deshalb bilden sie pro Tag mehrere Zahnreihen neu“, erklärt Wencke Krings, Research Associate am Centrum für Naturkunde (CeNak) der Universität Hamburg. Die Eigenschaften der Zähne haben auch Einfluss auf das Vorkommen der Tiere: „Schnecken sind unter anderem so weit verbreitet, weil sich viele Arten auf höchst unterschiedliche Nahrungsquellen spezialisiert haben“, berichtet die Wissenschaftlerin. Um die Entwicklung der Arten zu verstehen, erforschte sie bereits in ihrer Dissertation an der Universität Hamburg und an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) die Funktionsweise der Zähne.
Experimente weisen unterschiedliche Zahnfunktionen nach
Gemeinsam mit Alexander Kovalev und Stanislav N. Gorb von der CAU konnte sie nun erstmals in einem biomechanischen Experiment, für das Schneckenzähne aus wissenschaftlichen Sammlungen verwendet wurden, die Arbeitsleistung der Zähne messen und dabei unterschiedliche Zahnfunktionen beschreiben. Die Zahnkuppen wurden dafür bis zum Versagen belastet, wobei die benötigte Kraft mit Kraftsensoren aufgezeichnet wurde. Mithilfe von Rasterelektronenmikroskop-Analysen vermaßen die Forscherinnen und Forscher die Bruchstellen, um den physikalische Stress zu berechnen, den die Strukturen aushalten können.
Wir haben erstmals einen Versuchsaufbau entwickelt, um die Zähne im nassen Zustand zu untersuchen
„Manche Zahntypen halten deutlich mehr Stress aus als andere. Das deutet darauf hin, dass unterschiedliche Bereiche der Radula verschiedene Funktionen haben“, so Krings. Manche Zähne dienten dazu, Nahrung von einer Oberfläche zu kratzen, andere würden sie dann einsammeln. Diese These unterstützen auch ergänzende Untersuchungen der Materialeigenschaften der Zähne: „Einige Zähne sind deutlich härter als andere, was zeigt, wie stark die mechanischen Eigenschaften der Radula mit der Nahrung korrelieren.“ Die genaue Ursache für diese Unterschiede, etwa die Dichte und das Arrangement der Chitinfasern, soll nun weiter untersucht werden.
Überraschende Ergebnisse aus der Biomechanik
Die Forschenden standen bei den Experimenten vor besonderen Herausforderungen: Da manche Schneckenzähne nur 0,05 bis 0,10 Millimeter groß sind, ist das Ermitteln der Materialeigenschaften selbst mit moderner Technik methodisch sehr aufwendig. Bisher wurden in Experimenten daher nur Strukturen im trockenen Zustand untersucht, obwohl die Schnecke ihre Radula bei der Nahrungsaufnahme immer wieder befeuchtet. Das Team um Wencke Krings hat daher nun erstmals einen Versuchsaufbau entwickelt, um die Zähne in diesem Zustand zu untersuchen.
Und dieses Experiment brachte ein unerwartetes Ergebnis: Eigentlich verändert Wasser die Eigenschaften von biologischen Materialen sehr stark und sie sind deutlich weicher als trockene. Bei den nassen Schneckenzähnen war aber sogar mehr Kraft notwendig, um sie zu brechen. Die Erklärung des Forschungsteams: Die nassen Radula-Zähne sind biegsam und stützen sich auf benachbarte Zähne, wodurch die gesamte Struktur stabilisiert wird.
„In unserer Studie konnten wir erstmalig erfolgreich mit biomechanischen Methoden die Radula-Funktion und damit die Nahrungsanpassungen bei Schnecken erforschen“, resümiert Krings. Auf dieser Basis seien weitere experimentelle Ansätze denkbar, um der Evolution der Schnecken auf den Zahn zu fühlen.
Originalpublikation:
Krings W, Kovalev A, Gorb SN. 2021 Influence of water content on mechanical behaviour of gastropod taenioglossan radulae. Proc. R. Soc. B.